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bar, in Kummer und Hoffnung und immer mehr in ergebenem, fast heiterem Gleichmut zu Tode verdorrt war.

      Bevor es nun in innerer Milde ganz mit ihm zu Ende ging, beschäftigte ihn oft ein gewisses Muschelhorn. Der Wächter im Teufelsturm berichtete später vielsagend grinsend darüber an Dirik, daß der Gefangene manchmal sonderbar vor sich hingebrummt habe, als blase er eine Art Horn, und habe auch darüber vor sich hingeredet, als sei es irgendeine kostbare und fremdartige Sache, und habe sich darin auch nicht mehr stören lassen, wie doch sonst die langen Jahre, wenn die Luke aufging. Alle seine Vorgänger an Wächtern könnten die gleichen unangenehmen Erfahrungen mit dem Jähzorn des Eingekerkerten bestätigen. Aber nun sei er sicherlich allmählich irren Sinnes geworden und ganz sanft und umgänglich, ganz ohne die früheren Wutausbrüche.

      Der Dominikaner Hieronymus Knestel machte eine ähnliche Erfahrung, als er auf einer Leiter zu dem Sterbenden hinuntergestiegen war und nichts Gescheites bei ihm ausrichten konnte mit den bewährten Formeln der Seligkeit. Der Gefangene, dem ein zerfranster Gürtel, daran man noch etwas Goldstickerei erkannte, doppelt um die Lenden ging, sah in seiner verfilzten weißen Wildnis von Haar und Bart und unwahrschein lich abgemagert mehr einem Märtyrer denn einem Sünder gleich oder mehr einem Eremiten und Asketen, wie sie vormals die Zierde der Kirche gewesen. Und es ging eine stille, rührende Glückseligkeit von ihm aus, die gleichwohl dem, der zu richten und zu trösten gekommen war, reichlich voreilig und keineswegs der Hauch des Göttlichen deuchte. Dennoch vergaß Bruder Hieronymus auf Augenblicke alle klösterliche Litanei und horchte verwundert auf das, was hier aus der Dürftigkeit mit leiser klarer Tönung leuchtete und sich Zu wohlklingenden Sätzen formte, die, obschon friesisch, ihm nicht unverständlich blieben, stammte er doch selber von der Küste. Desto mehr erstaunte es ihn, wie solch gröblich gewesener Seebauer, dessen Herkunft und Schicksal ihm bekannt waren, zu solch gehobener Sprache gelange, es erinnerte ihn fast an den heidnischen Römer Publius Ovidius, dessen Ars amandi in einer abgegriffenen Handschrift heimlich in den Zellen zu Sankt Johannis herumgereicht wurde. Der aber, der hier aus zahnlosem Munde vor sich hinsprach, hatte es bestimmt nicht aus Büchern. Es mochte vielleicht sogar ein Gaukelwerk der Hölle sein, was in dem trüben Verließ aus der armen Hülse des Verbleichenden funkelte. Und es schien, als vermeine der, ein Horn, ein Muschelhorn, wie er es nannte, in den Händen zu halten und gar darauf zu blasen, so wie seine Söhne es als Kinder ohne Erfolg versucht, und daß es ihm angeblich wunderschön zu tönen beliebe, er sich auch, obschon er so elend in beginnender Auflösung dalag, auf dem Vorderkastell eines großen, herrlich dahinsegslnden Schiffes zu befinden glaubte und sich plötzlich entschuldigte, daß ihn in vergangenen Zeiten, da er es hätte reichlich haben können, nie danach gelüstet, und die Angst, so früh wie sein Vater in der Fremde zu verderben, ihn abgehalten habe, anders als nur zur Begutachtung der Fracht oder zu irgend welcher Verklarung an Bord zu gehen. Leider habe derlei Vorsicht sein eigenes Verderben nicht aufhalten können.

      Nach einem gelinden Seufzer schwieg der Scheidende, und Knestel wollte nun seinerseits ansetzen und begann das große Sterbegebet, das denen geweiht ist, die aus der Gemeinschaft der Gerechten ausgestoßen sind, da aber sprach Imel Abdena weiter und hatte nunmehr alle Sorgen und Betrübnis abgestreift; denn sein Blick richtete sich gleichsam in eine unendliche Ferne, allwo ihm unbekannte und schöne Länder aufzutauchen schienen, schöner und reicher und friedevoller als die, die seine Heimat gewesen, und er setzte in überirdischer Fröhlichkeit an, sie jemandem zu zeigen und zu erläutern, und dieser jemand war, den liebreichen Redewendungen nach, weder der Beichtiger noch etwa der Engel Gabriel oder sonst einer, der in der letzten Not entsprechend gewesen wäre, sondern es schien ein Mädchen zu sein, das er neben sich auf dem schwankenden Vorschiff und recht nahe zu haben vermeinte, und er nannte es Sebalda und kleiner schwarzer Schmetterling — was letzteres auf Friesisch noch zärtlicher klingt — und riet ihm, einen gewissen Rosenkranz aus roten Korallen lieber ins Haar zu flechten. Gerade nun wollte der Dominikaner sich in geziemender Dringlichkeit seines Amtes entsinnen, da aber war es vorbei und keine Möglichkeit mehr, den plötzlich friedlich Entschlummerten mit den üblichen Ausweisen für den Himmel zu versehen.

