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H. Bodger, Kaufmann, geb. 8. 1. 1907, wohnhaft Liverpool, England.“

      „Ingenieur Brüggemann war am Rügendamm tätig“, erläutert Kommissar Sartorius. „Dr. Schwarz und seine Frau haben vier Wochen in Binz zugebracht. Mr. Bodger ist am 15. Juni in Stralsund eingetroffen und am 19. mittags wieder abgereist nach Berlin. Der Hausdiener des Hotels ‚Berliner Hof‘ hat für alle drei das Gepäck zum Zug geschafft und sich davon überzeugt, dass die Herrschaften in den Berliner Schnellzug eingestiegen sind.“

      Dr. Dykke notiert sich sorgfältig die Personalien der drei Leute und gibt das Blatt zurück. „Nicht gerade viel“, brummt er missmutig. „Wird allerhand Arbeit geben.“

      Kommissar Sartorius nickt bestätigend. „Da die drei Personen, deren Identität noch nicht einwandfrei festgestellt ist, sich nach Berlin begeben haben, und da ferner auch Assessor König, der zum mindesten als Zeuge bei eventuellen Ermittlungen noch in Frage kommt, ebenfalls in Berlin ist, habe ich nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Greifswald es für nötig erachtet. Ihnen die Akten der Mordsache zuzustellen.“

      „König“, sagt Dr. Dykke sinnend. „Er ist also der Letzte, der die Ermordete gesehen hat. Er ist mit ihr fortgefahren und hat sich seiner Aussage nach kaum eine halbe Stunde vor der Mordtat von ihr getrennt. Hm. Aber nach der Aussage der Eheleute Klaasen hat er sich also zur Tatzeit in deren Wohnung aufgehalten. Sie betrachten dieses Alibi als einwandfrei, lieber Herr Kollege?“

      „Unbedingt. Klaasen ist ein unbescholtener, in Stralsund bekannter Landwirt, in geordneten Verhältnissen, ohne Schulden, ein Mann von durchaus biederem, ehrlichem Charakter. Den Assessor König hat er vorher nicht gekannt. Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum er und seine Frau König zuliebe eine so schwerwiegende falsche Aussage machen sollten.“

      „Sehr richtig. Seine Aussagen und die Darstellung des Assessor König decken sich ja auch vollauf.“

      „Ich habe auch in diesem Falle das möglichste getan“, fährt Kommissar Sartorius fort. „Ich bin am 21. Juni selbst noch mal im Gehöft Klaasen gewesen und habe mir die Lokalitäten angesehen. Ich habe ferner die Möglichkeit erwogen, dass König die Uhr in der Wohnstube des Klaasen falsch gestellt haben könnte, um sich ein Alibi zu verschaffen. Klaasen und seine Frau erklären aber ganz entschieden, dass König keine Sekunde allein in der Stube gewesen sei. Sie haben ihn an der Haustür empfangen und sind die ganze Zeit mit ihm zusammen in der Stube gewesen. Auch haben sie ihn wieder bis zur Haustür hinausbegleitet.“

      „Also nichts zu machen“, stellt Dr. Dykke fest. „Ich werde natürlich trotzdem morgen noch mal mit Assessor König sprechen. Sie, Henneberg, stellen morgen die nötigen Ermittlungen an über Eberhard Brüggemann, Dr. Hans Schwarz und Mr. J. H. Bodger. Was nun die Geheimhaltung des Mordfalls anbelangt, so bitte ich Sie, lieber Kollege Sartorius, zu erwägen, ob sie noch in unserem Interesse liegt. Ich halte es für durchaus richtig, dass Sie bisher der Öffentlichkeit gegenüber die näheren Umstände bei der Auffindung der Graziella Holm verschwiegen haben. Ich meine aber, nach der jetzigen Sachlage können wir nichts Besseres tun, als auszupacken. Wir haben nicht die geringste Spur. Es wäre immerhin möglich, dass irgendein Unbekannter sich meldet und uns eine wichtige Wahrnehmung berichtet, wenn erst die Öffentlichkeit weiss, dass es sich um einen Mord handelt. Ich wäre daher dafür, dass eine entsprechende Mitteilung der Presse übergeben wird.“

      „Sie haben recht, Herr Kollege“, sagt Kommissar Sartorius nach kurzem Nachdenken. „Wir müssen auch das versuchen.“

      III

      Der Polizeipräsident.

      Berlin, den 21. Juni.

      Sie werden ersucht, am 22. Juni, vorm. 11 Uhr, im Polizeipräsidium, Zimmer 218, zu einer Besprechung zu erscheinen.

      Krim.-Insp. II.

      I. A. Henneberg

      (Die Vorladung ist mitzubringen.)

      An Frau Jenny Nerger,

      Berlin-Kladow, Amselallee 14.

