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wertlos wurden und der Städtehändler mächtiges Gefüge, proper und vor Reife raschelnd, in den natürlichen Mahlgang aller Dinge entschwand.

      Es verfing aus solchen Gründen also weder bei den hohen Herren noch bei den Wächtern, die zu Hamburg seit je sich nicht schlechter als ihre Herren erachtet, daß Sebalda bald hier bald dort in Innigkeit selber ihre Bitten vorbrachte, den Häftling zu sehen. Nicht einmal das, was sie und Dirik an Zubrot und Getränk hintrugen, kam in seine Hände, auch nicht die warme Decke, als es kalt wurde. Dirik, von Anfang an mißtrauisch und ohne Hoffnung, kam dahinter, daß die Wächter alles für sich gebrauchten. Er beschwerte sich bei deren Hauptmann. Der erwiderte kühl, es komme dem Gefangenen auch so zunutze, indem die Wächter ihm geneigter seien dadurch, daß mittelbar sie Vorteile durch ihn erfahren hätten.

      Man wird müde, Wasser in einen Topf zu füllen, wenn man nicht länger leugnen kann, daß der Topf ein Sieb sei. Außerdem sah Dirik sich nach Jahresfrist gezwungen, sich nach bezahlter Arbeit umzusehen. Er ließ sich, weil er nichts anderes gelernt hatte, in die Brüderschaft der Schiffbauer eintragen. Die zu hinterlegende Gebühr besaß er zwar nicht mehr, aber Sebalda hatte noch das Muschelhorn. Sie hatte es damals mitgenommen, als sie heimlich aus Friesland entschwand, und hatte es wie das Gebein eines Heiligen bewahrt. Nur zögernd rückte sie es heraus, wollte aber keinesfalls auch noch den Rosenkranz aus Korallen hergeben.

      Dirik ließ es bei dem Muschelhorn bewenden, denn er ahnte schon, daß selbst das kleine Kreuz aus Ebenholz kein gängiger Wert für eine weltliche Einzahlung sei. Wie er nun das Muschelhorn in den groben Händen hielt und abschätzend die wässerigen vorstehenden Augen darauf richtete und finster schnaufend der entschwundenen üppigen Zeiten gedachte, sowie des Jammers um den Vater, und, den Kopf zwischen den mächtigen Schultern, hilflos und stotternd, selber als ein Bild des Jammers dastand, da drehte sich in Sebalda das niedergehaltene, seit langem ungespeiste Gefühl, so, wie die Ebbe umkentert in die junge Flut, und von da an begann Imels Gestalt und Glorie sich hinter Dirik zu verbergen, und sie empfand es vorläufig als Mitleid mit Dirik und seiner benachteiligten Körperlichkeit, wie es schon immer etwas Mitleid gewesen war und etwas Grauen vor ihm, der ein viereckiger Klobenstapel von Mensch war, dreimal so breit aber kaum größer als sie, und der häßlich war und krötenähnlich und von schweren Füßen und schwerer Zunge. Auch hatte er keineswegs die zarten Hände des Vaters. Aber er war gutmütig. Er war nicht einmal zu bewegen gewesen, die beiden Wächter am Teufelsturm umzubringen, ja nicht einmal einen, indem Sebalda sich wohl zugetraut hätte, den andern selber zu erledigen. Dirik war ein biederer Handwerker, ein guter Sohn und Bruder. Ja, wie ein Bruder hatte er sich ihr gegenüber benommen. Und wenn die Nachbarsfrauen, von denen sie Bohnen und Rüben kaufte, neugierig sie auszufragen gedachten, dann nickte sie abweisend, wenn die Vermutung auftauchte, sie sei nichts als die Schwester des armen Buckligen.

      Nun hatte sie ihm das Muschelhorn gegeben, das ihres Lebens Krönung und Wappen gewesen und das Unterpfand dessen, den sie in alle Himmel hoch verehrt hatte und an ihn geglaubt. Jetzt mußte es für das nackte Leben reichen. Und ihre einzige Besorgnis war nun, daß Dirik es in seinen Pranken etwa zerbräche.

      Aber Dirik hielt es ungemein behutsam. Sie mußte auf einmal lachen, da es aussah, als halte er eine Puppe oder gar einen Säugling, so täppisch zierlich versuchte er, seine Baumwurzeln von Fingern geschmeidig der Form anzupassen, damit es ihm nicht entgleite. Es war lange her, daß Sebalda gelacht hatte, dieses kleine glucksende aufzirpende Geräusch, es tanzte silbern über Diriks bekümmertem Geschnaufe hin.

      Denn da er nun das merkwürdige Erbstück und Wappenbild aus dem Besitz der Familie zu geben gedachte, spürte er, wie sehr er das Muschelhorn geliebt von Kind auf, und ihm fiel ein, daß nebelhafte Geschichten über seine Herkunft, sein Schicksal und seine Verrichtungen im Hause gespukt hatten und daß Ate eben vorm Schlaf mancherlei darüber gesponnen, der seltsame weichmütige Knabe — niemand wußte, wo er das krause Zeugs her hatte — über Störtebeker selber zum Beispiel, der dieses Muschelhorn zu Granada von einem Maurenkönig als Gastgeschenk erhalten habe im Austausch gegen eine halbe Tonne Hamburger Bier, und mit dem Horn zugleich einen Mameluken dazu, der es zu blasen verstanden habe, besser als der Turmtüter auf dem Dom zu Bremen das seine, und der konnte doch sogar einen ganzen Psalm. Das Musizieren darauf aber habe den Vitalierfürsten allzu trübe gestimmt und ihn an manchen Fehlschlag erinnert, zumal daran, daß er sich für fähig gehalten, ein Weltreich Zu schaffen, darin jedermann lustig sein sollte. Darum habe er das Muschelhorn weitergeschenkt an seinen liebsten Freund, an Großvater Bojer Abdena, den Mameluken aber behalten, und den habe der Vater selber noch gesehen und sich bekreuzigt, als sei es der Leibhaftige. Da aber der Großvater hinterrücks niedergemacht worden sei, als die Vitalier sozusagen ganz friedlich ein Nonnenkloster besichtigen wollten, habe denn Störtebeker das Muschelhorn als Andenken an den Toten und als Zeichen der Treue den Abdenas mitgebracht.

