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und doch so nackt und geschunden, verräuchert und ergraut aus den leeren Höhlen aufstierte und ein krasser Hohn war, sonst nichts, ein höhnisches Grinsen über alles, was den Abdenas großartig erschienen war: Schloß und Getürme und die glänzenden Pferde und die Herden der schwarzweißen Rinder und die Ebenen blanken Saftgrases bis weit hinter die Kimm und die Horden der Knechte und Gepanzer und Geglitzer und der hohe Lärm der eigenen Werften und der eigenen Flotte und die breite Gewißheit, prächtig zu sein und immer noch prächtiger zu werden. Er vergaß die Geducktheit oder wollte nichts mehr davon wissen, in der die Söhne Imels ihr Lebtag umhergegangen, ihm war plötzlich alles herrlich und aufgerichtet, was ihm oder seinen Brüdern, ja, selbst seinen Schwestern in der Fülle der Wohlhabenheit zugeschwommen, in den Machtbereichen des Vaters, des Obersten der Seelande, des Königs über allen Deichen, dem die Oldenburger und Bremer und Hansen und Brabanter schon erwartungsvoll die Gasse geöffnet, darin er zu gewissem Purpur und Hermelin hinzuschreiten im Begriffe gestanden. Und dieses gerupfte Meeresgeschöpf nun war das Füllhorn alles dessen gewesen und gähnte nun so totenleer Zu ihm auf, so wehleidig nun, anklagend nun, daß ein gewisser Held und der hochmögendste aller freien Friesländer es je aus den Händen verschenkt und damit sein Glück in den Wind geworfen habe, und er, Dirik, habe es nicht gehindert. Oho, was grinste ihn da an unsinnigen Vorwürfen an? Er den Vater hindern? Eher hindert ein Lamm einen rasenden Hengst, darauf eine Reiterin nicht Sporn noch Peitsche schont, ihn noch rasender zu machen, ohne Ahnung, daß die Wolfsgruben schon bereitet sind vor ihrem Wege.

      Die Reiterin, die schwarze Hexe, der das Muschelhorn von der schmächtigen Hüfte steil abschwang in ihrer jagenden Gier, das war Sebalda.

      Er sah sich nicht um nach dem dürftigen Haufen Leid, das daraus geworden war und nun in der Bodenecke lag und vielleicht ausgetilgt sein mußte für immer. Für immer, Sebalda, die kleine Sebalda, die für allen Übermut Büßende. Es wühlte ein Bienenschwarm in Diriks hölzernem Schädel und tanzte aus und ein, von dem Sonnenbalken in seinen Kopf und zurück und quer durch das Muschelhorn, daß es summte und seufzte. Oder seufzte es hinter ihm? Die kleine klägliche Hexe war noch bei sich und damit bei ihm. Und der kleine Junge war nicht da, der hatte Schule bei den würdigen Herren, die ihm auch Plage genug gewesen, denn alle hatten zartere Finger als er und glattere Zungen und wußten von den albernen Dingen mehr, von denen Sebalda wußte und er nicht, und von denen Ate gewußt hatte, sein jüngster Bruder, der Spintisierer und Schwächling, dem der Vater mehr gegönnt hatte als ihnen allen betreffs der Hochmütigkeiten, die mit schwarzen Zeichen Bindung und Unfriede und unnötige Mitteilungen unter Menschen bringen. Und Sebalda war es gewesen, die Ate mit Bevorzugung bedacht und ihn dadurch dem Vater empfohlen, und den Vater — siedend stieg die schändliche blinde Eifersucht noch einmal in Dirik hoch — mit Ate betrog, und ihn, mit dem Toten noch! Keiner hatte die weiche Art gehabt unter allen Abdenas, nur Ate und nun der Junge, und es mußte mit Hexerei zugegangen sein, und die Pfaffen mochten dabei geholfen haben.

      Aber plötzlich war Diriks große Anwandlung verraucht und quirlte davon in die Unwiederbringlichkeit, wie Bodenstaub und Herdqualm zur Dachluke hinaus, jetzt konnte er Sebalda nicht mehr totschlagen, nun, da ihr todtrauriger Seufzer aus dem Winkel aufkroch und sich gleichsam um seine Füße schmeichelte, um seine klobigen Beine, die eben noch umhergetrampelt hatten wie ein aufgereiztes Gespann Jochvieh, das dennoch nicht ausbrechen kann aus seinem Dienst und Geschirr.

      Er stand da und gaffte das Muschelhorn an, als sei es der Riegel an der Stalltür zur himmlischen Krippe, daran die Muttergottes saß, Vater Joseph neben sich, der das Kind liebend betrachtete und ein Zimmermann war wie er und ebenso sicher oder unsicher war wie ein gewisser heruntergekommener Abdena ob der Herkunft seines Sohnes. Das war es, was in Sebaldas erwachendem Seufzer ihm zuwehte, und er duckte sich, wie er sich zu Hause geduckt die Kindheit über und noch als Mann, wenn der Vater wie Gott selber über den Hof kam. Sebalda war es gewesen, die hatte diesen Allesgott verlockt, seinen Glanz zu offenbaren, wie Gott es doch nur selten tut, und es war kein göttlicher Glanz, wie rasch mußte sich das ergeben, ja ergeben an List und Gewalt, die vordem klein und verächtlich schon unter den Schemel seiner Füße gerückt schienen. Sebalda hatte Macht über Imel gewonnen, über Immanuel, denn so war seines Namens Ursprung, wie Propst Hisko bedeutungsvoll und erhobenen Fingers und mit verborgenem Vorwurf geäußert, als Dirik damals die Geleitschreiben gen Hamburg abgeholt, und daß der Name «Gott mit uns» heiße oder bei ihm womöglich «Gott sei bei uns». Nun aber hatte Sebalda Macht auch über ihn, der das Erbe dessen angetreten hatte, der damals lebendig begraben worden war und sich nicht hatte helfen können und es geschehen lassen mußte, was mit Sebalda geschehen war.