      Sebalda hatte ihren Sohn Lambert genannt, weil Imel einmal davon gesprochen, seiner Mutter sei der Name Lambert lieber gewesen. Sie waren miteinander auf dem Wege nach Bremen, Imel und sie, beide gut zu Pferde, es hatte geregnet, die Straße war durchweicht, sie konnten nur langsam voran, und es hatte sie gefroren, da hatte er seinen Mantel noch über ihren gehängt, und es war ihm dabei die Geschichte vom barmherzigen Samariter eingefallen, als wunderte er sich selber über seine Freundlichkeit, und hatte es dann mit der Geschichte von Lazarus verwechselt, und da hatte sie lachen müssen, worauf er erbost sich nach gewohnter Art aufs Kinn geschlagen und allgemein über die Unwichtigkeit von Namen gewettert hatte, um danach eben zu erwähnen, er habe um ein Haar auch so ähnlich wie Lazarus geheißen.

      Nur gut, daß Dirik nichts von der Herkunft des Namens wußte. Denn das war es, warum Dirik nach der Geburt des Kindes immer ducknackiger umherging, als habe er seinen Vater nun erst richtig betrogen und wolle das Gesicht in Reue und Scham mehr und mehr zu Boden senken. Alle Bittkerzen und Stiftungen nützten nichts, sein Gewissen wurde immer dunkler. Und erst, als sein Vater gestorben war, wagte er, den Blick ein wenig zu heben, betrachtete das Kind aber immer noch von der Seite, sagte ihm auch kaum ein Wort, weder zart noch hart, und blieb auch schweigsam und scheu gegen Sebalda, als sei manches nicht mit natürlichen Dingen zugegangen.

      Sebalda ahnte längst, daß seine Bedrücktheit weniger wegen seines Vaters sei. Und eines Tages stichelte sie so lange in seine brütende Schweigsamkeit, bis er plötzlich losbrach, und wenn es sie auch fast das Leben kostete und er sie zum erstenmal mit roher Faust schlug, so wußte sie von nun an um seine lächerliche Sorge. Er glaubte nämlich, das Kind sei nicht von ihm. Der Junge sah ihm nicht ähnlich, er sah mehr aus wie Ate, der jüngste Bruder Diriks, von zarten Gliedern, schmal mit gewölbter Stirn. Nur die wasserhellen Augen und die Ohren, unten und oben abstehend und in der Mitte anliegend, waren die der allgemeinen Abdenas, seine Haare aber waren schwarz wie die Sebaldas. Sebalda redete nicht gegen Diriks Verbohrtheit an. Sie war sich keines Fehltritts bewußt, aber der Gedanke, daß vielleicht auf geheimnisvolle Weise Imel der Vater Lamberts sei statt Dirik, schien ihr merkwürdig tröstlich und beschwichtigte die Vorwürfe, die in mancher Nacht mit Imels erstarrtem Gesicht vor ihrem Lager standen.

      Auf den grauen Dielenbrettern lagen verstreut die Perlen ihres Rosenkranzes. Einige waren von Diriks Stiefeln zertreten, andere sahen wie Blutstropfen aus. Die Schnur hatte nicht gehalten, als ihre Hände sich hineingekrampft hatten. Nur das kleine schwarze Kreuz war in ihren Fingern geblieben.

      Dirik schluckte längst mehr an seiner Lächerlichkeit als an seiner Wut, indes er noch immer tobend auf dem krachenden Speicherboden umherrannte. Und mitten in einer heftigen Bewegung seiner Fäuste, die über der starr hingesunkenen kleinen Gestalt an unsichtbaren Verhängnissen schüttelten, stand ihm jäh das Bild der ungeheuren indischen Kröten vor Augen, als sei er selber so ein Tier voll Honigmilch und mit goldenen Haaren und als sei plötzlich alles sinnig und langsam, so brüllend und ungewohnt wendig er auch umhertrampelte, und er wunderte sich so, daß ihm der Atem unterm Buckel stehenblieb und er halb erstickt sich umdrehte, gewiß, sich selber in sanftmütiger, wenn auch scheußlicher Gestalt mitten unter der Dachluke auf Wiesen voll fremdriechenden gelbgrünen Krautes weiden zu sehen. Er starrte in die qualmende Glasigkeit des breiten Sonnenbalkens, der von den wurmstichigen Dielen aus in den offenen Himmel aufzuragen schien, als sei gerade hier der Stützgrund und die Verankerung für die ewige Unendlichkeit, die sich lächelnd wölbte über allen Dächern und Kammern und was die Menschen an Kisten für ihre armen Bedürfnisse und Verkriechungen gezimmert hatten. Und in einer Kante des schrägen leuchtenden Strebepfeilers, der von dem aufgewühlten Staub neblig funkelte, als sei er aus dem gleichen Stoffe wie die Milchstraße, hing wie ein rostiger unvollkommener Mond das Muschelhorn. Es hing dort so prangend und begehrlich, sich zu ründen und überschwenglich zu gleißen, daß Diriks gewürgter Zorn und Atem sich hilfesuchend daran klammerten, daß er ganz wie ein Ertrinkender oder zu Boden Schlagender mit den Händen danach griff als dem nächsten Halt und es herunterriß von dem mürbe gewordenen Stück Hanffaden, den Sebalda vor Jahren einen Stock tiefer aus irgendeiner der lagernden Rollen Schiffstau herausgeziept hatte und es daran aufgehängt, und der so wenig hielt wie die Korallenschnur.

      Nun hielt er das Stück wieder zwischen den groben

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