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waren viele Bauern von dieser Massnahme begeistert und Süditalien erlebte einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung. Es dauerte jedoch nicht lange und die Kehrseite der Medaille wurde sichtbar: Der forcierte Weizenanbau führte zu einer Monokultur, in der die Produktion anderer Agrarprodukte ein tristes Schattendasein fristen musste.

      Durch eine Reihe von Dekreten versuchte Mussolini jeden Widerstand zu unterdrücken. Die Umstellung ging aber nicht konfliktlos vom Stapel. Arbeiteraufstände entzündeten sich da und dort. Gewaltsame Konfrontationen ergaben sich insbesondere beim Streik der lombardischen Metallarbeiter und beim Zusammenstoss zwischen der sozialistischen «Federazione Impiegati Operai Metallurgici (FIOM)» mit den faschistischen Korporationen. Ein Gesetz vom 3. April 1926 über die «rechtliche Ordnung der kollektiven Arbeitsbeziehungen» setzte dieser Phase ein Ende. Mussolini machte die mit Machtbefugnissen ausgestatteten Präfekten der mit 17 neuen Provinzen erweiterten Verwaltungseinheiten für die Einhaltung der Regierungsdirektiven verantwortlich.[33]

      Wege in den Totalitarismus

      Die Machtübernahme Mussolinis wurde von zahlreichen kriminellen Übergriffen seiner faschistischen Partei begleitet. Höhepunkt dieser Gewaltakte bildete im Juni 1924 die Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti. Er wurde von fünf Squadristen, d. h. Mitgliedern der faschistischen Miliz, in der Nähe von Rom auf offener Strasse mit einem Dolch erstochen.[34] Aus Protest verliessen darauf die Aventianer genannten Antifaschisten – ein Zusammenschluss von Liberalen, Demokraten, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten – die Abgeordnetenkammer.

      Am 3. Januar 1925 hielt Ministerpräsident Mussolini, nach vorhergehender Absprache mit König Vittorio Emanuele III., eine folgenschwere Rede vor dem italienischen Parlament. Er übernahm die volle «politische, moralische und historische» Verantwortung für alles, was im Namen des Faschismus bislang geschehen war. «Wenn ein paar mehr oder weniger aus dem Zusammenhang gerissene Sätze genügen, um jemanden aufzuhängen – dann her mit dem Galgen, her mit dem Strick! Wenn der Faschismus nichts anderes gewesen ist, als Rizinusöl und Schlagstock und nicht höchste Leidenschaft der besten italienischen Jugend – meine Schuld! Wenn der Faschismus eine Verbrecherbande gewesen ist, dann bin ich der Chef dieser Verbrecherbande! […] Seien Sie versichert, meine Herren, dass innerhalb von 48 Stunden nach meiner Rede die Situation vollständig geklärt sein wird»,[35] verlautbarte Mussolini. Um dieser Ankündigung Nachdruck zu verleihen, verwies er auf Artikel 47 der Verfassung von 1848, die den Abgeordneten das Recht gewährte, Minister des Königs anzuklagen und vor das Oberste Gericht zu stellen.

      Auf diese verhängnisvollen Rede liess Mussolini Taten folgen. Das Wenige, was vom liberalen Staat noch übrig geblieben war, löste er sukzessive auf. Parteien wurden ausser Kraft gesetzt und die Pressefreiheit aufgehoben. Oppositionsabgeordnete wurden mundtot gemacht. Ein Exempel hatte Mussolini schon ein gutes Jahr vorher statuiert, als seine faschistischen Schlägertruppen einen Anschlag auf den Journalisten und Politiker Giovanni Amendola ausgeübt hatten. Am 21. Juli 1925 wurde dieser von den Faschisten erneut überfallen und derart zusammengeschlagen, dass er später an den Folgen der Gewalttat starb. Das gleiche Schicksal erlitt der Publizist Piero Gobetti, der als Antifaschist den Ideen eines radikalen proletarischen Liberalismus nachhing. Er wurde am 5. September 1925 von Angehörigen der faschistischen Sturmabteilungen vor seinem Haus niedergeprügelt. Von seinen schweren Verletzungen konnte er sich ebenfalls nie mehr erholen. Mussolinis ehemaliger Freund Pietro Nenni, Chefredakteur der sozialistischen Zeitung Avanti, musste 1926 wegen Missachtung der faschistischen Obrigkeit nach Frankreich fliehen, und der kommunistische Intellektuelle Antonio Gramsci wurde auf Betreiben Mussolinis zu zwanzig Jahren Verbannung auf der nördlich von Sizilien liegenden Strafinsel Ustica verurteilt. Zahlreiche weitere Exponenten des Widerstands hatten keine andere Wahl, als ins ausländische Exil zu fliehen.

