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an den Fenstern und an den Außenwänden gegen das Eindringen der Nässe verwandt hatte und über dessen Herkunft glücklicherweise nichts bekannt geworden war. Er hatte es einfach bei den Malern gestohlen. Und sonderbar, er bereute es nicht, er freute sich noch diese letzte Nacht in seinem mageren Bette diebisch darüber, nicht so sehr der gelungenen Tat, sondern daß Lambert nicht auch noch dafür gerupft werde. Und nur dieser Umstand, daß Dirik selber wenig mehr als Mühe davon gehabt, mildert seine Verworfenheit, die denn im Himmel vielleicht als verborgene Anhänglichkeit an die, die er liebte, gewertet werden mag, wenn eben Liebe wirklich das ist, was so oft bloß nachgeredet wird, nämlich das Größte.

      Den anderen Mittag, kaum daß er noch Sebaldas große Speckpfannkuchen nebst Sauerkraut in aufgeräumterer Art denn je gewürdigt hatte, wurde Dirik vom Fronvogt abgeholt, der ihn vors Tor zu geleiten hatte. Da blickte er sich noch einmal verkniffen schätzend und geradezu schmunzelnd in den Räumen um, lobte die Arbeit, schlug dem Sohne auf die Schulter, bedauerte, daß er nun vorerst um den brav verdienten Gesellenlohn geprellt werde, und empfahl ihm, dennoch bald die gewünschten Vorhänge für die Mutter zu beschaffen. Dirik war es gegönnt worden, daß er sein Handwerkszeug mit in die Fremde nehmen dürfe, so daß Sebalda sein Bündel zünftig schnüren konnte, indem sie die Habseligkeiten, die sie für nötig befand — obgleich er nur mit der Axt von dannen wollte — um den Axtstiel und das Richtscheit rollte und anordnete: sein verschlissenes Sonntagswams, in Eile noch einmal gesäubert und nachgesehen, ein paar leichtere Schuhe, ein Bettlaken, etwas Unterwäsche, ein paar Filzsocken, auch Brot und Käse und — heimlich — den Rosenkranz aus Korallen mit dem schwarzen Kreuz. Es sah aus wie eine Art Liktorenbündel, darüber sie zu gutem Halt das rote wollene Halstuch schlang, das noch von Lamberts Kinderzeit da war. An den Wulstenden verknotete sie es fest und dennoch unschwer lösbar mit einer derben Hanfschnur, von dem unerschöpflichen Speicherlager hergeliehen, und es wurde zugleich ein Tragriemen, der um die Schulter reichte. Auch die Wasserflasche, die seine tägliche Begleiterin zur Werft gewesen, fand Platz daran, von Lambert noch einmal mit der klaren Frische aus der Feldbrunnenleitung Ecke Cremon gefüllt. Zuguterletzt brachte noch ein Nachbar voll neugierigen Mitgefühls und gleichsam als Eintrittsgeld für die hart betroffene Stube einen derben Knotenstock, der einem seiner Vorfahren als Hirtenzeichen und Hundeschreck gedient hatte und unnütz im Winkel faulenzte.

      Somit war Dirik fertig für die Wanderschaft, die keine Rückkehr haben durfte in diese Stadt. An der Schluchzenden vorbei mit einem kurzen Blick auf das trübe dahinsickemde Fleet murmelte er etwas von dem zu früh weggeworfenen Muschelhorn und ging, ohne ihr die Hand zu reichen, denn dann wäre ihm wohl allzuschwer geworden, so rasch wieder loszulassen, das sah man ihm an, wie er nun vor dem Fronknecht auf die Stiege trat und der Schädel ihm starr wie ein Pfropfen in die Schultern geschlagen schien, und er ins Dunkel tauchte und — schon meinend, es sähe keiner mehr — sich mit geballter Faust hart übers Gesicht wischte.

      Sebalda entsann sich dieser Bewegung lange. Es hatte ausgesehen, als reiße er mit Gewalt alles zunichte, was ihm an Gewesenem allhier und je vor Augen gestanden hatte. Und sie bog sich daraus ihre Entschuldigung zurecht und gleich für Lambert mit, daß sie beide wie angewurzelt zurückgeblieben seien in der hübschen Wohnung, für die er nun ins Elend ging; sie warf sich innerst auf, daß er alles vorbedacht habe, um ja auf zwangsläufige Weise endlich von ihr wegzukommen, und stand nicht an, es ihm bitter übelzunehmen, daß die Leute aufs neue Stoff zu hämischen Bemerkungen hatten und sie sich kaum mehr auf die Straße wage. Sie war ihn los, Dirik, den buckligen Brummerjahn, der erst fröhlich wurde, als er ging, und die Nachbarweiber hatten manchen Tag noch über einen Ausspruch gelacht, den die schielige Dürten Brackebüdel tiefsinnig hinter ihm her gezetert hatte: Den hätten sie auch lieber geköpft oder gehenkt, wenn er man bloß einen Hals hätte! Und Sebalda hätte so gern schon das Recht der Witwen auf einen untadeligen Nachruf für den Abgeschiedenen beansprucht.

