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hätte nun Sebaldas Triumph sein können zu sagen: Siehst du allmählich ein, daß es nichts als dein Sohn ist? Aber Dirik merkte es selber, welch unnützen Lärm er vollführt hatte, und wurde nur noch verdrossener und schweigsamer deswegen. Sebalda hatte nichts mehr, daran sie sich begeisternd entzünden konnte. Sie hatte zwei klobige Bären zu füttern, die gerade soviel ins Haus brachten, um dort wohnen zu bleiben, wo man schon so lange gewohnt. Immerhin hatten die beiden eines Wintertages, als die Arbeit auf dem Brook wegen des Frostes und mangelnder Aufträge zu ruhen begann, Balken und Bretter zum Dachboden heraufgeschleppt und schweigend und gemessen den Raum mit schabenden knirschenden und krachenden Geräuschen erfüllt, so daß selbst Sebaldas Haare einen blonden Schimmer bekamen vom Staub des klingend trockenen Föhrenholzes und der Haferbrei nach Sägemehl schmeckte.

      Sie zogen Wände und setzten Türen ein, wodurch drei getrennte Räume entstanden, das heimliche Gemach, das nach außen über das Fleet hing, ungerechnet, das hatte Dirik schon gleich nebst dem offenen Herd beim Einzug eingefügt, da der Speicherboden beim Bau Zum Wohnen nicht geplant gewesen.

      Seitdem hatte Sebalda eine richtige Kammer für sich, und auch die Küche war für sich, und die beiden Männer hausten zusammen auf der andern Seite der Küche auch in einem abgeschlossenen Raum. Sebalda gedachte da ihres Rosenkranzes, kramte die Perlen hervor und zog sie auf eine neue Schnur, die sie, wie alles Bindgarn zum Hausgebrauch, eine Treppe tiefer aus dem unerschöpflichen Lager zupfte, und sie betete auch gleich in alter Andacht, die sie so lange vernachlässigt hatte, indem sie einen eigenen und minder schönen Rosenkranz gleichsam als eine heimliche Anklage gegen das höchste Gut und in lauer Gewohnheit gebraucht hatte. Nun wurde der alte unbenutzbar gemacht, da er einige seiner Holzperlen herleihen mußte für die Korallentropfen, die derzeit zuschanden gekommen waren. Sie wollte nicht mehr daran denken. Das Geräusch der Tischlerei hatte sie oft genug in diesen Tagen an die zerberstenden kleinen Kugeln erinnert, von denen Propst Middelmann gemeint hatte, auch in ihnen hätten einst tief in der See kleine Lebewesen gehaust.

      Da die Männer Zeit genug hatten in den flauen Wochen und das Holz das Jahr wohlfeil war, verschalten sie auch noch die morschen Dachsparren, doch erst, nachdem sie sowohl in Sebaldas wie ihrer Kammer je eine richtige Gaupe in die Pfannen gestoßen und fachmännisch gerichtet und bekleidet, so daß es je wie ein kleiner Sonderverschlag war, sie auch die gehörigen Fensterrahmen selber zuschnitten, verzargten, mit eisernen Winkelbändern versteiften und mit Angeln und Riegel versahen.

      Sebalda war wirklich drauf und dran, sich für die beiden Zauberer neu zu erwärmen, und nur, daß es die Tage, da noch kein Glas beschafft war, um die Kälte abzuhalten, heftig zu schneien und hereinzublasen begann und die plötzlich entstandene schöne Aussicht auf die Spitzdächer bis nach Sankt Jakobi hin wieder mit Latten zugestellt werden mußte, dämpfte ihre Begeisterung, und auch, daß Dirik sich nur mürrisch das Kinn kratzte und an ihr vorbeisah, als sie sachte davon anfing, daß man nun wohl auch an ein paar Vorhänge denken müßte. O ja, er hatte ihre Verwunderung und Freude über die endliche Ausgestaltung des scheußlichen Loches, das ihr und ihm und Lambert so lange hatte zur Wohnung dienen müssen, heimlich und zutiefst eingesogen. Mochte daraus werden, was wollte. Aber an Vorhänge hatte er nicht gedacht. Vorhänge waren schwer zu beschaffen; denn Geld hatte er keins außer dem bißchen, was für Essen und Trinken draufging und für die Bittkerzen zu Imels fraglichem Seelenheil. Sebalda trug — zu seiner innersten Beschämung — auch noch immer dieselben Gewänder, die sie sich von der stillen Einkunft aus der Schreibarbeit am Dom erworben hatte. Für sich selber und Lambert übrigens besorgte Dirik das derbe Arbeitszeug bei seiner Brüderschaft, die für ihre Mitglieder ein Lager hielt, wo es jedoch nichts Feineres gab. Die Beträge gingen vom Lohn ab. Für best hatte er selber nichts als das alte fadenscheinige Wams, das noch aus Friesland stammte. Lambert aber, da er herangewachsen war, mußte sogar in einem sauber gebürsteten Werktagskittel zur Kirche; denn der hatte vorerst überhaupt keine bare Münze ausgezahlt erhalten; im Gegenteil, solange er Lehrling und Putzlaputz war, mußte sein Vater noch für ihn beisteuern, und die Gebühr der Aufnahme mußte auch abgedient werden.

