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VERSUNKEN. Cheryl Kaye Tardif
Читать онлайн.Название VERSUNKEN
Год выпуска 0
isbn 9783958351479
Автор произведения Cheryl Kaye Tardif
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Suuuper.« Marcus ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen. »Ich sag der Verkehrspolizei sofort Bescheid. Die können das extra Geld von den Strafzetteln bestimmt gut gebrauchen.« Als sich Schritte näherten, drehte er sich schnell um.
Carol Burnett kam gerade in den Pausenraum. Angeblich war sie nach einer spitzfindigen Komödiantin aus einer Fernsehsendung der Achtziger benannt worden, aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Carol war eine abgemagerte, graue Frau – graues Haar, kreidebleich, graue Kleidung und graue Persönlichkeit. Von Humor war bei ihr nicht viel zu bemerken.
»Es ist schon fünf nach sechs«, sagte sie ohne jegliches Lächeln.
Leo sah Marcus mit übertrieben weit aufgerissenen Augen an. »Um Gottes willen! Wir sind spät dran.«
»Auf uns wartet … das Schicksal«, sagte Marcus in dramatischem Tonfall.
Carol warf ihnen einen finsteren Blick zu, schüttelte den Kopf und ging dann zum Kühlschrank.
»Eines Tages werden wir sie schon noch zum Lachen bringen«, sagte Marcus zu Leo.
Sein Freund antwortete mit einer tiefen Verbeugung, die seine Hinternspalte in Carols Richtung aufblitzen ließ.
»Haha, Leonardo«, grummelte sie. »Sehr witzig.«
Leo zwinkerte ihr zu. »Einer hier muss doch schließlich Humor haben.«
»Du bist der Klassenclown vom 911-Notruf«, sagte Marcus, als sie an ihre Schreibtische zurückgingen. »Der Typ, über den alle lachen können.«
Leo schmollte. »Alle außer Carol. Die ruiniert meine magischen Kräfte.«
»Hey, sogar Shipley findet dich witzig, und das will schon was heißen. Der kann doch schließlich über gar nichts lachen.«
»Taylor!«
Marcus verzog das Gesicht. »Scheiße. Wenn man vom Teufel spricht …«
Shipley stand in der Tür zu seinem Büro und hob eine Hand. Zuerst fragte sich Marcus, ob er winken wollte, doch das tat er nicht. Stattdessen zeigte Shipley mit zwei Fingern zuerst auf seine eigenen Augen und dann auf die von Marcus.
Marcus nickte. Schon kapiert. Du hast mich auf dem Kieker.
Von seinem Chef beobachtet marschierte er an seinen Schreibtisch zurück. Er wusste genau, was in dem Mann vorging. Shipley hoffte, dass Marcus wieder ein Fehler unterlaufen würde. Aber er hatte sich schon viel zu viele geleistet.
Marcus' Sucht hatte zu endlosen Lügen, Arzneimitteldiebstählen und dem Fälschen von Arztrezepten geführt. Obwohl er fand, dass er es nicht verdient hatte, waren ihm seine Sanitäterkollegen zur Hilfe gekommen und hatten ihn den Vorgesetzten gegenüber verteidigt. Ein Entzug und eine Therapie wurden unter der Bedingung gebilligt, dass Marcus schwor, sich fortan an alle Vereinbarungen zu halten. Es war ein fairer Deal. Für den Arzneimitteldiebstahl brauchte er nicht ins Gefängnis, aber er musste sich nun an die aufgestellten Konditionen halten. Der Job in der Notrufzentrale gehörte mit zu seiner Rehabilitation.
Er konnte sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag vor fünf Jahren erinnern. Schon als er Shipleys Büro zum ersten Mal betrat, hatte er gewusst, dass er mit dem Mann Probleme bekommen würde.
»Drogensüchtig sind Sie also«, hatte Shipley nach einem kurzen Blick auf die Akte in seiner Hand zu ihm gesagt.
