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schlug er überkopf auf den harten Grund und kam nicht wieder zu sich.

      Minna Sulz nahm ihr Erlebnis und ihre Trauer still mit nach Haus. Erst als es eines Tages heiß herging auf Helgoland, erzählte sie Näheres und meinte dann, das mit Omko sei wie das Meer gewesen, schön und schrecklich zugleich, und wie jene Insel, die man zu befestigen gedacht für die Ewigkeit, und das gerade habe das Verderben gelockt. Witwe Pölpema, die mit dem Tabakladen, habe zwar am selben Tage, da Omko umgekommen, seinem Bruder das Jawort gegeben, und der habe dann als Mariner auf der Insel bleiben dürfen, indes seine Frau für lange Jahre aufs Festland abgeschoben worden sei. Und das – ja, das allerdings ist schlimmer für eine Halunerin als etwa für eine Irgendwelche, die schon geglaubt hatte, eine Halunerin zu werden.

      Herr Pambel

      Das Schicksal des Herrn Pambel in jener Zeit der Welterschütterung ist nicht gerade ungewöhnlich zu nennen, genausowenig wie seine Person geeignet sein mag, besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber damit ist er den meisten von uns ähnlich. Das großartig Hervorragende, oft beschrieben, besticht, erhebt und bedrückt durch Unerreichbarkeit. Herr Pambel hat nichts Unerreichbares, und man sollte meinen, dadurch vielleicht könne er einen gelinden Trost bedeuten für diesen und jenen, der sich gleich ihm durch die Tage der Heimsuchung hindurchgefunden.

      Und dabei gelernt hat, sich zu bescheiden.

      Wer je zuvor diesen Herrn Pambel kennengelernt, mußte ihn für einen eingefleischten Junggesellen halten, für einen bequemen und betulichen Lebemann, der, von mehreren Freundinnen verwöhnt, den Annehmlichkeiten der Großstadt in jeder Weise verfallen war. Und in der Tat, so war es mit ihm gewesen; abgeneigt gegen jede gröbere Arbeit, immer tadellos angezogen, empfindlich im Geschmack, blendend eingerichtet, obschon nur in einer ausgebauten Dachwohnung, Inhaber einer vormals angesehenen Teefirma, die sich mit Erfolg auf Balkanware umgestellt, hatte dieser Herr Pambel es verstanden, trotz aller widrigen Zeitläufte während des Völkermordens noch immer so zu leben – bis auf den stillgelegten Wagen –, wie er es seit jeher als ersprießlich gefunden.

      Für den Wehrdienst war er schon etwas zu alt, war auch im vorletzten Kriege aus irgendeinem Grunde nicht Offizier geworden, welcher Grund, gewissen Behörden unverborgen, auch hinderlich gewesen sein mochte, ihn mit öffentlichen Ämtern und Ehrenposten zu betrauen, ja, es hatte sogar seiner Aufnahme in die Partei, mit der er geschäftlicher Vorteile wegen geliebäugelt, im Wege gestanden. Ich pfeife darauf! pflegte er hier und da in vertrautem Zirkel zu äußern, seiner Ungebundenheit sichtlich froh. Aber zutiefst wurmte es ihn doch.

      Wie nur war es gekommen, daß er nun, in erdbeschmutztem, grobem Aufzuge in ländlicher Umgebung, allen gewohnten Bequemlichkeiten fern, gesunder und zufriedener aussah denn je, mit lärmend kindlichem Gefolge einer Behausung und einer Mahlzeit zuschreitend, die mit den früher von ihm bevorzugten Räumen und Speisekarten bestimmt nicht viel gemein hatte?

      Es ist eine einfache Geschichte, und doch, wenn man will, nicht ganz ohne Wunder.

      Gut, daß Bili nicht dageblieben ist! sagte sich Herr Pambel in jener Nacht der Wandlung, als die Alarmsirene heulte. Die Sirene hatte oft geheult, was sollte es groß sein. Aber Bili war leicht erregbar. In den Keller, Pambs, rasch, rasch in den Keller! So hätte sie geschrien. Er hatte mit Bili eine gute Flasche auf den Frieden getrunken, auf den beiderseitigen wie auf den allgemeinen; denn ihm war klar, genau wie ihr, die als Oberstenwitwe ansonst auskömmlich dastand, daß nun das gute Leben mitsamt den guten Flaschen haltlos davonschwimme. Und danach hatten sie eine zweite Flasche getrunken, weil Bili es so gewünscht, auf, ja, auf was? Sie hatte es ihn erraten lassen wollen, er aber hatte einen aufkeimenden Verdacht gefühlt, daß sie ihn festzulegen gedenke, und war etwas kühler geworden und hatte ihr über den Rand des Glases hin zugeblinzelt: Auf gute Kameradschaft!