      Der Fron mit zweien der Schinderknechte und zwei Stadtreitern brachte Dirik über die Cremonbrücke zum Grimm und durch die Gröningerstraße und über die Schweinebrücke. Brauerknechte, Küfer, Tuchfärber und was sich hier niedergelassen hatte und dazu das bunte Gewimmel der Speicherarbeiter verstopfte Fenster und Türen mit den neugierigen Gesichtern, hing gaffend an den Windentauen, staute sich auf den Beischlägen und Treppen, voller Vergnügtheit, im sauren Tagewerk ein Schlupfloch zu finden. Kein Bedauern hob sich hervor. Leben und Tod, Lust und Strafe standen nah, alltäglich und kraß nebeneinander, heute mir, morgen dir, es gab keine, Brücken dazwischen. Und die Budenweiber auf dem Fischmarkt warfen die silbrig rosa glänzenden frischen Stint handvoll wie ein kaltes Feuerwerk in die Luft, das Glück der Freiheit und des gewohnten Daseins freudig am Unglück eines andern messend.

      Hinterm Schopenstehl an der Mauer der Domherren entlang wurde es stiller, und es war sogar ein wenig Mönchsgesang aus den verborgenen Gärten zu vernehmen. In der Steinstraße aber begann die Trommel zu ertönen, und hier auch wuchs die Schleppe an Janhagel und Gassenkötern, vorerst noch gebändigt im ewig fesselnden Anblick der amtlichen Gewalt. Der Stadthenker saß drohend würdig auf einem riesigen schwärzen Gaule. Die beiden schnauzbärtigen Stadtsoldaten, deren falbe Pferde auffällig kleiner waren als der Rappen, hielten sich, halb in Panzer, halb in Leder, den Spieß hoch aufgestellt, in gemessenem Abstand. Sie betonten sichtlich, daß ihnen als ehrbaren Soldaten jede Berührung fernstehe mit dem, der trotz aller Wichtigkeit ein ehrloses Gewerbe ausübte und zu dessen Begleitung sie beordert waren, da er es seinem Vertrag nach verlangen konnte, also geehrt oder — wenn man es genau nahm — beaufsichtigt zu werden, der Herr Vollzugsbeamte und Scharfrichter, der sich gekleidet hielt wie ein Fürst, damit er sein gelbliches wendisches Gesicht nicht verbessern konnte. Er blickte leutselig umher, als zähle er seine Schätze, die nach Köpfen gerechnet wurden, und jedermann wich seinen stechenden Augen aus, die sich ihrer Gefährlichkeit allzu bewußt waren. Auf Ärmeln und Schabracke führte er das weißrote dreitürmige verschlossene und abweisende Wappentor der Stadt und die Farbe, die er als Untergrund dafür bevorzugte, war ein giftiges Gelb, das derzeit im Ansehen der Frommen echt höllisch war und Streit und Verderben anzeigte, wie es zu seinem Amte paßte.

      Eben vor dem schwarzen nickenden Roßhaupte stapfte Diriks Buckel dahin. und es sah aus, als hinge er an dem bunten Stabe, den der Fron geneigt in der Rechten hielt, wie an einer Angel. Vor ihm und wie er zu Fuß gingen die beiden Schinderbüttel, und der eine rührte die Trommel und tat sich was darauf Zugute, daß seine Schlägel aus den zarten Wadenbeinen einer jugendlichen Kindsmörderin gedrechselt seien. Der andere trug einen Spaten geschultert. Beide Henkersknechte hatten sich nach der neuesten burgundischen Mode, die tonangebend war bis nach Nischni Nowgorod hin, einen breiten Ledergürtel umgeschnürt, mit kleinen silbernen Schellen besetzt. Ihr Kittel aber und die eng anliegenden Hosenstrümpfe waren abgenutzt und von angespritztem Blute schwarzfleckig und übelriechend wie eine alte Fleischerschürze. Auch hatten sie die spitzen aufgebogenen Edelschuhe, mit denen sie bei besseren Gelegenheiten zu stolzieren pflegten, in der Rosenstraße gelassen, wo ihre krumme Kate bei der Abdeckerei stand. Sie trugen ihre ältesten Holzschuhe, vielfältig beschädigt im Umgang mit glühendem Eisen, Nagelbrettern und widerspenstigen Verurteilten.

      Als sie gegenüber St. Jakobi am Konvent der Blauen Schwestern vorbeikamen, öffnete sich dort unter dem knöchernen Lärm das Fenster der Pförtnerstube, und eine der Beginen reichte einen Zinnbecher dünnen Weines an Dirik, wie es einer milden Stiftung nach zu geschehen pflegte um der guten Werke wegen, die den Himmel öffnen nach den Fingerzeigen derer, die den Himmel zu verwalten vorgaben. Denn hier entlang ging es zum Galgenberg für die gewöhnlichen Diebe, die man der blutigen Mehrarbeit und größeren Unkosten und der größeren Ehre des Schwertschlages auf dem Brooke nicht für würdig erachtete. Zum Brooke, das wäre vom Steckelhörn auch wohl ein allzu kurzer und gewohnter Weg gewesen. Dirik nahm und trank, und die, die ihn gekannt hatten, die aber unter dem nachgaffenden Straßenmüll standesgemäß nicht zu finden waren, hätten sich gewundert, mit welch täppischer Höflichkeit er dem Mütterchen den geleerten Becher zurückreichte, wie er sich so bucklig kratzfüßig verbeugte und vernehmlich seinen Dank und Wünsche für gute Gesundheit und ein gesegnetes Ende hervorbrachte, indes die Trommel die Weile sich ausruhte. Wie er dann in die Runde der Twietenflegel lächelte, denen sich wie üblich die nach Abwechslung lüsternen grünen Kühe oder Freudenmädchen aus der Straße Katrepel zugesellt hatten, und wie er sogar über diese seinen Blick schweifen ließ, weil ein paar mitfühlende Worte seine spitzen

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