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Zwang, das dessen althochdeutschem Wortursprung »mit der Faust zusammenpressen« (Narr 1999, S. 15) näher ist.

      Auch im Recht wird Zwang in einem engeren Verständnis gebraucht. Zwang wird dort stets von außen und gegen den eigenen Willen an Menschen herangetragen: Als Zwangsmittel (§§ 9ff VwVG – Verwaltungsvollstreckungsgesetz) werden die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und der unmittelbare Zwang genannt: »Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen« (§ 2 Abs. 1 UZwG – Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes). Es geht demnach um direktive Machtausübung mittels Gewalt. Zwang als freiheitsentziehende Maßnahme gegen Kinder und Jugendliche wird aufgrund seiner Gewaltförmigkeit rechtlich klar begrenzt. § 1631b Abs. 1 BGB legt fest, dass eine geschlossene Unterbringung nur zulässig ist, »wenn sie zum Wohle des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht anders begegnet werden kann.« Freiheitsentzug und der mit ihm verbundene Zwang steht dem Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB – Bürgerliches Gesetzbuch) entgegen. Damit ist das Recht auf eine Erziehung ohne die Zufügung seelischer Verletzungen, ohne körperliche Bestrafung und andere entwürdigende Maßnahmen gemeint. Zwang wird vom Gesetzgeber damit eindeutig eng definiert und in diesem Kontext ausschließlich dann zugelassen, wenn ein Kind vor drohendem erheblichem Schaden zu bewahren ist. Entsprechendes gilt für den allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB – Strafgesetzbuch; § 227 BGB), nach dem Zwangseingriffe in Rechte anderer nur ausnahmsweise zur Abwehr von rechtswidrigen Angriffen erlaubt sind.

      Zwang ist offenkundig ein vieldeutiger, kontextabhängiger Begriff. Es ist daher notwendig, jeweils und im Einzelnen aufzuführen, was unter Zwang verstanden werden soll, wenn von diesem die Rede ist – zumindest sofern dies »bedacht und redlich« erfolgen soll (Narr 1999, S. 16).

      Für die Soziale Arbeit und deren Verstricktheit mit dem Zwang spielen die vorhin genannten psychologischen, im Individuum selbst verorteten Zwänge (Zwangsstörungen, Triebe, Sucht usw.) zwar eine Rolle. Wir beziehen uns hier jedoch ausschließlich auf Zwang als soziale Handlung, also als eine Handlung, die von Menschen gegenüber anderen Menschen ausgeübt wird. Das ist schon vielgestaltig genug, denn dies kann direkt oder vermittelt über Normen und institutionelle Settings erfolgen. Daher unterscheiden wir im Folgenden zwischen weitem und engem Zwang. Beide spielen in der Sozialen Arbeit und in ihrer Auseinandersetzung um die Legitimität von Zwangsmitteln und -maßnahmen eine zentrale Rolle. Die Unterscheidung zwischen Legitimität und Legalität ist dabei ebenso hilfreich wie bedeutsam: Sprechen wir von Legitimität, dann ist die Frage aufgeworfen, ob der Zwang angemessen, hilfreich, sinnlos oder überflüssig ist. Das sind alles Adjektive, die eine Bewertung ausdrücken, über die also gestritten werden kann. Zwar meint »legitim« auch, dass ein Sachverhalt oder eine Handlung rechtmäßig ist. Wir verwenden diesen Begriff jedoch in seiner üblichen Bedeutung von allgemein anerkannt, vertretbar, vernünftig, berechtigt und moralisch einwandfrei. Sprechen wir von Legalität, sind die Jurist*innen gefragt: Hat der Gesetzgeber das erlaubt, und verhalten wir uns entsprechend dieser gesetzlichen Vorschrift rechtmäßig und mit behördlicher Genehmigung? Darum wird auch vom »Legalitätsprinzip« gesprochen, um zu verdeutlichen, dass etwas prinzipiell festgeschrieben und rechtlich normiert ist. Ein »Legitimitätsprinzip« kann es dagegen nicht geben, weil es immer unterschiedliche Positionen zu der Frage geben wird, was legitim ist. Und das ist im Kern unser Thema: Kann Zwang in der Sozialen Arbeit legitim sein?

      2.2 Enger und weiter Zwangsbegriff

      Die rechtliche Bestimmung von Zwang hat mit dem eingangs markierten Zwang, dem wir täglich ausgesetzt sind, wenig zu tun. Zu unterscheiden und sorgfältig voneinander zu trennen sind daher ein weiter und ein enger Begriff von Zwang. Dies hängt damit zusammen, dass Zwang nicht nur etwas ist, dem wir unterworfen sind, sondern auch etwas, das wir nutzen können. Er hilft uns in unserem Alltag, so merkwürdig das auch klingen mag. So sind Studierende gezwungen, an die Hochschule zu kommen, um ihr Referat zu halten. Dafür erhalten sie einen Leistungsnachweis. Um diesen zu bekommen, zwingen die Umstände, nämlich die Regeln des universitären Betriebs, ihre Kommiliton*innen dazu, ihnen im Seminar zuzuhören. Anschließend zwingen diese sie dazu, auf ihre Nachfragen zu antworten. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass ein so verstandener weiter Zwangsbegriff wenig tauglich ist, um Zwang in der Sozialen Arbeit adäquat zu fassen und der kritischen Reflektion zugänglich zu machen.

