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passieren (müssen).

      Soziologisch betrachtet ist jede Organisation eine auf Dauer gestellte Einheit, die ihren Bestand dadurch sichert, dass das in sie eintretende und von ihr beschäftigte Personal auch jederzeit gehen und durch andere Personen ersetzt werden kann. Diese Wechselmöglichkeit des Personals sichert die Kontinuität von Organisationen, anders könnten sie ihre Aufgaben nicht dauerhaft erfüllen. Eine formale Organisation besteht daher aus einer Reihe von Menschen, die zweckmäßig und arbeitsteilig auf klar umrissene Ziele hin handeln. Jede Organisation muss darüber hinaus einen allgemein anerkannten Zweck erfüllen. Der anerkannte Zweck von Organisationen Sozialer Arbeit besteht darin, auf Menschen, Situationen und Bedingungen bzw. Verhältnisse einzuwirken. Das kann sehr viele Formen annehmen. Es kann der Zweck sein, Menschen zu bessern, zu bestrafen und die Allgemeinheit von dem Begehen von Straftaten abzuhalten (Strafvollzug), sie zu erziehen und zu bilden (Kita), sie zu erziehen und zu unterstützen (Wohngruppe der Jugendhilfe). Wir wollen im Folgenden die Eingangsbedingungen in diesen drei Organisationen abbilden und anhand dieser Darlegung die Unterscheidung zwischen engem und weitem Zwang verdeutlichen. Mit der nachfolgenden Grafik (image Abb. 1) wollen wir zudem unseren Ausgangspunkt verdeutlichen, wenn wir über Zwang sprechen: Es sind vor allem die Organisationsbedingungen selbst, die sich auf den engen und weiten Zwang auswirken (image Exkurs 1; image Kap. 5.2). Das ist die Makro-Ebene.

      Diese Organisationsbedingungen – ihre Strukturmerkmale – haben stets Auswirkungen auf die Mikro-Ebene, auf der das individuelle Handeln in der Interaktion mit Adressat*innen stattfindet, und auf die Meso-Ebene, also der Ebene der Konzeption bzw. der gemeinsam geteilten Handlungsroutinen und -regeln. Umgekehrt haben diese beiden Ebenen wiederum Auswirkungen auf die Makro-Ebene. Das auf diesen drei Ebenen als legitim betrachtete Handeln in der jeweiligen Organisation (»So machen wir das, und so ist es richtig«), wird von den legalen Anforderungen auf der Meta-Ebene umrahmt (»Was wir tun, widerspricht nicht dem Gesetz«).

Images

      Beim Strafvollzug, dem Entzug der Freiheit, handelt es sich zweifellos um die stärkste staatliche Sanktion. Menschen werden in Haft genommen, weil sie verurteilt worden sind, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Mit dem Vollzug der Strafe sollen sie nicht nur gebessert werden, sondern auch ihre Schuld büßen. Strafe ist daher eine staatliche Übelzufügung (image Kap. 4.5). Ihre Schärfe zeigt sich bereits bei den Umständen des Eintritts in die Organisation Strafvollzug. Zum Strafvollzug verurteilte Personen bekommen in der Regel eine Ladung zum Strafantritt und werden gezwungen, sich innerhalb einer Woche selbstständig an den Toren der Haftanstalt einzufinden, soweit sie nicht aus der Untersuchungshaft heraus verurteilt worden sind oder sich in der Haftanstalt befunden oder direkt dorthin überführt wurden. Dann werden sie in der Kleiderkammer der Haftanstalt alle persönlichen Gegenstände abgeben, die sie erst nach Haftverbüßung wieder ausgehändigt bekommen. Sie erhalten einheitliche Anstaltskleidung. Zuvor werden sie körperlich untersucht, ob sie verbotene Dinge in die Strafanstalt bringen. Sie werden sich dazu vollständig entkleiden müssen.

