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und billig, was er besaß, und mehrten damit das Ihre, froh, daß Übermaß gezapft werden muß. Den Söhnen und Töchtern Imels blieb fast nichts; fand man doch auch allüberall auf den Wiesen und Sänden bestätigt, daß die Brut untergehen soll, wenn der Brüter zu Schaden kommt. Die Verwandten gaben auch bald den Hamburgern zu verstehen, daß nicht sie es gewesen seien, die den Seeraub verteidigt hatten, sie lieferten sogar den Greis Hönris aus, mit dem und dessen Knechten ohne Verzögerung abgängig verfahren wurde, so daß den alten Vitalier so spät noch die Strafe traf für manche Schandtat.

      Imel Abdena aber, der freie Häuptling der Friesen, saß, obschon nicht in Ketten, im Teufelsturm hinter den Raboisen zu Hamburg und sah nichts mehr von der Welt als das, was er von sich selber sah, und den salpeternden Backstein ringsum und die Luke, in die man ihn hineingestoßen und sein armes Lager und das Ungeziefer und das wandernde Licht der Tage und Nächte, das durch die Eisentrallen einer winzigen Fensterscharte fiel. Und manchmal, wenn die schwere Luke in den Angeln kreischend sich den Morgen öffnete und die Hakenstange herniederfuhr, um den Wasserkrug aufzuholen und ihn gefüllt wieder herunterzuhieven — die Leerung des Dreckkübels aber geschah nur jede Woche — und ein Stück schwarzes Brot lieblos hinterher polterte, sah er neben der prallen Wächterschnauze das bleiche Gesicht eines Dominikaners und ahnte, daß es auf seine Schwachheit lauere, auf sein letztes mattes Stündlein, um ihm salbungsvoll Beichte und Reue herauszuwürgen und gnadenreich den letzten Trost zu spenden, der auch den Sündern nicht versagt bleiben soll nach dem Willen derer, die mit dem Pfunde Gottes wuchern.

      Dann schoß eine glühende Wut in Imel hoch, und er krallte die schwachen Hände in den Bart, der ihm ungeschoren und bald eisgrau und mählich bis zum Gürtel reichte, und dann brüllte er ungeheuerlich Tag und Nacht und rannte den platten Schädel gegen die Mauer, bis er schäumend und in Krämpfen zu Boden schlug und wieder still wurde.

      Inzwischen war die, die Imel Abdenas Bestätigung und sein Verderb gewesen, in Hamburg verblieben, und man könnte meinen, sie habe ihm nahe sein wollen in immer der Hoffnung, daß sein Los sich wieder zur Freiheit und zu neuem Aufstieg wende. So hatte sie zu Anfang auch gedacht. Und sie war für Dirik sehr dienlich, dennn der konnte sich mit seinem Friesisch nicht überall verständlich machen.

      Dirik mochte gleichfalls nicht weichen. Er schämte sich, unverrichteter Sache heimzukehren. Die Wochen und Monate zogen davon, und sein Herbergsgeld verzehrte sich, zumal doppelt daran genagt wurde. Er setzte sich mit Leuten in Verbindung, die das gleiche Handwerk wie er gelernt hatten, und so kam er unter der Hand zu einem billigen Unterschlupf auf einem Spei cher, darin Schiffstaue lagerten. Sebalda nahm stillschweigend Wohnung bei ihm, denn sie besaß selber nichts mehr, hatte sie doch gleich allen eigenen Schmuck für das Lösegeld weggegeben. Und schon war ein Jahr verstrichen, und die Meinung des Rates lautete immer noch: Wir wollen inmaßen obgemeldeten Ersuchens gewisser Gnade zu erwägen nicht von aller Hand weisen, können einen endgültigen Entschluß dem gemeinen Besten zuliebe aber in Anbetracht sonderer Bewegnis, als mit gewesener Übeltat männiglich verwirkt ist, hinfürder nicht stattgeben, eh nicht der erlittene Schade und die abgenommenen Güter billig ersetzet und, daß damit in Zukunft dergleichen Beteiligung an Seeraub und verbotenem Handel unterbleibe, gebührende Sicherheit gegeben werde.

      Das klang auf Platt nicht weniger umständlich und ablehnend. Und wie sollten wohl die beiden dafür gerade stehen, daß die Wölfe zu Friesland zu Lämmern würden. Hatte man dort anfangs auch den Hansen die Finger geleckt, kam doch bald der alte Reißezahn wieder zum Vorschein, der den Saft des Kaperhandels nicht entbehren mochte.

      Sibold Papinga übrigens war es, Imels Stiefvetter, der das gute Schloß an der Ems gegen ein Lächerliches übernommen hatte und nun seinerseits den großen Herrn spielen wollte, als stäke der Übermut in den Mauern, und er taufte es um auf Siboldsburg und tat bald, als sei er der Zwingherr über ganz Friesland, ärgerte auch die Bremer und Hamburger weidlich, indem er deren Tuche, die er den Ausliegern in Bausch und Bogen abnahm, zu halbem Preis ins Westfälische hinein verkaufte. Als die Hansen endlich mit Kriegsvolk über Norden her ins Land fielen, brachte auch er seinerseits genug Knechte auf, es lag deren noch von Imel Abdenas Glanz her mancherlei unnütz und lungernd um Emden und Delmenhorst herum, und er wäre der Stadtspieße auch Sieger geblieben, hätten nicht seine eigenen Brüder und Vettern, in Gemeinschaft mit Enno Cirksena und Onkel Sibert, voll Sorge, Sibold möge höher steigen als sie, und in Gedenken an Imels Anmaßungen, sich den Hansen angeschlossen. So ging auch Sibold dahin und wurde auf den Wiesen erschlagen, hatte es derart also vielleicht besser getroffen als Imel.