      Warum ist das so? An dem Beispiel wird deutlich, dass es für unbeteiligte Außenstehende zwar so aussieht, als ob ausschließlich die Vortragenden die Zuhörenden zwingen. Tatsächlich sind es aber die Regeln, die dazu führen, dass sie das machen; Regeln, denen sie selbst unterworfen sind, mit denen die Vortragenden dann andere unterwerfen, weil am Ende des Studiums alle ein Zertifikat haben möchten, zu deren Ausstellung dann die Hochschule gezwungen ist. So gesehen ist überall Zwang. Daher kommen wir mit diesem weiten Zwang allein nicht weiter und unterscheiden zwischen engem und weitem Zwang. Unsere zentrale Unterscheidung liegt erstens darin, dass die Einschränkung der Handlungsoptionen unterschiedlich weit geht. Bei den genannten Beispielen zum weiten Zwang gibt es, im Gegensatz zum engen Zwang, immer konkrete Handlungsalternativen, auch wenn vielleicht nicht alle gleichermaßen hilfreich oder vernünftig sind. Insbesondere beim »unmittelbaren Zwang« wird dagegen deutlich, dass der enge Zwang darauf gerichtet ist, dass etwas ganz Bestimmtes (und nichts anderes) getan oder unterlassen wird. Zweitens sind die Beispiele des weit gefassten Zwangsbegriffes stets mit dem eigenen Interesse der Zwangsunterworfenen verbunden, also dem Willen, etwas zu tun oder zu unterlassen – die Türe zu öffnen, die*den Vermieter*in zu verklagen oder zu vermöbeln, den Leistungsnachweis zu erwerben usw. In diesem Sinn stellt sich für die konkret Beteiligten die Frage, ob der weite Zwang überhaupt als Zwang erlebt wird und als solcher bezeichnet werden kann. Kann beispielweise sinnvoll von dem Zwang gesprochen werden, die Türe zu öffnen?

      Um diese Unterscheidung zwischen engem und weitem Zwang zu verdeutlichen, beginnen wir mit kurzen Definitionen. Danach werden wir anhand von drei Beispielen illustrieren, wie sich diese Unterscheidung in der Praxis der Sozialen Arbeit zeigt.

      Definition enger und weiter Zwang

      Weiter Zwang beinhaltet die allgegenwärtigen materiellen, sozialen oder zwischenmenschlichen Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit und Handlungsmöglichkeiten, unabhängig davon, ob die Einschränkung beabsichtigt ist oder nicht. Wir stellen uns im Gefüge der menschlichen Angelegenheiten und des menschlichen Zusammenwirkens aktiv darauf ein. Daher bemerken wir die Einschränkung nicht als zwingend, schließlich sind wir im Rahmen des weiten Zwangs mit mehr oder weniger Handlungsoptionen ausgestattet. Wir verfügen in unterschiedlichen Graden über Wahlmöglichkeiten – und Freiheiten. Auf eine Reaktion vollständig verzichten können wir jedoch nicht. Kurz gefasst beschreibt Zwang damit den Gegensatz zu Freiheit.

      Enger Zwang meint die Durchsetzung des eigenen Willens gegen den Willen einer anderen Person, um diese dazu zu bringen, etwas ganz Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Wir reduzieren damit die Wahlmöglichkeiten der von uns gezwungenen Person auf null. Sie muss gehorchen. Falls sie das nicht tut, muss sie im Grenzfall mit physischer Gewalt rechnen (Luhmann 2003, S. 9).

      Diese grundlegende Unterscheidung zwischen weitem und engem Zwang ist für unsere Darlegung tragend und wird unsere Ausführungen als Grundgerüst begleiten. Dazu werden wir immer wieder auf drei Beispiele zurückgreifen, mit denen wir diesen Unterschied verdeutlichen. Um zu zeigen, dass Zwang eine allgegenwärtige Größe in der Sozialen Arbeit ist, haben wir unterschiedliche Beispiele gewählt. Dieser Gedanke der Allgegenwärtigkeit von Zwang ist bedeutsam, denn haben wir schon oft gehört, dass Kolleg*innen es von sich weisen, überhaupt Zwang auszuüben. Daher haben wir als erstes Beispiel den Strafvollzug als unstrittiges Zwangsbeispiel gewählt. Aber auch andere Arbeitsfelder, etwa eine Kindertagesstätte (Kita) oder eine Wohngruppe in der Jugendhilfe, unsere beiden anderen Beispiele, sind davon nicht frei. In all diesen Organisationen finden sowohl weiter als auch enger Zwang in ganz unterschiedlichen Ausprägungen statt. Da es sich um Organisationen handelt,

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