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Hol über, Cherub. Hans Leip
Читать онлайн.Название Hol über, Cherub
Год выпуска 0
isbn 9788711467459
Автор произведения Hans Leip
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Sie ging mit, als der Fischer das Exemplar ins Kurhotel brachte. Dort tauchte auch der Herr mit dem Farmerhut auf und sagte: Eine Rarität! Haben Sie immer soviel Glück? ... Und er lächelte dabei mehr das Fräulein an, das an der Reling so blaß gewesen war und nun rosig und fidel aussah.
Omko knurrte ungefällig und wandte sich dem Wirt zu. Aber der Herr wurde von dem Wirt mit Aufmerksamkeit behandelt, weit mehr als der Hummer, und es stellte sich heraus, daß er ein berühmter Naturforscher sei und auch an anderen Raritäten Interesse habe, zum Beispiel an der Rosenmöwe. Die sollte es vormals auf Helgoland gegeben haben, eine echte Rhodostethia rosea, eine Abart der nordamerikanischen.
Weiß ich! antwortete Omko, ohne das Auge vor der lateinischen Vokabel niederzuschlagen: Mein Großvater hat die noch massenweise an die Putzmacherinnen nach Hamburg verkauft.
Wirklich? lächelte der Naturforscher: Eine mit rosa Gefieder und um den Hals einen blauen Streifen?
Genau die! knurrte Omko und setzte hinzu: Und ein bißchen kurz in den Beinen.
Der hellgraue Herr gab einen Whisky aus und für die Dame etwas Süßeres, was beides hier nicht teurer war als an der Küste Korn und Kümmel, und sie errötete; denn sie glaubte, man erlaube sich Scherze mit ihr, trug sie doch eine Kette aus Kobaltperlen, und betreffs Teint und Statur stimmte es auch ungefähr.
Das Museum, für das ich arbeite, sagte der Herr, würde einen guten Preis für den einwandfreien Balg zahlen. Es ist eine ausgestorbene Art.
Omko tat ganz ungerührt und erledigte den Handel mit dem Wirte.
Womöglich hundert Pfund, sagte der Herr.
Omko zuckte nur ein wenig mit der Achsel. Aber er steckte die Anschrift doch zu sich, die der Herr ihm gab. Welch Abenteuer! dachte Minna Sulz, und ihr war, als sei sie in die Fänge eines Mädchenhändlers und Seeräubers geraten. Aber draußen sagte Omko, man könne dann gegebenenfalls heiraten.
Mein Gott! dachte sie: Geht das hier so schnell? Ist das ein Antrag? So ist es der erste in meinem Leben. Aber gewöhnen muß ich mich erst doch wohl ein bißchen können.
Sie lächelte abwägend, und Omko setzte das Thema nicht fort, sondern empfahl das Hotel auf der Düne. Das gehöre seinem Bruder. Und somit wechselte Minna Sulz die Pension.
Abends sah die Insel mit ihren Lichtern aus wie ein einziger Tanzpalast; man hörte die näselnden Saxophone bis auf die Düne über die knappe Seemeile hin, wenn der Wind nicht zu sehr heulte, und die kreisenden Lichtpritschen des Leuchtturms sahen aus wie eine einladende Reklame. Auf der Düne gab es keine Grogkeller und Tanzdielen. Da war es nichts als einsam, wenn das letzte Badeboot nachmittags den Strand verlassen hatte. Darum wohnten bei Omkos Bruder auch nur sehr verliebte Liebespaare. Oder Sonderlinge.
Dazu gehöre ich, sagte sich Minna Sulz: Einsamkeit und Meeresweite, das hab ich gesucht. Und Omko Treesen erschien ihr wie die verkörperte Gegend, so weit und breit und sandig und felsig und karg, ohne alle waldige Geborgenheit, und er duftete nach Tang und Fisch und bitterem Knaster wie die See, und seine Augen schillerten grau und gefährlich wie die Strudel in der Brandung. Leider sprach er nicht viel und sah sie auch kaum an. Er spähte nur immer nach der Rosenmöwe aus. Nur einmal redete er etwas Längeres, und Minna meinte erfreut, es als Bestärkung buchen zu dürfen. Er wies nämlich mit der immer schußbereiten Flinte auf eine Partie Bauholz beim Hotel und sagte: Reicht für ’ne Hütte. Mein Bruder will zwar die Veranda mit ausbessern. Er hat ja gebetet. Und dann hat es geweht. Und dann ist ja auch ein Schwede kapseis gegangen mit Holz. Wer es aber gestrandet hat und raufgeschleppt, bin ich. Er ist ja auch man Koch gewesen auf Dampfern. Ich aber war Vollmatrose auf echten Pi-leinern, wo die Masten so hoch sind wie das Nordhorn und der Mönch.
