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Stadt oder vielmehr das, was so trostlos von ihr nachgeblieben war, hätte es nötiger gehabt und hatte nichts davon, nicht den kleinsten Stintschwanz.

      Die Törin aber sang, und keiner nahm sie für voll.

      Sie kam bis an die Uferkante. Dort, in dem engen Bunker des Postens, der vormals die Gegend hatte bewachen sollen, hauste der Fischknecht, falls er jemals da war. Dann auch lag sein Boot auf den Strand gezogen, ein derbes dickes Boot, das einzige, was ringsum erhalten geblieben war, und sein angebliches Eigentum, und es wäre schwer gewesen, es zu stehlen; auch war das, was daran beweglich war, samt den Seestiefeln, sorgfältig unter dem panzerstarken Lukendeckel verschlossen.

      Viel Mißgunst lagerte um dieses Boot.

      Die Törin sang auch daran vorüber. Und der Fischknecht blickte ihr nach.

      Wenn man mit den Augen nicht zu hoch hinaus will, sagte er sich, dann ist es so übel nicht.

      Sie dürfte nur nicht singen.

      Man möchte ihr beinah etwas geben dafür. Aber was hätte sie schon Handfestes zu tauschen?

      Und er blickte in die Wolken und auf seine Armbanduhr, es war Zeit, wieder auf Fang zu fahren.

      Die Fabrik stellte Bausteine her aus dem Schutt der Häuser und verkaufte sie an die große Stadt, wo schon wieder Industrie und Geld wuchsen. Für die kleine Stadt gab es keine Bausteine, die Bewohner hausten weiter in den Kellerlöchern, gingen in die Fabrik, mahlten Schutt, verbuken ihn zu Ziegeln, erhielten ihren Stempel und Lohn und erstanden die kargen Lebensmittel, die aus dem Erlös der Steine herangeschafft wurden.

      Der Verwalter der Schuttziegelei war zwar vom Staate fest angestellt, hatte es aber auch nicht viel besser in der undichten Bretterbude, wo er nebst dem bißchen Behörde und mit seiner Tochter untergekommen war.

      Er war ein ehrlicher Mann. Er verwaltete auch den Schuppen mit den Vorräten.

      Das genügte, ihn mit Bosheit zu belauern.

      Seine einzige Tochter, das war die kleine Törin, die Bucklige, die einfältige Sängerin.

      Sie war seine einzige Freude, und so unnachsichtlich er gegen jede Nachlässigkeit im Betrieb einschritt, die Törin durfte tun, was sie wollte, spät aufstehen, vergessen, den Ofen zu heizen, vergessen, die Mahlzeiten zu bereiten, vergessen, das Geschirr und die Stube zu säubern.

      Jedoch sie nutzte es selten aus, war früh zugange, hielt alles in Ordnung, soviel an dem bißchen, was der Zerstörung entgangen, zu halten war, kochte, deckte auf und ab, wusch, schrubbte, flickte, stopfte und besorgte alles zur rechten Zeit.

      Was Wunder, daß auch sie der Neid umrankte derer, die fauler oder zermürbter waren als sie oder ungeschickter.

      Sie aber wuchs still dahin unter dem Efeu und den Mispeln des Abspenstigen, und ihre zierliche, liebreiche Stimme hob sich wie ein zarter Wipfel über den Verfall, die Öde und die Ungüte, als sei in ihr die vergangene Blüte des Ortes aufbewahrt.

      Moiji hieß sie, Moiji, so nannte ihr Vater sie.

      Ihre Mutter war den Soldaten erlegen, ihre Brüder gefallen, ihre Schwestern verschleppt.

      Und nun erreichte es auch ihren Vater.

      Niemand hatte gewagt, ihm ins Gesicht zu meckern, aber die Verdächtigungen, er habe sich nicht nur an den Vorräten, sondern auch an seiner übergedrehten Tochter vergriffen, genügten zu seiner Festnahme.

      Die Törin aber sang noch eine Weile weiter, zwischen den Höhlen zuseit der ehemaligen Gassen, und die Kinder gnickerten ihr nach und bewarfen sie mit Schuttbrocken. Doch dann kam die Sache mit dem Fischknecht. Seine Beute, die vormals als ziemlich belanglos gegolten, hatte er, den Bedarf ausschlachtend, in schwärzesten Tausch umgezaubert und Entsprechendes dafür in Besitz genommen, Gerät und Behang, ja sogar eine Armbanduhr aus angeblichem Gold, von der großartigen dicken Wollmütze ganz abgesehen und von den Sonntagsschuhen. Für die aber hatte er seine Butt wohl etwas eilig verhumpst, sie waren ihm sichtlich zu eng.