      Doch stach in ihrem Seufzer hinterrücks nicht schon die alte Kratzbürstigkeit hervor, die schlimme Sicherheit ihrer selbst und die Verachtung seiner blöden Aufregung? Es war unüberhörbar, selbst für ein so schwerfälliges Gestühl, wie er selber sich allezeit vorkam neben dieser kleinen Seufzerglocke, die doch nicht an ihm hing, sondern weit außerhalb an tanzlustigen Sonnenfäden. Glockenbiest, knurrte er das Muschelhorn an und drehte seine Schwachheit jählings wieder grob zusammen, als könne ein gewaltsames Seil, dreifach dicker als die Ankertaue im Speicher unter diesen Dielenbrettern, das rechte sein, die kleine seufzende Muschelglocke zu halten. Und spürte, wie es nichts mehr half, seine rohe Faust hatte zerrissen und vernichtet, was vielleicht nie an Verbindung zwischen ihr und ihm gewesen. Wäre sie nur tot gewesen. Nun würde die blinde Gelegenheit nie mehr zurückkehren, das zerbrechliche Wesen jemals wieder mit den Händen zu berühren, nun würde diese Sebalda immer neben ihm hergehen wie auf einem andern Deich und ihn spöttisch von fern betrachten: Du hast es nicht zuwege gebracht. Du mußt mich leben lassen!

      Es war zu schwer, was er in der Hand hielt; es drückte ihn in die Knie, was er zu sich heruntergerissen hatte. Verdrossen warf er das Muschelhorn zur Dachluke hinaus.

      Es blitzte fliegend auf, da die Sonne es nun vollends traf, als sei es eine Sternschnuppe am lichten Tag oder gar die Taube des Heiligen Geistes, die unter dem Auge Gottes im Dome schwebte; es blitzte davon eine Spur Befreiung zu Dirik hin, so als habe er sich auf genehme Weise gerächt dadurch, daß etwas davongeflogen sei durch seine Kraft, ja, als sei es der unfaßbare, heimtückische Nebenbuhler selber, und er erschrak dennoch über solch sündhafte Verquickung seines kleinen eigenen Unglücks mit erhabenen Dingen. Er lauschte halslos, schwitzend, indes der Sonnenbalken sich brennend auf seinen flachsigen Scheitel und seinen Buckel stemmte, und er hörte betroffen das platschende Aufschlagen und ein verlorenes Abgurgeln vom Fleet heraufschallen. Und lachte gröblich auf, um sich selber gut zu heißen, seine hoffnungslose Art aus ungeschlachtem Knorrenholz, er, der in sich mehr von der Art seines jüngsten Bruders und von den zarten Händen seines Vaters trug, als er es je hätte wahr haben mögen — und doch wäre er glücklicher gewesen, hätte es ihm jemand gesagt.

      Sebalda aber fand in diesem Lachen nur bestätigt, daß ihre Hochachtung sich wahrhaft nur einen unverzeihlichen Notbehelf ausgesucht habe, daß Dirik wirklich nichts gewesen sei als das fühllose Denkmal derer, die sie wahrhaft geliebt. Sie, die es hätte erspüren müssen mit dem gerühmten Vermögen des Weibes, das Verborgenste der Natur zu erwittern, sie versagte hier, da sie keine Neigung besaß, etwas zu finden, was sie nicht gesucht hatte. Imels gröblichster Abglanz war es gewesen, den sie um Dirik als einen nebligen Krönungsmantel gelegt. Der Mantel war zerflattert. Ein mühseliger, buckliger Rohling war nachgeblieben. Es reizte sie nicht, unter seine finnige Haut zu dringen. Eine Verbindung mit ihrem Kinde vermißte sie nicht. Mochte es auf geheimnisvolle Weise Imels oder Ates Kind sein, ihr war es von Herzen recht. Mochte auch das lächerliche Muschelhorn nun nicht mehr der Mond unter diesem morschen Dachhimmel sein. Dirik hatte nichts anderes mehr gewußt, sie zu verletzen, er hatte sicher geglaubt, ihr das Liebste zu nehmen, das sie besaß, und war es auch nur ein totes taubes unnützes Gehäuse, er hatte vielleicht geahnt, wie sehr ihre Seele darin gewohnt, und dennoch sollte und durfte er nicht recht behalten, zumal er nun die Tür zuschlug und von dannen knatterte, als sei es damit erledigt, einfach mürrisch wegzugehen und grobe Arbeit, Knechtearbeit zu tun wie bisher. Die Zerschlagene erhob sich ächzend, ihr Rücken schmerzte, ihr Mund blutete, wo seine widerliche Hand sie getroffen.

      Sie sah schlimmer mitgenommen aus als an dem Tage, da sie einst zu Fuß sich durch die Lüneburger Heide geschleppt und oft drauf und dran gewesen war, das Muschelhorn, das ihr armes Bündel immer unerträglicher belastet, in die Ginsterbüsche zu werfen. Aber sie war in ihrer betrüblichen

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