ТОП просматриваемых книг сайта:
Hol über, Cherub. Hans Leip
Читать онлайн.Название Hol über, Cherub
Год выпуска 0
isbn 9788711467459
Автор произведения Hans Leip
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Als Herr Pambel wieder zu Bewußtsein kam, brannten die Häuser noch immer, aber die Flammen hatten nun überall Raum im Geborstenen und Eingestürzten und rasten nicht mehr wie in einem Kesselschachte durch die Schlüfte der Straßen. Dachstühle brachen zusammen und Fußböden, das Glück der Wohnungen begrabend; die Funkengarben schossen himmelhoch, höhnische Ehrensalven der siegreichen Elemente, und vergingen in der kilometerhohen Dunstkappe, die sich über die gepeinigte Stadt zog. Kaum drang noch der Schein der Flammen hindurch, kaum die Sonne. Es war finster in den mürben Schluchten, die von Menschen gebaut und von Menschen zerstört worden. Herr Pambel mußte annehmen, er habe nicht lange gebraucht, um nach dem harten Aufschlag, der ihm den Helm geraubt, wieder zu sich zu kommen. Er tastete an sich herum, ob er noch heil sei, und glaubte schon, in seinem Blute zu schwimmen. Es war aber die Nässe der gebrochenen Wasserleitung, die sich über den Kraterrand ausgebreitet und zur Erhaltung derer beigetragen hatte, die hier niedergesunken waren.
Ich lebe noch! sagte sich Herr Pambel, versuchte auch gleich, das Kanarienhähnchen zu erkennen, dessen Bauer er nicht aus den Fingern gelassen. Aber die Tür des Käfigs war dem Prall nicht gewachsen gewesen und stand offen; der Zwitscherling war nicht mehr da; war entflohen oder auch davongeblasen, die leichte sonnengelbe Flocke, vielleicht noch immer voll seligen Irrtums jubilierend oder auch erstickt und verbrannt.
Herr Pambel weinte darüber eine Zeitlang vor sich hin, fast so wie Bili den Abend geweint. Er flüsterte ihren Namen, als sei sie der entwetzte oder umgekommene kleine Vogel oder auch die Tänzerin aus Porzellan, die er nicht mitgenommen hatte. Schließlich ermannte er sich, vermochte sich sogar zu erheben, ächzend von mancherlei Ungemach. Sie lebt! murmelte er angestrengt: Sie lebt, und ich werde zu ihr gehen und ihr einiges zu sagen haben.
Und auch die Vorstellung eines guten Morgenkaffees in ihrer freundlichen Wohnung spornte seine schmerzenden Schritte an.
Aber die Straße, wo Bili gewohnt, war nicht mehr zu finden, nur weglose Schutthalden überall, aus denen einzelne Gemäuer wie gigantische Grabsteine aufstachen, einzelne so schmal und schwebend wie windzerfranste Pappeln. Der Tag schien hier, neblig von Kalkstaub, etwas heller; denn der Qualm war geringer, hier hatten vor allem Luftminen gewütet. Und dort, wo an dem aufgesprengten Innern einer fünfstöckigen Rückwand der Rest der Treppen sich wie ein riesiger Lindwurm schlängelte, mußte im dritten Stock Bilis Wohnung gewesen sein und daneben die Frau Blomengarts, die seit etwa einem Jahr von ihrem Manne getrennt lebte.
Herr Pambel kletterte in dem Sturzacker des Verderbens umher. Bili! Bili! keuchte er, und die Verzweiflung ließ ihn eine Weile seine Schmerzen vergessen. Zwischen den herausgefetzten zerknüllten Adern und Nerven des Hauses, den Wasser- und Stromleitungen fand er den Brocken eines Balkons und daneben, fast ganz erhalten, nur des Topfes beraubt, eine blühende Geranie, wie Bili sie so treulich gepflegt. Er brach einen der prallen, glühend roten Blütenbälle ab und trug ihn, den langen Stengel mühsam mit den verbrannten Fingern haltend, taumelnd davon.
Bei einem Trupp Soldaten, die eine Ecke weiter ein Loch in den Schutt gewühlt und die dort Verschütteten herausholten, blieb er stehen und stierte offenen Mundes auf das jämmerliche blutige Gerümpel, das einmal Mensch gewesen sein sollte. Heiser schrie er auf, ohne Ahnung, daß er selber nicht viel besser aussehe, deutete flackernd auf die Stätte, unter der, wie er zu fühlen meinte, sein Herz und Dasein begraben lag.
Die Soldaten winkten hartgesotten ab, dort sei schon alles heraus, das meiste sogar lebendig.
Bili lebt! lachte Pambel, und es fiel ihm selber auf und war ihm peinlich, wie merkwürdig sein Lachen klang.