      Nach diesem Winter jedoch stand der erste klingende Löhnungstag für Lambert in Aussicht. Und da gerade kam es heraus, daß all das gute Holz, welches er so treuherzig mit in die Wohnung verbaut hatte, ohne Berechtigung vom Lagerplatz abgefahren worden sei. Gewiß, Dirik hatte im Herbst wohl den Oldermann deswegen gefragt, der aber hatte keine Möglichkeit gesehen, von dem knappen Verdienst Diriks und eben vor dem an Arbeit mageren Winter die Kosten einzustreichen.

      Der Lagerhalter aber, Angestellter der Brüderschaft, schob die Verfehlung allein auf Dirik, der ihm eines Abends eine schriftliche Anweisung vom Domkapitel vorgezeigt habe. Gelesen habe er sie nicht, er könne auch nur seine eigenen Ziffern und Krähenfüße lesen, aber er habe keinen Grund gesehen, Dirik zu mißtrauen, obwohl der Buckel ihn hätte vorsichtig stimmen sollen, der leichtlich das geheime Gemach irgendwelcher Gefährlichkeit sein kann, wie man wohl zu sagen pflegt. Er habe sich auf die Unterschrift verlassen. Dirik hatte aber einfältig einen Zettel hingehalten, den er zu Hause hatte umherliegen sehen und der nichts war als eine Aufforderung an Sebalda — noch von dem alten Propst her und ihr derzeit von einem der Domschüler überbracht — sich zu einer Abschrift einzufinden. Eine Entzifferung war zwar Dirik auch nicht gegeben, aber er wußte um den Inhalt, denn derzeit war Sebalda noch mitteilsam gewesen. Unverkennbar jedenfalls daran war das Sigili der Kurie, welches dem Namen unterfügt war und das niemandem unbekannt sein konnte, auch dem Lagerhalter nicht. Und der hatte im Frühling sodann die Rechnung für drei Klafter Bauholz verschiedener Stärken ins Stift geschickt und eine verwunderte Rückfrage erhalten.

      Dirik stand ungeschlacht vor den Älterleuten, deren einige schon im Winter Verdacht gesponnen hatten, es aber bis zur Ostersitzung auf geschoben; denn es lief ja nicht weg. Der Sünder verteidigte sich nicht auf ihre kopfschüttelnden Vorwürfe, er sah verdrossen zu Boden, er, der immer noch Knecht war auf der Werft trotz der langen Jahre ausgezeichneter Erfüllung seiner Pflicht und trotz seiner unzweifelhaften Tüchtigkeit. Und das war wohl die Ursache, daß er sich sein bißchen Aufwand erschwindelt hatte, diese Aussichtslosigkeit in seinem Alter. Er war ein Opfer des Unglücks, dem sein Vater erlegen war. Sein Vater hatte hoch hinaus gewollt, ein Adler mit Taubenflügeln, dessen Sturz selbst mit dem Tode noch nicht beendet schien, so daß sein Sohn noch für ihn weiter hinab mußte in die unersättlichen unübersehbaren Abgründe der geheimnisvollen Unerbittlichkeit, die sich Schicksal nennt. Man hatte ihn, Dirik, nicht zum Meister, nicht einmal zum Altgesellen ernennen mögen; man war zwar nie prüde in Hamburg, wenn persönliche Werte gegen allgemeine Gesetze abzuwiegen waren, aber des Menschen sündenumlauertes Dasein, das noch wenig Leidenschaften, diese aber desto heftiger kannte, brauchte derzeit strenge Fügungen, um das Leben in der Gemeinschaft erträglich zu erhalten. Wohin sollte es hinaussprießen, wenn man Söhnen von Verbrechern oder von zumindest gefänglich und sogar ohne Reue und Absolution Verstorbenen zu Ämtern und Ehren verhelfen würde? Es mußte schon als Ausnahme und pure Barmherzigkeit gelten, wenn man solch Nachfahren eines zumindest unzweifelhaften Dauergastes des Fegefeuers das bloße Brot gönnte, und nur Diriks bislang tadellose Haltung und eine unausgesprochene Spur menschlichen Verständnisses bei den Behörden hatten seinen Aufenthalt in der Freien und Hansestadt erduldbar gemacht. Und siehe da, hier schien die Vorsicht wieder einmal zu Recht bestätigt. Nun hatte alle Nachsicht zu schweigen. Denn eine angeblich vorbedachte und auch schon angebotene Abarbeitung des unter betrügerischen Umständen entwendeten Holzes stand jetzt schon gar nicht mehr zu Erörterung, zumal nicht für den Anstifter selber. Betreffs des Sohnes wollte man annehmen, daß er nur in gutem Glauben und kindlichem Gehorsam zu unbewußter Mittäterschaft gediehen sei, und ihm denn, Lambert, solle füglich gestattet werden, den leidigen Anlaß durch Fleiß und Tadellosigkeit zu tilgen.

      Dirik Abdena aber hatte die Stadt innerhalb zweier Sonnenuntergänge und bis zum Angelusläuten zu verlassen.

      Nach Diriks Verschwinden schienen viele Jahre in völliger Ereignislosigkeit hinzugehen, so war es Sebalda nachträglich. Sie hatte wohl in flüchtiger Aufwallung hervorgestoßen, sie wolle ihr armes Bündel gleichfalls schnüren, und Dirik hatte sogar den Mund deswegen verzogen und zum erstenmal mehr von seiner verkapselten und verwundbaren Seele gezeigt, indem er aussah, als sei er ein Kind, das aus tiefem Schlaf geweckt wird und nicht weiß, ob es lachen oder weinen soll. Er hatte die Nacht wie sonst in der Kammer geschlafen,

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