      Obwohl das «Albertinische Statut» (Statuto Albertino) – die Verfassung des Königreichs Italien – 1925 formell noch in Kraft war, wurde der «Gran Consiglio del Fascismo» (Grosser faschistischer Rat) an die Spitze des Staats gestellt. Ministerpräsident Mussolini änderte seine Funktionsbezeichnung und erhob sich mit Billigung des Königs zum «Regierungschef» (Capo del Governo). Mit Verordnungen erliess er Gesetze, welche ihn mit weitreichenden Befugnissen ausstatteten, die dem Parlament entzogen wurden. Ein Sondergericht zur «Verteidigung des Staates» war nun für die Bestrafung aller gegen das Regime verübten Delikte zuständig. Zur Ahndung von Verbrechen gegen den Souverän, gegen die königliche Familie und gegen den Regierungschef selbst sorgte die wieder eingeführte Todesstrafe. Die berüchtigte «freiwillige Miliz für die nationale Sicherheit» wurde als eigener Korps unter der Befehlsgewalt von Mussolini in die Streitkräfte eingegliedert. Damit war die Vorherrschaft des Staates über die Bürger sanktioniert; es war der Triumph der absolutistischen Staatsauffassung Mussolinis nach den philosophischen Vorstellungen von Giovanni Gentile mit dem Etikettenschwindel «ethischer Zustand». Gentiles Motto «Alles, für den Staat, nichts ausserhalb des Staates, nichts gegen den Staat!»[36] (Tutto nello Stato, niente al di fuori dello Stato, nulla contro lo Stato!) war Realität geworden.

      Korporatismus mit welscher Färbung

      Die Ursache der ideologischen Kontamination von Gruppierungen in der lateinischen Schweiz mit italo-faschistischem Gedankengut ist in der sozialpolitischen Misere der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg zu suchen. Einerseits kamen in der Westschweiz reaktionäre Strömungen auf, die in der Erneuerungsdiskussion der Dreissigerjahre gipfelten; anderseits formierten sich aufseiten der Wirtschaft neue Formen des Lobbyismus, die zur Entstehung von wirtschaftspolitischen Pressure-Groups führten.[37] Die Westschweizer Erneuerungsbewegungen hatten eine gemeinsame politische Stossrichtung, die sich durch verschiedene Akzentsetzungen unterschied. Beeinflusst waren sie nicht nur von Mussolini, sondern auch von den Ideen des französischen ultrarechten Publizisten Charles Maurras, der seinen virulenten Antisemitismus unter der pseudointellektuellen Etikette «antisémitisme de raison» (vernunftsbezogener Antisemitismus) propagierte, auch wenn er in Tat und Wahrheit nichts anderes war als ein Amalgam von antijudaistischen Stereotypen, Verschwörungstheorien und politischem Kalkül. Die Judenfeindlichkeit der Erneuerungsbewegungen war mit dem Ruf nach autoritärer Führung und einer antiparlamentarischen Haltung verbunden. Von faschistoiden Tendenzen – um eine neudeutsche Wortschöpfung zu gebrauchen – können die Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegszeit mitnichten freigesprochen werden. Diese alle über einen Leist zu schlagen und pauschal als faschistisch zu bezeichnen, wäre aber insofern nicht statthaft, als sich verschiedene Erneuerungsbewegungen vom italienischen Faschismus und vom deutschen Nationalsozialismus entschieden distanziert hatten.

      Charakteristisch für die Einstellung der Westschweizer Christlichsozialen waren die ständestaatlichen Vorstellungen einer «neuen Schweiz», die namentlich vom Freiburger Weltgeistlichen Abbé André Savoy geprägt wurden. Dieser richtete sich vor allem nach den Weisungen von Papst Pius XI., die in der Enzyklika Quadragesimo anno 1934 festgehalten waren und einen dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufzeigten.[38] Savoys korporatistische Phantasien lehnten sich vor allem an die berufsständischen Strukturen der Schweiz vor 1798 an und drehten sich um eine soziale Gerechtigkeit mit Einschränkung des freien Wettbewerbs durch die Korporationen selbst und nicht etwa durch den Staat.

      Savoys Ideen kamen vorerst im Neuenburger Jura an. Die katholischen Freiberger Uhrmacher gründeten 1922 in Les Bois eine eigene Korporation, angeblich die erste Organisation Europas dieser Art im 20. Jahrhundert.[39] Ansonsten griff das Gedankengut des politisch aktiven Priesters in den Kantonen Freiburg und Genf besser als in der restlichen Romandie. Freiburg war Sitz des 1928 gegründeten Westschweizer Korporationsverbandes, der seine Mitglieder auch in den Kantonen Bern, Neuenburg, Wallis und Waadt rekrutierte. Angeschlossen war ein halbes Dutzend Berufsorganisationen. Als wichtigste davon galt die «Corporation de l’industrie du bâtiment (CIB)», die 1929 einen Mitgliederbestand von 700 Arbeitnehmern und 53 Arbeitgebern hatte. An der Sprachgrenze propagierte Jakob Lorenz, Professor für Soziologie und Wirtschaftskunde an der Universität Freiburg, einen Korporatismus eigener Ausprägung. Dieser ehemalige Mitarbeiter des Gewerkschaftsführers Hermann Greulich gründete 1933 die Zeitschrift Das Aufgebot, die einen von Überfremdungstheorien und Antisemitismus geprägten Korporatismus verfocht, totalitäre Bewegungen jedoch ablehnte.[40]

      Im

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