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      Im Auftrag der Kriminalpolizei Stralsund habe ich den Tanzschüler Erwin Röseler heute kommissarisch vernommen.

      Zu den Personalien sagt Röseler aus:

      Ich heisse Erwin Röseler, geb. 30. 11. 1913 zu Fürstenwalde, wohnhaft Berlin-Schöneberg, Hauptstr. 620, von Beruf Tänzer, ev., ledig, bisher unbescholten.

      Zur Sache sagt Röseler auf Befragen aus:

      Ich bin seit Ostern 1934 Mitglied der Tanzschule Blendorf. Dort habe ich Fräulein Graziella Holm kennengelernt. Andere als kollegiale und freundschaftliche Beziehungen zu ihr habe ich nie gehabt. Meine Schwester und ich sowie die Kollegen Herr Burkhard und Frl. Innichen haben uns am 14. Juni von Frl. Holm verabschiedet, als sie in ihrem Auto nach Stralsund abreiste.

      Am 18. Juni war ich von 10 Uhr vorm. bis 1 Uhr nachm. in den Räumen der Tanzschule Blendorf, was Herr Blendorf und meine Mitschüler bestätigen können. Ich bin dann mit dem Autobus nach Hause gefahren, wo ich zum Mittagessen um 2 Uhr eintraf. Ich wohne bei meinen Eltern. Sowohl diese wie meine Schwester können bestätigen, dass ich mich in der Zeit von 14 bis 18 Uhr daheim aufgehalten habe. Am Abend war ich mit meiner Schwester im Tauentzien-Palast. Nach dem Kino, um 21 Uhr, haben wir im Café Mierike eine Tasse Kaffee getrunken und sind dann zusammen nach Hause gegangen. Einen Herrn König kenne ich nicht.

      Fräulein Holm galt als begabte Schülerin und war bei uns allen sehr beliebt. Von einem Liebesverhältnis Frl. Holms mit irgend jemand ist mir nichts bekannt.

      Die mir vorgelegte Postkarte an Frl. Holm habe ich geschrieben. Die mitunterzeichnete „Gerda“ ist meine Schwester.

      v. g. u.

      Erwin Röseler.

      Berlin, den 20. Juni.

      Henneberg, Krim.-Assistent.

      *

      Zusammenfassendes Ergebnis der bisherigen Ermittlungen.

      Der zuerst verdächtige Begleiter der ermordeten Graziella Holm hat glaubhaft nachgewiesen, dass er identisch ist mit dem Assessor bei der Staatsanwaltschaft Berlin Werner König, geb. am 10. 1. 1907. Die sofortige Rückfrage bei der genannten Behörde in Berlin hat diese Angabe bestätigt. Die Einlassung des Assessor König, derzufolge er die Holm im Auftrage ihrer Verwandten aufgesucht hat, sowie seine Darstellung seines Zusammentreffens mit ihr am Mordtage weisen keine Widersprüche auf. Frau Nerger, Berlin, die Schwester der Ermordeten, bestätigt die Angaben des Assessors König, insbesondere über das am Tattage zwischen König und Frau Nerger geführte Telefongespräch. Ebenso wird seine Angabe, dass er zur Zeit des Mordes sich im Gehöft Klaasen aufgehalten habe, durch die bestimmte Aussage des Landwirts Klaasen und dessen Ehefrau vollauf bestätigt. Die Entfernung zwischen dem Tatort und dem Gehöft des Landwirts Klaasen beträgt 2,8 Kilometer. Wenn König zur Zeit des Mordes am Tatort gewesen wäre, so hätte er unmöglich bereits um 3 Uhr das Gehöft Klaasen erreichen können. Es bestand daher kein hinreichender Grund, über den vorläufig festgenommenen Assessor König die Untersuchungshaft zu verhängen. Seine Freilassung wurde von der Polizeibehörde im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Greifswald am 19. Juni, 14.30 Uhr, verfügt. König hat noch am Nachmittag Stralsund verlassen und ist nach Berlin zurückgereist. Er war durch die Nachricht von dem Tode der Holm aufs heftigste erschüttert. Irgendeine Erklärung oder einen Verdacht konnte er nicht angeben.

      Es darf als erwiesen erachtet werden, dass die Ermordete ausser den bei ihr gefundenen Objekten keine bedeutenden Wertsachen oder Geldbeträge besass, solche auch nicht bei ihr vermutet werden konnten. Ein Raubmord scheint daher nicht vorzuliegen, es sei denn, dass man annimmt, der Täter sei bei der Ausführung seiner Tat gestört worden.

      Ferner darf als erwiesen betrachtet werden, dass die Ermordete in Stralsund keinerlei Beziehungen zu Männern hatte. Eine Lebensversicherung oder Unfallversicherung — ausser der vorschriftsmässigen Autoversicherung — ist die Ermordete auch nicht eingegangen.

      Die nochmalige, mit Polizeihunden vorgenommene Absuchung des Tatortes und seiner weiteren Umgebung hat keine Anhaltspunkte zutage gefördert.