Damit denn ging er auch schon wieder zum Boot und war draußen bei jedem Wetter und spähte und lauerte überall. Er tat nichts anderes mehr. Die Rosenmöwe beschäftigte ihn vollends. Kaum daß er noch gelegentlich zur Insel hinüberkreuzte, um dort auf dem Oberland seinen Tabaksbeutel neu zu füllen in dem kleinen Laden, wo auf dem Schild darüber stand: Holländische ff. Rauchwaren und Pfeifen bei Gesine Pölpema Ww.
Es war damals, wo hundert Pfund noch tausend Mark waren und tausend Mark ... oho! Minna Sulz nun segelte immer treulich mit und mußte sodann Schot und Pinne halten, wenn er meinte, die Rosenmöwe endlich gesichtet zu haben. Und sie nahmen den Motor nur selten, um die Natur nicht voreilig zu warnen. Aber es war immer nichts, und Minnas Ferien gingen dem Ende zu. Sie erzählte ihm, ein Chef von ihr habe sie Minze genannt. Und sie kicherte dabei. Omko äußerte lange nichts darauf. Schließlich sagte er: Scharfes Aroma! ... Und das blieb die einzige Zärtlichkeit, die aus ihm herauszulocken war. Und sie segelten bis nach Scharhörnriff und Neuwerk und auf die andere Seite der Elbe nach Trischen und an allen Feuerschiffen vorbei, alles ohne Erfolg.
Eines Nachts hörte sie in ihrem einsamen Bett durch die Bretterwände des Hotels, wie Omko sich aufmachte, noch eh es recht hell wurde. Flink zog sie sich an und eilte ihm nach. Denn es war der letzte Tag vor ihrer Abreise. Sie sprang ihm nach ins Boot. Er achtete ihrer nicht. Er hielt auf die Nordspitze der Insel zu, und das Boot bockte und krengte, und die See schwoll schwarz aus der Unendlichkeit heran und bleckte die Schaumzähne. Fast im Norden stand das Morgenrot wie ein glühender Fittich. Und da sagte Omko merkwürdig singig vor sich hin in die böige Luft: Das hab ich geträumt. Sie sitzt oben auf dem Mönch. Und dann pack ich sie auf Eis und charter einen Fischdampfer und steh immer neben der Kiste, bis wir in Bristol sind. Und nehm sie untern Arm. Hier! Ist gut! Hundert Pfund Sterling. Und dann vergrößern wir den Tabakladen mit Konfitüren. Und so.
Und heiraten.
Welchen Tabakladen? fragte Minna Sulz unruhig.
Omko schien es überhört zu haben wie vieles. Erst als sie nahe bei den Felsen waren und abhielten, fuhr er so merkwürdig mit der Stimme fort, als träume er: Das hab ich ihr versprochen, zwölf Jahre her, Witwe Pölpema beim Kurhaus neben oben. Und die Hütte vermieten wir. Ich bin der Ältere. Mein Bruder hat nichts zu melden.
Danach versank er wieder ganz ins Spähen, und so kamen sie ans Nordhorn. Auf einmal gab er Fräulein Sulz die Ruderpinne und die Schotleine, nahm die Flinte hoch, indes er sich mit den Knien gegen die Ducht stemmte, und schrie heiser: Da ist sie! Und schon feuerte er schräg aufwärts auf den Mönchsfelsen hinauf, obwohl der bei der Dünung wie ein betrunkener Wolkenkratzer über ihnen torkelte und Minna dort nichts hatte entdecken können als etwas Morgensonne und Himmelblau.
Es flatterte auch nichts als ein bißchen vom Schrot zerbröckeltes Gestein herab. Und das Boot rutschte ihr aus der Hand und jagte im Schwell auf den roten Schotter, daß es krachte. Aber Omko schien es gerade richtig. Er sprang über Bug an den Felsfuß und begann wie behext an der steilen Wand emporzuklimmen, obschon dort an den glitschigen Riefen kaum Halt zu finden sein konnte.
Er wäre trotzdem sogar wohl auch hinaufgelangt, gleichsam schlafwandlerisch in seiner Gier. Minna konnte vor Angst und Kummer keinen Laut hervorbringen, so gern sie ihm prophezeit hätte, daß er da oben seinerseits ebenfalls nichts als Enttäuschung erleben werde. Da jedoch schor katzenleise die Barkasse des Wasserschutzes um die Ecke, um die gleiche wie damals Omko. Diesem schnittigen Polizeiboot war Omkos Sucherei schon längst auf die Nerven gefallen, und da man ihn nun so unsinnig als halsbrecherisch an dem Felsen kraxeln sah, ließ der Steurer einen kleinen Warnruf der Sirene erschallen.
Keine Posaune des Jüngsten Gerichts hätte augenscheinlicher wirken