      Störtebeker war indes selbst längst vermodert, schuldiger als Imel Abdena, der das Geschenk übernommen hatte, und vielleicht großartiger. Und auch der Mameluk war sicherlich längst dahin. Und nun hatten sie auch Imel unschädlich gemacht. Aber das Muschelhorn war noch immer da, und noch hielt er, Dirik, es in Händen. Der Maurenherrscher, wie Ate damals zu spinnen wußte, mochte es aus unbekannten Ländern bezogen haben, über geheimnisvolle Meere jenseits der Weltscheide, über Alexandria und Ophir, von den Goldinseln Salomonis her oder von den vor Gewürzduft ganz in lilienfarbenen Nebeln gehüllten Gestaden Indiens oder Zipangus. Dort war es bei dunkelhäutigen, mit Vogelfedern, Korallen, Elfenbein und Schellen aus blauen Karfunkeln bekleideten Völkern zu festlichen Eröffnungen geblasen worden und dann, wenn die großen Kröten im Schlaf gewiegt Wurden. Die großen Kröten? Sollte es ein Stich auf ihn, auf Dirik gewesen sein, von dem der Vater selber in Wut und Enttäuschung durch das Haus schrie, wenn er genügend getrunken hatte: Ich hab eine Kröte als Stammhalter! Und es der Mutter zur Last gelegt, obschon sie ihm fünf weitere Söhne geboren hatte und alle wohlgewachsen. Aber Ate war ganz und gar ohne Falsch und und ein Kind. Und wußte viel über die großen sanften und klugen Tiere zu erzählen, die dort zu Kalikut statt der Kühe gehalten würden, wo sie nicht nur eine gelbe, nach Zimmet und Honig schmeckende Milch gäben, sondern ein Fell aus echten Dukaten hätten, die wie Haare wüchsen und ab und zu geschoren werden müßten. Darum pflege man sie dort besonders und blase ihnen Wiegenlieder vor mit solchen Muschelhörnern, mit noch hundertmal größeren als dieses.

      Dieses Muschelhorn war immerhin wie zwei aneinander gelegte Männerfäuste groß. Es hatte übrigens im ganzen eine Form, die mehr einer gestreckten Öllampe glich denn der eines Horns. An seinem dickeren Ende hinter dem größten Umfang war es jählings dreifach schneckenhaft zur Spitze gewunden, sonst aber bauchig und schön gewölbt, und am andern Ende, ein wenig seitlich gedreht, schwang es schmal und gestreckt aus. An der Schnecke war ein goldenes Mundstück angesetzt, das blütenhaft aus einer Ranke hervorging, die um die Windungen verankert war. Von außen hatte der schöne Panzer, der einem sonderbaren Meerestier Wohnung gewesen war, eine hellrote, stumpfe, steinhafte Färbung mit dunkleren Riefen und rötlicher runenhafter Zeichnung, daraus die goldene Ranke vom äußersten Rande hervorzugehen schien, erst dünn und blaß, dann in unermüdlicher Windung sich bis zur Schnecke hinschraubend, wo man den Übergang zu dem aufgesetzten Metall kaum wahrnahm. Die Öffnung nun zog sich seitlich in flachem Zirkelschlag hin, auf der einen Seite scharfkantig, auf der anderen, ihr zuschwingend, eingebogen gerundet gleich einer überkämmenden Welle, wasserglatt, weißlich gesträhnt, verschäumend gleichsam in die purpurn dämmernde Höhle des Innern, die sich dem tastenden Finger als seidig glatt und kühl offenbarte.

      Selbst Ate hatte allerdings nicht darauf blasen können. Er hatte aber, wie alle die Abdenaskinder zu ihrer Zeit, desto öfter das Ohr daran gelegt und sicher mehr herausgehört als nur das leise Echo der Brandung, darin das Seegeschöpf gelebt haben mochte.

      Der Älteste der Schiffbauer auf dem Brooke zu Hamburg versuchte weder darauf zu blasen noch das Ohr daran zu legen, sondern hatte nur einen muffigen Blick für die ungewohnte Art der Zahlung, die Dirik ihm anbot. Eine Muschel oder Schnecke von solcher Größe hatte er zwar noch nie gesehen, aber was sollte er damit. Er bequemte sich nach einer Weile einzig, den Beschlag näher zu beäugen, ungnädig aufseufzend aus feuchtem Barte, die runzligen Lider auf Schärfe kneifend, die zackigen Brauen hissend, das ehrbare, zum Schlagfluß neigende Haupt wiegend — wie die milchgebenden Kröten zu Indien in Schlaf gewiegt wurden,

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