      Danach zogen sie, Hansen wie Friesen, über die Emsfeste her und zerstörten fast alles, was da prächtig geragt hatte, mitsamt den beiden Türmen. Als solle alles vertilgt werden, was an Imels Überschwang erinnerte. Auch seine Besitzungen zu Emden nahmen sie, wo Embke sich eingenistet hatte, behauptend, seine Urahnen seien allda schon als Stedinger und lange vor den Abdenas seßhaft gewesen, aber er wehrte sich nicht lange, von seinen eignen Leuten im Stich gelassen. Cirksena hatte Recht gehabt, einen Bund aller anzustreben, da Einigkeit und Mut selten geworden waren, indem nunmehr jeder lieber für sich leben wollte als für alle sterben, ein Standpunkt, der nur gut ist für solche, deren Leben schwer ersetzlich ist für die Allgemeinheit, und davon gibt es nicht viele.

      Die Hansen jedenfalls maßen keinem der Friesen solch überragende Bedeutung zu außer eben Imel Abdena, sie nahmen auch an, daß seine Landsleute ihn gleich hoch einschätzten, und das war ein Grund mehr, ihn nicht sofort umzubringen, sondern ihn als Pfand, ja, geradezu als Lockmittel und letzten Trumpf für schwierige Verhandlungen aufzusparen. Die Mitglieder der Hanse konnten sich solche Verfahren nach Gutdünken leisten, sie hatten um die Zeit fast soviel Macht wie in vormaligen Jahrhunderten der Papst, sie, die Gemeinschaft der Kaufherren aller großen Städte Deutschlands, die den Umsatz mit den sichtbaren irdischen Gütern betrieb, wie die Kirche den mit den unsichtbaren himmlischen, und man sah, beider Geschäft war geeignet, die Herrschaft über die Welt auszuüben, denn nicht darum geht es, wie wichtig dasjenige sei, was man der Begier des Menschen, seine Unvollkommenheit zu bedecken, hinreicht, ob es sich nun um die Vergebung der Sünden oder um die Ankreidung von Wolle handelt, sondern es kommt auf das Geschick an, denen, die darauf festgelegt werden sollen, die Unentbehrlichkeit des betreffenden Gutes beizubringen. Und ganz entschieden kam derzeit eine Strömung auf, dem Geiste der Hanse dienlich, die heiteren irdischen Güter höher einzuschätzen als die zumeist bedrückenden himmlischen.

      Störenfriede, Zweifler und Eigenbrötler sind schlechte Abnehmer von Massengütern. Um sie auszumerzen, wird kein Unrecht gescheut, aber die Macht der Verteiler, die so Preise als Stempel verwalten, stempelt Unrecht um zu Recht. Die Stempelgläubigen sind damit zufrieden und glauben, nun wahrhaft des rechten Rechtes teilhaftig zu sein. Andere finden sich klüglich damit ab, und nur, wer das Verhängnis hat, Neigung zu eigenen Stempeln zu besitzen, macht sich das Dasein unbequem und läuft Gefahr, niedergestempelt zu werden. Denn nur wenigen gelingt es, selber die alten Stempel durch neue zu ersetzen und altes Recht durch neues, indem sie behaupten, altes Unrecht in neues Recht zu verwandeln, und wirklich die Macht dazu erreichen. Man muß sie bewundern. Und sind sie nicht die großen Erfüller uralter Gesetze? Die Umpflüger der Welt, die Landwirte des Höchsten? Die da aufbauen, indem sie zerstören, die da erhalten, indem sie vernichten. Denn das Korn muß geköpft und geprügelt werden, damit es seines Ballastes ledig werde, und muß fortgeworfen und eingescharrt werden, damit es auferstehe, und muß zerrüttelt zermalmt zerschunden ertränkt gewalkt und in den Ofen geschoben werden, damit aus seiner Marter und Vernichtung das Brot des Lebens werde.

      So ergeht es allem, das hoch und fruchtbar auf dem Felde des Schicksals wächst, und so auch vollendete sich das Walten der Hanse in einer Zeit, da manches sich umwerten sollte, und die neuen Stempel, sie abzulösen, wurden schon geschnitten. Vorläufig aber war es noch ihr Recht, diejenigen, die ihrem Wachstum im Wege waren, auszurotten. Dirik und Sebalda jedoch machten sich keine erklärenden Gedanken über den Sinn von Imels Unglück, sie wollten, daß er lebe, und wollten selber leben. Darum warfen sie allen Besitz bedenkenlos in die hamburgische Waage, obschon die Gegenschale, darin das Leben Imels lag, von den Krämerfingern niedergehalten wurde. Wog denen der Friese auch mehr mit als ohne Kopf, und hätte es also kaum der beiderseitigen Anstrengungen bedurft, so konnte doch der Kaufmannsgeist nicht umhin, den Preis zu nehmen, der geboten wurde für etwas, das man auch billiger hätte liefern können. Das war jedoch kein Grund,

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