      Und dann hatte sie spöttisch erwidert, derlei habe ihr ein anderer auch schon angeboten, und ob das in dem Hause so üblich sei. Eine Bemerkung, die nicht dazu angetan war, die Zärtlichkeit, die Herr Pambel für diesen Abend erhofft, zu fördern. Und es war dann schließlich von Herrn Blomengart die Rede gewesen, der zwei Stock tiefer wohnte und dessen Frau sie kannte und, wie sich längst herausgestellt, ihn selber auch. Herrn Pambel war es nicht alltäglich, die Namen anderer Herren in seiner Gegenwart mit wehmütiger Stimme genannt zu hören und schon gar nicht mit Tränen in den Augen, und schließlich hatte Bili sogar herzbrechend geweint, nachdem sie ihm, Herrn Pambel, vorgeworfen, er sei gräßlich alt geworden, und er ironisch erwidert hatte, sie hingegen scheine ewig jung zu bleiben, so jung wie die reizende Porzellanfigur, die ein dänischer Bildhauer einst nach ihrer jungen Schönheit geschaffen und die sie als Abendgeschenk mitgebracht hatte.

      Aber sie waren beide zu erfahren, um sich nicht alsbald wieder zu vertragen, und es war dann wie ein Abschied gewesen von ihrer beider ach schon so fernen Jugend und von allem, was schön gewesen war. Es war nämlich derzeit noch nicht lange her, daß Bili und er sich neu befreundet hatten. Selbst nach dem Tode ihres Mannes hatte die Scheu vor dem Vergangenen und mehr noch die ausgedehnte Schar der Verehrerinnen Herrn Pambels dazwischengelegen, und erst, nachdem auch Bilis beide jungen Söhne vorm Feinde geblieben, hatte sie auf Pambels herzlichen Beileidsbrief hin, und da sie einander sowieso ein paarmal im Treppenhaus begegnet waren, wieder ein wenig zu ihm gefunden, ohne daß an eine nähere Verbindung, wenigstens von seiner Seite, gedacht worden wäre. Und somit war es auch zu diesem Abend und ihren Tränen gekommen, und daß sie schließlich, schon in der Wohnungstür, leise sagte: Leb wohl, Pambs, wir wollen uns nicht mehr wiedersehen. Es wäre kein Leben für uns beide.

      Nun heulte draußen die Sirene, ein Weinen wie durch Lautverstärker widerlich verzerrt. Nein! knurrte Herr Pambel ins Kissen: Mich rührt derlei die Katz, ob leise, ob laut. Die Bedrohung seiner junggesellischen Freiheit deuchte ihm der behördlichen Zumutung gleich, die von ihm erwartete, sich stracks in den muffigen Keller hinunterzubegeben, dem sogenannten Luftschutz zuliebe. Er lächelte und vernahm trotz des Lärms das Schaben seiner Wange am Bettlinnen; selbst die sorgfältigste Rasur hielt nie bis Mitternacht. Liebste, allerbeste Bili! seufzte er dann, das Rauhe bedenkend, das Rauhe des Daseins, das sich so mannigfalt zu äußern vermochte. Die Bewunderung seiner Unerschütterlichkeit, darin er sich gefiel, versuchte sich stirnrunzelnd zu halten.

      Indes gedachte er, wieder einzuschlafen.

      Das Haus lag, fünfstöckig, in stiller, wenn auch eng bebauter Wohngegend; keine wesentliche Industrie war in der Nähe, kaum eine Flakstellung; nur Zufallstreffer konnten sich hierher verirren, und gegen Zufälle ist auch im tiefsten Keller niemand sicher. Die Bomber würden sich hüten, ihre teure Last unnütz wegzuplempern. Immer war es hier bislang gutgegangen, kaum eine Scheibe entzwei. Und im Keller waren anderswo schon Leute erstickt oder ertrunken, während die, die auf der Etage geblieben, heil davongekommen waren. Das bißchen letzte Freiheit auch darin, so sagte sich Herr Pambel weiter, sollte ihm keiner rauben. Mochte es draußen noch so impertinent nun brummen und röhren und knallen und jaulen, mochten die Wände beben und die Fenster klirren, hier war ein wackeres Herz, das einem anständigen Schicksal vertraute. Und eigentlich war es nun doch bedauerlich, daß Bili gegangen war, jetzt, wo Gelegenheit gewesen wäre, zu erkennen, daß er so alt denn doch noch nicht sei, um etwa zu zittern, und auch, wie wenig stichhaltig ein Urteil sein kann, das von einem verzwickten Einzelfalle her vorschnell den Stab über einen ganzen Charakter zu brechen sich unterfangen hatte. Ich bin nicht feige, Bili, sieh es selbst! Und selbst damals war ich es im Grunde nicht.

      Und damit gedachte er des grausamen Tages vor Verdun, und es war über ein Vierteljahrhundert her, wo er, schon Feldwebel, seinen Zug an ein — wie er durchschaut zu haben gemeint — sinnloses Unternehmen hatte setzen sollen. Selbst damals, Bili, war es mehr Liebe und Eifersucht, und wenn der andere denn schon Leutnant war, gut, sollte er den Vortritt haben, und wenn er dich so liebte wie ich, Bili, so sollte er wissen, daß ich mich nicht vor die Hunde schicken ließe, damit er deshalb triumphiere, weil er vielleicht übriggeblieben wäre. Was also blieb dem Ehrgeizling zu tun, als selber zu gehen, nachdem allerdings das üble Wort aus seinem Munde gezischt war, das alberne Wort: Feigling. Mir hing es seitdem an, ich weiß, aber übler war doch noch, daß er mit einem Heimatschuß davonkam und nach Haus und es ausnutzte und du sein Opfer wurdest, Bili, indes ich mich weiter schinden mußte. Laß nur, ich habe späterhin mein Teil Vergnügen anderweitig gefunden,

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