      Dem sollte man den Untersatz wegpusten! murrten die Kellerlöcher: Haben wir nichts, brauchen andere auch nichts. Und seine Katze sollte lieber unsere Ratten fressen als den guten Fischabfall.

      Es kam so weit, daß einer jener Schiefmäuligen, der einige Munition zu verbergen gewußt, gelegentlich eine Sprenggranate unter den Bootskiel schob; und somit ging auch dieser Glanz dahin, der letzte der kleinen Stadt, der solide Fischerkahn. Und auch die Katze war mit draufgegangen.

      Der Fischknecht schlich gekrümmt wie ein böser Angelhaken umher, schnupperte in alle Löcher, als wolle er den Täter erschnuppern; oho, welchem Beton von Ehrbarkeit, Ahnungslosigkeit und empörter Gekränktheit begegnete er überall. Er ließ nicht locker. Schwankend vor Ingrimm, geriet er zur Dämmerung ins Kielwasser des Singsangs, der die störrischen Visagen wie üblich ein wenig ans Freie zu locken verstand. Hieß es eben: Der letzte Glanz? O je, wie stand es mit dem kleinen Singsang der Törin? Keine Sorge, sie sang noch. Aber wer schon fand Besonderes dabei? Der Fischknecht gedachte es nur als Köder zu nutzen. Gierig folgte er der zarten Stimme, die wie alltäglich ungefragt und kostenlos hin und her zog durch die traurigen Winkel. Aber die struppigen Schädel, die eben hervorgeschlüpft waren, der Törin an die Beine zu schielen, verduckten sich restlos, als sie des Fischknechtes Sonntagssohlen heranknirschen hörten, und auch die Kinder entflohen. Seine großmächtigen Wasserstiefel und selbst seine Holzpantoffeln waren mit dem Boot in die Luft geflogen.

      Du bist die rechte Sirene, knurrte er der Törin nach; denn er hatte aus den Zeiten, wo es noch Bücher gegeben, manches Absonderliche behalten, unter anderm auch das mit den Sirenen, die lieblichere Töne hervorzubringen wissen als die Signalpfeifen der Fabriken, Luftwarnungen und Ozeaner.

      Schließlich blieb die Törin stehen, und als er heran war, sagte sie mitten in ihrem Gesang: Und du willst ihn erdrosseln?

      Das will ich, antwortete der Fischer. Und wenn du mir das Saustück zeigst, hier auf der Stelle.

      Was hättest du wohl zu geben? lachte die Törin.

      Er überlegte nicht, so aussichtsreich erschien ihm die Frage. Was du willst! sagte er gierig.

      Gir mir deine Uhr, sagte sie und kam dicht an ihn heran.

      Aber erst ..., meinte er und wäre etwas zurückgewichen, wenn nicht die elenden Mauerbrocken und das enge Schuhwerk die Beweglichkeit gehindert hätten. Da fühlte er ihre Finger auch schon an seinem Handgelenk, und die teure Uhr löste sich von ihm.

      Wie also heißt das Schwein? fragte er drohend.

      Es ist noch nicht genug! lächelte sie, und ihr Gesicht blickte rund und milde zu seiner Ungeschlachtheit auf.

      Nicht genug? Das wäre noch schöner! brummte er. Jedoch er brummte lange nicht so, wie er wohl hätte toben mögen. Es gafften nämlich schon wieder ein paar borstige Schnauzen über die Kellerschwellen und, über die Schultern gedrückt, zwei, drei hohle, hungrige Kindergesichter. Die Törin lächelte weiter und sagte: Deine Mütze muß ich auch haben, die ist auch ergaunert.

      Erlaube mal, polterte er und richtete sich auf, um das gute Stück aus der Reichweite zu entfernen.

      Und deine knackigen Schuhe auch, sagte sie.

      Er wollte ihr höhnisch den Rücken kehren. Es wurde ihm zu dumm. Zumal ihre Stimme höchst verändert und eindringlich geklungen hatte. Du bist wohl verrückt, knurrte er, aber er kriegte die Beine nicht recht von der Stelle. Zieh sie doch aus, sagte Moiji sonderbar leichthin: Sie drücken dich ja doch nur.

      Der grobe Fischkecht schnappte nach Luft. Derartige Frechheit war ihm noch nicht vor den Bug gelaufen. Sie sah ihn merkwürdig an, wandte sich nun ihrerseits und ging weiter und sang.

      Was denn sang sie? Nicht viel. Wie meistens, nur dieses:

      Hol über, Cherub,

      komm mit deinem Boot!

      Am andern Ufer

      gibt es keine Not,

      so hörten wir.

      O

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