Er torkelte weiter, die Geranienblüte schwingend. Jetzt klar denken, Pambs, klar denken, nur das vermag zu lenken! redete er sich gut zu und strengte sein Gedächtnis an, Verwandte und Bekannte Bilis aufzuzählen, aber es fiel ihm nichts ein außer Herrn Blomengart und schließlich einer Schwägerin. Aber da er Herrn Blomengart den Gefallen nicht tun wollte, ausgerechnet bei ihm nach der Freundin seiner Frau zu fragen, die allem Anschein nach versucht hatte, eine aus wer weiß was für nichtigen Gründen zerplatzte Ehe wieder zurechtzuflicken, und dabei selber womöglich diesem so kühl, so betont überseeisch geschnittenen, mit einem Diener und dem Konsultitel behafteten Herrn ein wenig ins Garn zu geraten, in Gefahr gewesen sein mochte, blieb nur übrig, den weiten Weg in den Vorort zu der Schwägerin Bilis anzutreten, und Herr Pambel ließ sich kaum Zeit, nachdem ihn eine Sicherheitsstreife gegen seinen Widerspruch zur Hilfestelle geschleppt hatte, bepflastert und verbunden zu werden und den entzündeten Augen etwas gegönnt zu sehen und einen Schlag Suppe aus der Feldküche zu schlürfen.
Mit einem der Militärlastwagen, die für den Verkehr überall eingesetzt waren, gelangte er hinaus und erfuhr, immer noch in Schlafanzug und Hausmantel und den Ruinen der Hausschuhe, Bili habe dort angerufen. Ja, dort im Unberührten, zwischen heilen Dächern, sonnigen Straßen, blanken Fenstern und sauberen Gärten ging sogar noch das Telefon. Sie habe alles verloren und müsse also ein neues Leben anfangen, und es sei ihr gerade recht.
Und nach mir ist nicht gefragt worden? sagte Herr Pambel leise.
Die Dame musterte die zerschundene Gestalt, die vorgab, ein guter Freund Bilis zu sein, und in der dick umwickelten Linken, in den Verband hineingesteckt, den welkenden Blütenball einer feuerroten Geranie trug.
Bili war immer etwas phantastisch, versetzte die Dame und schüttelte den Kopf, gepflegt, gewaschen, trefflich gekleidet und genährt, in unverletzter, vielfältiger, heiterer Umgebung Sinnbild einer anderen, einer unwirklichen Welt dem, der aus der Hölle kam.
Ich hätte Bili einiges zu erzählen, nickte Herr Pambel, und Bilis Schwägerin bemühte sich, das Bedauern zu dämpfen, daß sich der verdreckte Besucher auf einem der guten Sessel niedergelassen habe. O nein, fuhr sie mit mitleidender Stimme fort: Bili hat genug mit sich selber zu tun; sie wollte schon immer aufs Land, um ihren eigenen Kohl zu bauen, wie sie sich’s so vorstellt. Und nun, wo sie in ihrem achtbaren Eifer oder in der Verwirrung sich bereit erklärt hat, sich mit einigen armen Würmern, unmündigen Nachbarskindern, Vollwaisen oder so zu belasten, wird es auch wohl das Beste sein, und was wir dabei helfen können, soll geschehen, obwohl wir nur einen Ziergarten haben und selbst sehr beschränkt sind ...
Das sehe ich, sagte Herr Pambel höflich und starrte eine Weile benommen vor sich hin. Er überhörte die zögernde Frage, ob ihm mit etwas gedient werden könne, das Bad sei allerdings im Augenblick ... auch werde Egon, Bilis Bruder, der Hausherr, auf Urlaub erwartet, und die Betten wären schon durch andere Ausgebombte ...
Herr Pambel empfahl sich plötzlich, und die Dame öffnete alle Fenster, um den schaurigen Brandgeruch und den Dunst sanitärer Maßnahmen, den er hinterlassen, aus den Zimmern loszuwerden.
Es war später Nachmittag, als er an den Stadtkern zurückgelangte, um nach seinem Kontor zu sehen, vage hoffend, dort eine Nachricht von Bili vorzufinden. Er kam nicht weit, die absperrenden Posten verlangten seinen Ausweis.
Der ist im Koffer, erwiderte er, und auf einmal begann er zu toben, er, der bis dahin stets einsichtig friedsame Bürger und ehrbare Kaufmann, und bezichtigte Gott und die Welt, Europa, Amerika und den weißen Mann im allgemeinen und im besonderen als wahnsinnig und hirnverbrannt, sich das bißchen gegenseitige Dasein so widerlich zu versauen; und sie blickten ihn verkniffen lauernd an, ob er nicht noch persönlicher werde, zuckten die Achsel, grinsten: Armer Teufel! und von dieser Sorte haben wir mehr ... und ließen ihn laufen.
Da gelangte er denn mit fliegendem Atem hin an den Ort, wo er die langen Jahre umsichtig ud geschickt gewirkt. Nun war da nichts als eine schaurige traurige Lücke, zackig umrahmt von ausgebrannten Kulissen, und er fand seinen Prokuristen am Werk, mitten in den noch schwelenden, stinkenden Trümmern und unter Aufsicht eines Stahlbehelmten den Geldschrank herauszugraben.
Warum noch? äußerte Herr Pambel da, und sein Herz hatte sich gefaßt, und er vermochte sogar zu lächeln: Die wichtigen Dokumente sind alle in meinem Koffer.
Und er ging davon, und es war ihm sonderbar leicht zumute in der Gewißheit, von Eigentum und Geschäftssorgen nun unbeschwert zu sein. Die jüngeren