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Hol über, Cherub. Hans Leip
Читать онлайн.Название Hol über, Cherub
Год выпуска 0
isbn 9788711467459
Автор произведения Hans Leip
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die Welt drehte sich laut und seltsam um Herrn Pambel, ein Knabe war er, stand auf einem brausenden, von Lichteffekten zuckenden Jahrmarktskarussell, hielt ein sich bäumendes wildäugiges rotes Holzpferd am Zügel, darauf saß ein hübsches Mädchen, das hieß Bili.
Beeilen, die Herrschaften! drang die keifende Stimme des Hauswarts Möff durch den Dunst und Lärm. Und Herr Pambel, ein Danke hervorstoßend – und sich sozusagen damit in die schreckliche Wirklichkeit zurück abstoßend –, stürmte nun, sich heroisch zusammenreißend, endgültig hinunter.
Das Nachbarhaus war durch eine Sprengbombe bis in den Keller aufgerissen worden, es hatte dort Tote und Verletzte gegeben, und dann war von der Straße flüssiger Brandsatz hereingelaufen. Die Überlebenden hatten die Wand zum Möffschen Keller, die dazu baupolizeilich vorbereitet war, durchschlagen, aber das Feuer war ihnen gefolgt, und nun brannte die ganze, auf gemeinsame Kosten angeschaffte Einrichtung, die Liegestühle, die Couch, der Skattisch, die Luftschutzbetten, und auch der Fahrstuhlschacht brannte schon, und bald darauf im Erdgeschoß auch die Möffsche Wohnung.
Wasser her! schrie Herr Pambel. Wo bleibt die Feuerwehr? Hat denn keiner die Polizei angerufen?
Es ist alles kaputt! gellte Herr Möff und warf Bettzeug durchs Fenster auf die Straße.
Die Hausbewohner schleppten Koffer und Kleidungsstücke herunter. Herr Pambel vertrat ihnen den Weg, anzusehen in seinem schwarz und roten Hausmantel wie ein verräucherter, wunderlicher Kriegsgott. Hiergeblieben! donnerte er. Erst löschen, dann bergen!
Herr Blomengart, vollständig und proper angekleidet und in der Hand nichts als ein kleines und wahrscheinlich kostbares Ölgemälde, erwiderte ganz ruhig: Jawohl, Herr Feldwebel, ohne Wasser? ... Und ein anderer setzte hinzu: Die Hauptleitung ist getroffen ... Und der Hauswart, hinkend, mit verbranntem Bart, kreischte: Und das Gas auch, und das Elektrisch auch! Und alle drängten an Herrn Pambel vorbei, auch Frau Möff mit seinem Koffer. Nur die ältliche Dame von der Oper, die aus dem vierten Stock, der Herr Pambel durch die Dielen hindurch manchmal gern gelauscht, blieb stehen und wimmerte: Retten Sie doch mein Klavier, bitte, bitte!
Herr Blomengart hatte inzwischen die schwere Reisetasche der Sängerin auf die Straße getragen, kam zurück, sagte besorgt: Mein Diener hat heute Ausgang ..., reichte der Klagenden den Arm und zog sie an Herrn Pambel vorbei, höflich bemerkend: Retten Sie Ihr uns allen wertes Leben, verehrte Meisterin, alles andere läßt sich ersetzen!
Nein, nein! wimmerte sie. Es ist ein Erbstück aus Wien, Brahms selber hat noch darauf gespielt.
Natürlich retten wir das Klavier! Ich verstehe Sie nicht, Herr Blomengart, kneifen Sie bitte nicht, was Sie auch sein mögen, rief Herr Pambel, tief getroffen von der Betitelung, die sich jener ihm gegenüber erlaubt. Aber der Rauch erstickte seine Stimme und nahm ihm die Sicht. Der Hauswart riß ihm die Feuerpatsche aus der Hand, forderte gellend seine Hilfe. Und Herr Pambel half, so gut es ging. Aber als das Büfett hinausgetragen werden sollte, wurde ihm schwindlig, und auf einmal fand er sich allein, und er sah nicht mehr viel, fühlte nur die Hitze, hörte das knatternde Sausen und da hinein das schrille Piepsen des vergessenen Kanarienvogels. Da nahm er tastend den Käfig von der Wand und erreichte eben noch das Freie.
Dort orgelte der Sturm, und die Straße war überhell erleuchtet von den brennenden Häusern. Welch Schauspiel! Im Grunde grandios! dachte Herr Pambel. Ein Rest Nachbarn war beschäftigt, das Möffsche Hab und Gut und was sie selber hatten bergen können, in die Mitte des Fahrdamms zu schaffen, dorthin, wo keine der Brandkanister gefallen waren, die hier und da, auseinandergespritzt, wie die weggeworfenen Fackeln eines Festzuges sprühten. Mein Koffer ist auch da, beruhigte sich Herr Pambel und zog ein Stück Mantel vor das Kanarienbauer, um den Vogel vor dem scharfen Zug zu schützen. Und eben wieder bei Atem, fragte er streng nach Herrn Blomengart. Wenn denn schon Feldwebel, dann auch ordentlich, und der Verdacht brannte sengender in ihm als alle Feuer Himmels und der Erden, daß Bili seine Schmach verraten habe. Ins Kontor ist der Herr Konsul, Herr Direktor, stotterte beflissen Frau Möff. Da haben vier Sekretärinnen Nachtwache und ein Buchhalter, ist ja ein großes Kontor. Und daß Sie unsern Hansipiep gerettet haben, Herr Direktor ...