      Mit heimlichem Grauen starrt Frau Jenny Nerger auf das Schreiben, das ihr der Postbote eben ins Haus gebracht hat. Eine Vorladung! Also doch! Es kann natürlich sein, dass es sich um die arme Graziella ... Ja, natürlich handelt es sich um Graziella! Aber ist es nicht eben das, was sie fürchtet? Gewissheit! — Frau Jenny eilt zum Telefon, sucht mit fliegenden Händen nach der Nummer. Es gibt einiges Hin und Her, bis die Verbindung mit der zuständigen Stelle hergestellt ist. Endlich meldet sich eine ruhige Männerstimme.

      „Frau Nerger, Kladow. Verzeihen Sie, ich habe eben eine Vorladung erhalten. Vom Polizeipräsidium, ja. Um was handelt es sich denn? Können Sie mir nicht sagen ...?“ Angstvolles Lauschen. Tief, beruhigend klingt aus dem Apparat die Männerstimme drüben, aber was sie sagt, vermag die Unruhe der Frau Jenny nicht zu bannen. „Der Herr Kommissar ist nicht anwesend? Und Sie selber wissen nicht ...? Schade. Es wird wenig Zweck haben, noch mal anzurufen? Ja, ja, natürlich werde ich kommen. Doch, die Zeit passt mir. Ich ... ich werde pünktlich da sein. Danke vielmals.“

      Blass bis in die Lippen hängt Frau Jenny ab. Sie hat keine Ahnung davon, dass der Beamte drüben ihr im Telefon pflichtgemäss keine Aufklärungen geben darf, da er ja gar nicht wissen kann, ob es wirklich Frau Jenny Nerger ist, mit der er spricht. Frau Jenny hat überhaupt noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt und fühlt gegenüber allen Polizeibeamten das alte Vorurteil des Bürgers: Abwehr und Misstrauen. Die Polizei, das ist gleichbedeutend mit Scherereien, Schikanen und noch viel Schlimmerem. Mit der Polizei kommt man nur in Berührung, wenn man — etwas Böses getan hat!

      Nun, Frau Jennys Gewissen schreit nicht. Unter anderen Umständen würde sie diese „Vorladung“ auch gar nicht aufgeregt haben. Höchstens, dass sie ein wenig ärgerlich gewesen wäre, den weiten Weg zum Alexanderplatz machen zu müssen. Aber was in diesen letzten Tagen auf sie eingestürmt ist, das ist zuviel! Das ist einfach nicht mehr zu ertragen!

      Erst die grässliche Nachricht von dem jähen Tod Graziellas. Dann — nach Tagen, als man bereits über den ersten, heissen Schmerz hinweggekommen war, die unfassbare, ungeheuerliche Kunde: Graziella soll ermordet worden sein! Kein Unglücksfall, sondern ein nackter, furchtbarer Mord!

      Frau Jenny Nerger ist einen Tag lang völlig geistesabwesend und verstört umhergelaufen. Erst als Werner König kam, hat sie sich so weit beruhigen können, dass sie überhaupt mit jemandem über das Grässliche sprechen konnte. Da drüben im Herrenzimmer, an dem runden Tisch haben sie gesessen: Hugo, ihr Mann, sie selbst und Werner König, der alte, liebe Freund. Und König hat erzählt, schonend, mitleidig, mit einer verhaltenen Zärtlichkeit in der Stimme. „Wenn ich dich doch trösten könnte“, hat Frau Jenny in seinen Augen gelesen, „wenn ich dich in die Arme nehmen dürfte, ganz weich, ganz behutsam ...“, und es ist ihr wirklich wohler und ruhiger dabei geworden. Oder hat sie sich das nur eingebildet? War es nur ihr eigenes dummes Herz, das sich in den Augen Werner Königs widerspiegelte?

      Frau Jenny ist sich längst darüber klar geworden, dass sie ihn liebt, diesen jungen, geraden Werner König mit den ruhigen, ehrlichen Augen. Wie glücklich, wie namenlos selig könnte man sein, wenn ... Aber das geht ja nun einmal nicht. Hugo ist ja da, ihr Mann. Und König — ach, er denkt auch wohl gar nicht an sie. Freundschaft, Sympathie, nichts weiter. Wahrscheinlich liebt er Graziella. Wenn sie da war, hat er sich immer mehr mit ihrer Schwester als mit ihr selbst beschäftigt, mit ihr gescherzt, gelacht, geneckt. Und natürlich hat Frau Jenny ihn nie, nie etwas davon merken lassen, wie es in ihr selber aussieht. Wozu auch? Sie ist eine verheiratete Frau und weiss, was sie sich und ihrem Mann schuldig ist.

      Frau Jenny hat nicht viel verstanden von dem Bericht Werner Königs; Hugo aber, ihr Mann, hat ihn gründlich ausgefragt. Und Werner König hat nichts verschwiegen. Er hat ausführlich von den letzten Stunden erzählt, da er mit Graziella noch zusammen war, von den Vernehmungen bei der Stralsunder Polizei, von dem Verdacht, in den er selber notwendig geraten musste und von dem er sich gottlob durch die Aussage der Eheleute Klaasen befreien konnte.

      Mit grossen Augen hat Frau Jenny zugehört. Werner König im Verdacht, Graziella ermordet zu haben? Aber das war doch geradezu irrsinnig! Wie

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