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hatte er noch schlafen können.

      Er konnte sich noch daran erinnern, wie er bei Kerzenlicht mit einer Spritze im Arm in der Hütte gesessen hatte. Er hatte vor sich hingedämmert, und sich gerade dieser herrlichen Leichtigkeit hingegeben, als sein Handy geklingelt hatte.

      »Hier ist John Zur, Marcus.« Der Kriminalbeamte teilte ihm mit, dass Jane und Ryan in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt worden waren.

      Marcus riss sich die Nadel sofort aus dem Arm und sprang auf. »Wo?«

      »Nicht weit von Cadomin entfernt.«

      »Ich bin schon unterwegs.«

      »Marcus, du solltest …«

      Doch Marcus machte alles ganz automatisch. Er drückte das Gespräch weg, bevor Zur seinen Satz zu Ende sprechen konnte, schnappte sich seine Jacke und rannte dann von der Hütte zum Auto. Graupelschauer fielen, doch er bemerkte es kaum. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an seine Frau und seinen Sohn, die verletzt und verwirrt waren. Sie brauchten ihn!

      Er raste den Highway hinunter, bis er schließlich die Polizeiwagen und die Feuerwehr sah. Hinter einem Rettungswagen hielt er an und sprang aus dem Auto.

      Zur kam auf ihn zu. »Marcus, ich glaube, du solltest …«

      Marcus ignorierte ihn und schlitterte die matschige Böschung in den mit Wasser gefüllten Straßengraben hinunter.

      Dann sah er Janes Auto. Es hatte sich überschlagen und lag halb im tiefen dreckigen Wasser versunken.

      »Jaaaaane!«, schrie er. »Ryan!«

      Zwei Rettungshelfer schnitten gerade mit dem Spreizer die Tür auf. Das Metall knirschte und quietschte, wehrte sich aber. Wasser strömte nun heraus. Im Fahrersitz hing eine Gestalt mit dem Kopf nach unten. Das Wasser reichte ihr bis zur Taille.

      Sofort erkannte Marcus Janes Jacke.

      »Neeiiiin!«

      Der Rest der Nacht hatte nur noch aus aufblitzendem Licht und Sirenen bestanden.

      Und dem Tod.

      Er hatte so viel wieder gut zu machen. Man hätte ihn von »Marcus« auf »Buße« umtaufen können.

      Das Telefon klingelte und riss ihn abrupt aus seinen dunklen Gedanken. Danach verbrachte er ein paar Stunden mit dem Abheften von Formularen und Berichten, leitete einen verdächtigen Anruf wegen Brandstiftung an die Feuerwehr und Polizei weiter und schickte außerdem einen Rettungswagen an die Adresse eines vermuteten Einbruchs. Die ganze Zeit über vermied er es, an das Treffen zu denken, zu dem er Leo versprochen hatte mitzukommen.

      Eine Sekunde lang starrte er den Computerbildschirm an und fragte sich, warum er überhaupt zu diesen Treffen ging. Um etwas wiedergutzumachen? Um seine Schuldgefühle zu mindern?

      Damit man ihm vergab?

      Ging das überhaupt?

      Kapitel 4

      Edmonton, Alberta – Donnerstag, 13. Juni 2013 – 18:24 Uhr

      Rebecca fiel sofort die Garagentür auf, als sie zum Haus abbog. Denn diese stand offen. Sie parkte in der Einfahrt und fluchte leise.

      »Du hast vergessen, den Knopf zu drücken, Mom«, sagte Colton.

      »Vielleicht war etwas im Weg und sie ist wieder hochgegangen.«

      Sie presste auf die Fernbedienung und sah, wie die Garagentür sich senkte und zu blieb. Rebecca drückte den Knopf erneut und sah zu, wie die Tür ohne Probleme wieder aufging.

      »Nein, Mommy war ein Trottel«, sagte sie fröhlich, fuhr den Wagen hinein und klickte die Garagentür zu.

      »Was ist ein Trottel?«, fragte Ella.