      Zu allen diesen Handlungen werden sie durch Befehle gezwungen. Ihre Wahlmöglichkeiten sind dabei durchgehend auf null reduziert. Sie unterliegen bei all diesen Schritten einem engen Zwang. Dieser ist strukturell bedingt, äußert sich jedoch in konkreten Interaktionen, wie das bei fast allen Zwangssituationen der Fall ist, denn Strukturen müssen nun einmal von Menschen umgesetzt werden. Ohne Interaktionen haben Strukturen keinen Bestand und verdämmern. So ist der Entzug der Freiheit selbst das entscheidende Strukturmerkmal der Organisation Strafvollzug – ihr gesellschaftlich erwünschter Zweck. Dieser ist materiell durch Mauern und geschlossene Türen vermittelt und nicht – wie bspw. die Durchsuchung – an eine einzelne Interaktion gebunden. Doch folgt diese Durchsuchungshandlung aus dieser Struktur, sie ist insofern folgerichtig. So wäre es bspw. organisationsfremd und nicht folgerichtig, wenn Lehrende Studierende vor der mündlichen Prüfung körperlich durchsuchten. Deshalb kann der Entzug der Freiheit als ein enger Zwang gefasst werden, da die Inhaftierten gegen ihren Willen dazu gezwungen sind, etwas Bestimmtes zu unterlassen: nämlich sich frei in der Gesellschaft zu bewegen. Dieser enge Zwang dominiert den Strafvollzug absolut, weil er alle Lebensäußerungen der Inhaftierten bestimmt – daher der bekannte Begriff »Totale Institution« (Goffman 1973). Auf diese Unterscheidung kommen wir bei den unterschiedlichen Formen des Zwangs (image Kap. 2.4) zurück.

      Beispiel 2: Die Kindertagesstätte

      Die Wahl einer Kita können Eltern, abhängig von Angebot und Nachfrage, selbstständig bestimmen. Auch das Eintrittsdatum ist nicht zwingend vorgeschrieben. Zwar gibt es bestimmte Zeiten, zu denen in der Regel die Aufnahme erfolgt, etwa der Schuljahresbeginn, wenn bisherige Kita-Kinder eingeschult werden und die Kita verlassen. Es ist aber auch möglich, Kinder zu einem anderen Zeitpunkt anzumelden. Aber die Anmeldung reicht noch nicht. In Kitas findet regelhaft ein Aufnahmegespräch statt, dem sich weder Eltern noch Personal entziehen können und dem sie sich meist auch nicht entziehen wollen. Beide Seiten finden das sinnvoll und sehen darin eine Voraussetzung zur Erfüllung des Organisationszwecks, denn hier versuchen sie sich gegenseitig kennenzulernen. Dabei gehen beide Seiten zunächst von Wahlmöglichkeiten aus. Es handelt sich also um eine Form des weiten Zwanges. Eltern stehen meist unter einer in der Gesellschaft erzeugten Notwendigkeit, das Kind einer Kita zu überantworten, weil ein oder beide Elternteile arbeiten oder sie das Kind aus anderen Gründen nicht durchgehend betreuen können. Dies ist ebenfalls weiter Zwang, denn es wäre auch möglich, dass nur ein Elternteil arbeitet und das andere zu Hause bleibt und sich dort um das Kind kümmert. Dann müsste allerdings auf Einkommen verzichtet werden. Außerdem wird heutzutage davon ausgegangen, dass beide Elternteile berufstätig sein sollten, so dass ein nicht arbeitendes Elternteil nicht nur materiell, sondern auch sozial unter Druck geraten würde. Er oder sie müssten sich dafür rechtfertigen, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen. Die Möglichkeit aber besteht durchaus.

      Die Aufnahme in die Kita erfolgt dann zugewandt und freundlich unter Beteiligung der Eltern, die das Kind in der Eingewöhnungsphase begleiten. Nach und nach werden die Eltern weniger erscheinen, schließlich wird das Kind sich an die Situation gewöhnt haben und mehr oder weniger zufrieden in der Kita bleiben. Für das Kind allerdings handelt es sich analytisch zumindest dann um engen Zwang, wenn es selbst einmal nicht in die Kita möchte, wie es jedes Kita-Kind schon einmal erlebt hat. Es hat selbst jedoch keine eigenständige Möglichkeit, diese Situation zu vermeiden. Insofern kann gesagt werden, dass zwischen einem Strafgefangenen und einem Kindergartenkind unter diesen Gesichtspunkt kein Unterschied besteht. Beide unterliegen hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft im Strafvollzug bzw. in der Kita einem engen Zwang. Allerdings wissen wir auch von manchen Strafgefangenen, dass sie Angst vor der Entlassung haben und lieber im Strafvollzug bleiben möchten. Das ändert aber nichts daran, dass es sich bei der Inhaftierung um einen engen Zwang handelt.

      Auch in der Organisation der Wohngruppe muss es ein geregeltes Verfahren geben, künftige Bewohner*innen aufzunehmen. Die Aufnahme wird unter »fachlichen Gesichtspunkten« entschieden. Diese fachlichen Gesichtspunkte sind eine Summe aus Einschätzungen und Haltungen von beteiligten Fachkräften, etwa des Allgemeinen Sozialen

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