Er sollte sich lieber um seine Frau kümmern, der Drückeberger, und wir werden das Klavier jetzt noch retten, los! wollte Herr Pambel versetzen, aber der Sturm schlug ihm das Wort in den Mund zurück. Die Straßenbäume, teils schon brennend, bogen sich jäh wie schwache Wiesenkräuter, schreiende Menschen wurden fortgewirbelt mitsamt dem Möffschen Bettzeug. Ein Sanitätswagen rutschte quer über das Pflaster, haltlos, mit brennenden Reifen und verschwand im feurigen Gewölk. Flammende Balken schossen kometenhaft durch die Luft.
Sie müssen gegen den Wind! schrie Herr Pambel dem vondannen gepeitschten Hauswartehepaar nach, aber seine Stimme blieb unhörbar. Er wurde gegen eine Hauswand geschleudert, hielt sich mit der freien Hand am Gesims, krampfhaft den Vogelkäfig an sich pressend. Wie Hauch aus Ofentüren fuhr es in seine Lunge, und eine Stichflamme aus zerborstenem Fenster leckte nach seinen Fingern. Er mußte loslassen, schreiend vor Schmerz, und wurde weggewirbelt über Möbel und Trümmer und menschliche Körper bis über die Straßenkreuzung hin, wo er, eben vor dem riesigen Krater, der das Hauptwasserrohr entblößt hatte, auf dem Schuttwall landete und wieder Fuß faßte.
So geht es nicht! sagte er sich. Ich muß meinen Koffer haben! Er hatte ihn seit Monaten vorausschauend bereitgestellt, und es war alles darin enthalten, was ein Mensch im Notfall braucht: Geld, Papiere, Uhr, Anzug, Wäsche, Schuhe, Rasierzeug, ein Stück noch guter Seife, ein silbernes Tafelbesteck, ein Paket Zwieback, eine Flasche Dreistern, eine Kerze, Zigarren, Zündhölzer, Vitamintabletten, ein kleines einbändiges Lexikon und ein Bändchen moderner Lyrik. Es waren Gedichte, die er zu verstehen strebte; denn Bili hatte gesagt, daß man die innere Struktur einer Zeit am deutlichsten aus deren Lyrik erkenne und auch, wenn nötig, Trost daraus zu ziehen vermöge.
Er wandte sich beherzt zurück. Kaum war in dem lodernd hinfetzenden Qualm die Richtung zu erkennen. Er gedachte nunmehr der kleinen Figur aus Kopenhagener Porzellan, die Bili ihm den Abend mitgebracht! Vielleicht könnte man auch einen richtigen Mantel, einen Hut und was nicht alles noch aus dem alten, treuherzigen Eulennest herausvoltigieren, wo er doch so lange friedlich und nett gelebt.
Da sah er plötzlich und ehe er die Kreuzung bewältigt hatte, eine ungeheure brodelnd tobende Feuermauer durch den Dunst auf sich zukommen; Gestalten hetzten davor her, Männer, Frauen, Kinder brachen zusammen, wurden überrannt. Er sah, wie jemand aus dem Knäuel der Stürzenden wieder aufsprang und rückwendend beschwörend die Arme gegen die heranrasende feurige Brandung reckte, sah, wie Kleidung und Fleisch von diesen Armen schulterzu aufrollten und das bloße Skelett gegen die Lohe ragte, ehe der Mensch dort zu Boden schlug und verschlungen ward. Herr Pambel starrte verzerrt. Abschwenken! Ausweichen! Links ab in die Querstraße! dachte er instinktiv, aber seine Schuhe klebten am Boden und die Knie versagten ihm.
Der Asphalt brennt! gurgelte es überschlagend vielstimmig durch den Orkan. Und da sah er sich selber die Arme abwehrend aufrecken wie der Unglückliche eben dort hinten. In der Rechten hielt er, weiß der Himmel, immer noch den Kanarienkäfig, die Finger in das dünne Gestänge verkrallt, und der Vogel lebte noch und, o schaurige Süße, sang, sang betrunken von der heranfegenden Helle und Glut, als sei die Sonne der Tropen, unvergessen trotz hundertjähriger Verzüchtung, eben strahlend aufgegangen.
Herr Pambel sah es, sah die kleine geblähte schluchzende Kehle wie an einem lebendigen Scherenschnitt, schwarz vor dem Gleißenden, und die tausendfachen qualvollen: Hätte ich doch ... und: Jetzt müßte man dies ..., die sein Hirn durchsausten, wurden still in der einen unsagbaren Anstrengung des Lauschens, ob nicht ein wenig doch des Getrillers zu vernehmen wäre, wie ein silbern schaukelnder Lamettafaden etwa, dünn und lieblich wie die Linie Licht, die von der Kerze über die porzellanene Hüfte der kleinen Tänzelfigur gehuscht war den Abend und in den blanken Fingernägeln Bilis sich wiedergefunden hatte und in ihren noch immer schönen und sehnsüchtigen Augen. Nichts, nichts war zu hören als das Brüllen der Feuerlawine und das berstend wiehernde Gelächter des Unterganges, und schon wurde Herr Pambel gepackt von der Gewalt des Luftwirbels, wurde emporgerissen und wieder zusammengestaucht und lag betäubt hingeschmettert, indes die