      Colton schnaubte. »Du bist ein Trottel.«

      »Mommy bin ich ein Trottel?«

      »Nein, Honey.« Rebecca drehte sich auf dem Sitz um und drohte Colton mit dem Zeigefinger. »Hör auf, deine Schwester zu ärgern.«

      Sie warf noch einen Blick auf das Garagentor und dann auf die Tür, die ins Haus führte. Außer nachts schloss sie nie ab. Nun, da sie wusste, dass das Haus frei zugänglich gewesen war, wurde sie allerdings nervös. In letzter Zeit hatte es in der Nachbarschaft ein paar Einbrüche gegeben, es waren allerdings meist große neue Häuser betroffen gewesen. Aber obwohl ihre offene Garage jeden Dieb und Vandalen in der Gegend angelockt haben könnte, bezweifelte sie doch, dass sich irgendwer die Mühe gemacht hatte. Von außen sah das Haus unauffällig und bescheiden aus. Viel Luxus gab es hier nicht. Und innen schrie es einem praktisch »Hockey-Mom« entgegen – nicht gerade das Richtige, um Elektroartikel, Drogen oder Geld zu suchen.

      Sie öffnete die Autotür. »Wartet mal kurz. Ich will nur eben durch das Haus gehen, dann hole ich euch.«

      »Ach, Mom«, antwortete Colton stöhnend.

      »Du passt auf deine Schwester auf, Colton. Es dauert nur eine Minute.«

      »Na gut, aber ich time dich.« Er grinste. »Ab jetzt!«

      Rebecca betrat den kleinen Bungalow, zu dessen Kauf Wesley sie überredet hatte.

       »Den kann man prima herrichten«, hatte er gesagt. Sie hatte sich angewöhnt, es den »Geldfresser« zu nennen, obwohl ihr Mann versprochen hatte, sich um alle Reparaturen selbst zu kümmern und alles zu renovieren, um das sich die Vorbesitzer nicht gekümmert hatten. Wie die Fußleisten zum Beispiel, denn im ganzen Haus gab es keine Einzige. Wer lebte schon in einem Haus ohne Fußleisten?

      Die ans Schlafzimmer angegliederte Toilette war ein ständiges Ärgernis, da sie jedes Mal verstopfte, wenn jemand mehr als drei Blätter Toilettenpapier wegspülen wollte. Und der Kamin im Wohnzimmer verteilte seinen Rauch außen an den Fensterrahmen entlang, die immer wieder kleine Rauchwolken ins Haus ließen. Da Rebecca vor Kurzem herausgefunden hatte, dass Ella unter Asthma litt, bereitete ihr das besonders Sorgen.

      »Muss ich mir merken«, murmelte sie. »Nächste Woche unbedingt den lecken Kamin reparieren lassen.«

      Im Keller gab es noch ein zweites Wohnzimmer, das jedoch keine richtige Decke hatte. Wesley hatte sich darauf versteift, dass die bloßen Holzbalken und Rohre dem Ganzen einen rustikalen Anstrich gaben, sozusagen eine »Männerhöhle« daraus machten. Sie hatte ihm gesagt, dass er die Höhle gerne haben könnte.

      Als Rebecca durch die Zimmer ging, sah sie nach, ob irgendetwas fehlte. Beim Tisch am Wohnzimmerfenster zögerte sie kurz. Die Familienfotos wirkten anders. Sie runzelte die Stirn und untersuchte die Spuren im Staub auf dem Tisch. Bildete sie es sich nur ein oder stand das Bild von ihr und den Kindern nun an einer anderen Stelle?

      Sie rückte das Bild zurecht, starrte es an und lachte dann nervös. Eins der Kinder hat es bestimmt umgestoßen.

      Sie zuckte mit den Achseln über ihre Paranoia, eilte zurück in die Garage und winkte dann den Kindern. Colton stieg an der Seite mit der funktionierenden Tür aus, während Rebecca mit der beschädigten Tür kämpfte und Ella aus dem Anschnallgurt half.

      »Warum mussten wir im Auto warten?«, fragte Ella genervt.

      »Für den Fall, dass Einbrecher da sind«, antwortete ihr Bruder.

      Ängstlich riss Ella die Augen auf. »Einbrecher?«

      »Na, böse Leute. Wie der Nebel.«

      »Colton«, warnte ihn Rebecca. Sie wandte sich an Ella. »Da sind keine Einbrecher im Haus, Honey.«

      »Und böse Leute?«

      »Nein, auch nicht.«

      »Bist du dir sicher?«

      Rebecca nickte und nahm ihre Tochter an die Hand. »Ich hab überall nachgeguckt.«

      »Überall?«

      »Ja, sogar im Kühlschrank.«

      Ella

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