»Ich bin in Therapie.«
Shipley hatte seine Augen verengt. »Ein Junkie. Ich kann mit Leuten nichts anfangen, die das Leben nicht schätzen. Unser Job hier besteht darin, Leben zu retten.« Er hatte Marcus angestarrt und seufzend die Akte auf den Schreibtisch geknallt. »Aber ich kann da nichts machen, Ihnen ist die Arbeitsstelle zugewiesen worden. Also sehen Sie zu, dass Sie es nicht vermasseln.«
»Das werde ich nicht.«
Shipleys Mund hatte sich daraufhin höhnisch verzogen. »Na, das werden wir ja sehen, was? Ich zumindest bezweifle, dass Sie hier auch nur einen Monat schaffen.«
Daraufhin hatte Marcus gelächelt. Sein Chef schien offensichtlich ein richtiges Alphamännchen zu sein. Er hatte die Herausforderung, die in seinen Worten lag, sofort verstanden. »Ist mir scheißegal, was Sie denken, Mr. Shipley. Ich werde hier meine Arbeit machen.«
»Vergessen Sie nicht, dass Sie sich einmal die Woche auf Drogen testen lassen müssen.«
»Das weiß ich.«
Ja, er wusste es nur zu gut. Er hielt sich seitdem strikt an die Regeln, pisste auf Befehl in eine Plastikflasche und machte einen großen Bogen um die Gegend, in der sein alter Dealer herumhing. Das war der Preis, den er zahlen musste. Jedes Mal, wenn die Versuchung ihn überkam – und in manchen Nächten war es kaum auszuhalten -, stellte er sich Jane und Ryan vor. Er erinnerte sich an die Verzweiflung und Enttäuschung, die in ihren Augen gelegen hatte, als sie von seiner Sucht erfahren hatte.
Es hatte ganz unschuldig angefangen. Als Rettungssanitäter war er stets von Arzneimitteln umgeben gewesen, die er den Verletzten nach Bedarf gab. Er besaß ein ganzes Inventar davon, das er abzählte und ständig nachbestellte. Nach drei furchtbaren Massenkarambolagen und einer ausgebrannten Wohnung, wo Dutzende von Menschen umgekommen und ebenso viele verletzt worden waren, hatte er einen Burn-out erlitten und heftige Rücken- und Schulterschmerzen bekommen.
Als er sich erstmalig an den Medikamenten bedient hatte, hatte er sich eingeredet, dass es ja nur für dieses eine Mal war. Er hatte ein paar zweckentfremdete Vicodin geschluckt, woraufhin der Rest des Tages zu einem produktiven Nebel schmerzfreier Arbeit mutiert war. Anfangs war es nicht weiter schwierig gewesen, das Mittel »aus Versehen verlegt« zu haben, wenn er mehr davon gebraucht hatte. Einmal hatte er so getan, als sei ihm der Behälter aus der Hand gerutscht, und die Pillen wären durch den Rettungswagen gerollt. Als er sie dann mit seinem Kollegen Ashton Campbell aufgesammelt hatte, hatte Marcus sich einfach heimlich jede Zweite davon in die Tasche gesteckt. Nichts, auf das er heute stolz war.
Als Ashton auffiel, dass Vicodin fehlte, wich Marcus auf Tylenol 3 aus, das man leicht verschrieben bekam. Er tat die Pillen in kaltes Wasser und fischte das Codein darin heraus, ein Opiat mit schmerzstillender Wirkung. Das konzentrierte Codein betäubte die Schmerzen und ließ ihn als Nebeneffekt high werden. Leider gefiel ihm das zu sehr. Er machte sich vor, als Sanitäter besser arbeiten zu können, wenn er high war. Er fühlte sich dadurch selbstbewusster, immer hellwach und so, als hätte er alles unter besserer Kontrolle.
Aber das war gelogen.
Denn mit der Zeit nahm ihn die Sucht immer mehr in Beschlag. Das Codein hatte keinen großen Effekt mehr auf ihn, sodass er wieder Vicodin und Percocet nahm. Und wenn die Schmerzen ganz unerträglich wurden, spritzte er sich Morphium. Seine riesengroßen Pupillen verrieten ihn allerdings bald.
Jane sprach ihn eines Abends darauf an, aber er stürmte aus dem Haus – wütend, dass sie ihn, einen Rettungssanitäter, beschuldigte, süchtig zu sein. Dann sagte ihm Ashton plötzlich, dass er über die gestohlenen Medikamente Bescheid wusste.
Innerhalb von ein paar Tagen kam Marcus' dunkles, schmutziges Geheimnis ans Licht. Er war bloßgestellt, gedemütigt und schämte sich. Er wurde vor die Wahl gestellt, entweder auf Entzug oder ins Gefängnis zu gehen.
Die Wahl war einfach gewesen.
Jane hatte zu ihm gehalten. Das war so wunderbar an ihr gewesen: ihre Bereitschaft, vergeben zu können. Sie hatte sogar hinter seinem Entschluss gestanden, für eine Woche ohne sie und Ryan nach Cadomin zu fahren. Zum Angeln, hatte er ihr gesagt.
In Wirklichkeit aber war er hingefahren, um sich Gedanken über sein Leben und all die schlechten Entscheidungen zu machen, die er bislang getroffen hatte. Die Holzschachtel mit dem Abzeichen hatte er mitgenommen. Er hatte sich geschworen, dass es das letzte Mal sein würde, dass er etwas nehmen würde. Danach würde er das Kästchen vergraben und mit all dem nichts mehr zu tun haben. Er hatte sich geschworen, wenn er nach Hause kam, würde er