      Als einziger Anhaltspunkt bleibt demnach vorläufig nur das unter den Nägeln der Ermordeten gefundene Wollpartikelchen.

      *

      Polizei-Präsidium Stettin.

      Chem. Laboratorium.

      In der Mordsache Holm

      habe ich die mir übersandten Kleidungsstücke sowie die beigeschlossene Stoffaser untersucht.

      1 Die Bekleidungsstücke weisen keine Blutspuren auf. Die Bluse (Nr. 3) enthält zwei Zentimeter unterhalb des obersten Druckknopfes einen mindestens drei Tage alten, ausgeriebenen Kaffeefleck. Am Rand des rechten Ärmels sind leichte Verschmutzungen wahrnehmbar, die auf flüchtige Berührungen mit Öl zurückzuführen sind.

      2 Das Faserpartikelchen besteht aus dunkelrot gefärbter Baumwolle. Es rührt aus einem Gewebe von gleicher Farbe her. Das eine Ende weist unter dem Mikroskop eine Zerfaserung auf, die beweist, dass es nicht durch einen Schnitt, sondern durch einen gewaltsamen, mechanischen Druck aus dem Gewebe abgetrennt ist. Die Art des Gewebes, zu dem das Partikelchen gehört, lässt sich nicht feststellen. Blutspuren weist es nicht auf. Es ist gänzlich ausgeschlossen, dass die Baumwollfaser aus irgendeinem der vorliegenden Bekleidungsstücke herstammt.

      gez. Dr. Reimers, Gerichtschemiker.

      *

      Das sind die Polizeiakten, die in der Mordsache Holm von der Stralsunder Kriminalpolizei dem Berliner Präsidium mit der Bitte um weitere Ermittlungen übersandt werden.

      Kommissar Sartorius ist von einem gesunden Ehrgeiz besessen. Es hat ihn mächtig gekitzelt, selber Licht in die Mordsache zu bringen. Aber vor allem ist Kommissar Sartorius Beamter, ein Glied der gewaltigen Maschinerie, ein Mann, der weiss, dass er eben nur ein Rädchen ist und seine Persönlichkeit dem Ganzen unterzuordnen hat. So hat er sich schliesslich entschlossen, den Fall an die „Berliner“ weiterzugeben.

      Kriminalkommissar Dr. Dykke von der Reserve-Mordkommission ist wahrhaftig nicht erbaut von dieser neuen Arbeit, die ihm da aufgehalst wird. Aber danach geht’s nicht. Noch am selben Abend findet im Präsidium eine Besprechung in der Mordsache Holm statt, an der auch Kommissar Sartorius, der persönlich aus Stralsund herübergekommen ist, teilnimmt.

      „Wir haben — abgesehen von den aktenkundigen Ermittlungen — alles getan, um irgendeinen Anhaltspunkt zu finden“, schliesst er seinen ausführlich-sachlichen Bericht. „Insbesondere haben wir festzustellen versucht, ob sich am Montag oder den darauffolgenden Tagen irgendwelche verdächtige Personen in und um Stralsund aufgehalten haben. Die Landjägereien der Bezirke Stralsund, Greifswald und Rostock haben ihre Streifen verdoppelt. Wir haben in den Herbergen und Schlafstellen Razzien abgehalten und die Insassen auf Herz und Nieren geprüft. Ebenso haben wir natürlich feststellen lassen, wer an den fraglichen Tagen in den Gasthöfen gewohnt hat. Das Ergebnis war nicht sehr ermutigend. Nach genauer Durcharbeitung der Fremdenlisten sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass keine der darin angeführten Personen in der Mordsache Holm in Frage kommen. Auch Assessor König hat während seines Stralsunder Aufenthalts mit niemand verkehrt.“

      Kriminalkommissar Dr. Dykke nickt. „Haben Sie auch festgestellt, wer am 18. und 19. Juni aus den Hotels abgereist ist?“

      „Darauf haben wir natürlich besondern Wert gelegt. Beim Durchsieben der betreffenden Personen haben wir jedoch fast alle als unbescholtene Leute aus der näheren Umgebung oder als dem Hotelpersonal seit Jahren bekannte Stammgäste festgestellt. Ein gewisser von der Staatsanwaltschaft Dresden gesuchter Hermann Bank, den wir bei dieser Gelegenheit festnehmen konnten, kommt nicht in Frage, da er zur Zeit der Mordtat sich im Restaurant des Gasthofs ‚Zum König von Schweden‘ aufgehalten hat. Es bleiben schliesslich nur folgende drei Personen, die am 18. abends bzw. am 19. vormittags Stralsund verlassen haben.“

      Dr. Dykke überfliegt das Blatt, das Sartorius aus seiner Ledertasche gezogen und ihm hingereicht hat.

      „Eberhard Brüggemann, Ingenieur, geb. 2. 4. 1894, wohnhaft Berlin-Halensee, Georg-Wilhelm-Strasse 99.

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