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nun in der Schwebung der schleiernden Dunkelheit erzählte Sebalda ihm von der Herkunft des Muschelhorns und von Imel, seinem Großvater, von dessen Reichtum und Macht, von dem Schloß und den fetten Höfen und von der ragenden Gestalt, von seiner Güte und Herrlichkeit und von seinem bitteren Ende.

      Der Knabe hörte sonderbar verbissen zu, indes das Muschelhorn in seiner Mutter Schoß lag und durch das Bad und die Säuberung, die Lambert ihm mit dem Wamsärmel hatte angedeihen lassen, erfrischt war in den Farben, so daß es noch im Dunkeln von einem regenbogenhaften Schimmer erfüllt schien, darüber die Riesen jetzt dunkelrot hinliefen wie ein langer Faden rinnenden Blutes. Sebalda gruselte es, aber ihre Zunge war nun gelöst, der Bericht hatte sie weniger erschüttert als befreit, und nun wollte sie auch von Ate erzählen, aber ihr Junge hatte nun genug. Er war noch bei dem prächtigen Schloß an der Ems, bei den runden dicken Türmen und bei den vier kostspieligen Kanonen aus gegossener Bronze. Er muß ja wohl mächtig stark gewesen sein, Großvater, meinte er in Gedenken seiner eigenen Niederlage den Morgen.

      Ungeheuer stark, keiner war so stark wie er, seufzte Sebalda und fuhr fort: Aber Ate war sanft, und das war hinwieder Ates Stärke.

      Lambert jedoch wollte sichtlich von Ate, Onkel Ate, nicht das geringste hören. Er meinte vorwurfsvoll: Wenn er wirklich denn so stark war, warum hat er sie nicht alle zu Mus gehauen, die Wächter und die Ratsmänner und alle, und hätte ja auch man die Steine rausbrechen können aus dem Teufelsturm an den Raboisen, wenn er da schon nicht mehr sitzen wollte ...

      Und er wandte sich unzufrieden ab und schnupperte nach dem Topf hin, darin die Abendsuppe dampfte.

      Der Teufelsturm an den Raboisen, den Sebalda nicht genannt hatte, um kein allzu nahes und schmach volles Andenken für den Knaben zu schaffen, war ihm also schon bekannt, und er schürzte die Lippen und sagte verächtlich, schon lange, obschon es erst seit den höhnischen Bemerkungen seines Mitschülers Jakob Prigge und seit diesem Morgen war. Worauf Sebalda schwieg in der Entdeckung, die jeder Mutter immer etwas verspätet ans Herz greift, daß nämlich der sorgsam gepflegte Weg zu den Ohren ihres Kindes, den sie als ausschließlich zu ihrer Verfügung ansah, schon längst von den Spuren Unbefugter zertreten wurde.

      Sie streichelte über das Muschelhorn, als sei es ein Ersatz dafür, daß sich der Junge ihrer Zärtlichkeit entzogen habe, die sie nicht wagte, zu wiederholen. Dann schrak sie zusammen, da die polternden Schritte Diriks auf der Treppe aufstiegen, und sie erhob sich jäh und katzenhaft und verbarg das Muschelhorn in ihrem Kleiderkasten, wohinein sie auch schon die roten Perlen des zerrissenen Rosenkranzes gesammelt hatte.

      Es war danach, daß Lambert sich weigerte, weiterhin ein Wolltuch um den Hals zu tragen, hatte er es doch auch sonst schon und mitten im eisigsten Winter heruntergewürgt, sobald er außer Sicht war. Er entrann der Fürsorge seiner Mutter in dem Augenblick, da er sich geschworen hatte in seiner gekränkten Knabenehre, daß er stärker werden wolle als sein Großvater. Er trug in seinem elften Jahre also den roten Wollfummel als Schärpe wie ein Seeräuber und steckte ein selbstgeschnitztes Holzschwert hinein, das seine Mutter auch nicht gern hatte. Und er führte weiter das große Wort unter den Nachbarskindern, an denen übend, was ihm mit den gleichaltrigen und älteren Mitschülern vorschwebte, sie nämlich allesamt in seiner Gewalt zu haben.

      Trotz seiner Zartheit vermochte er einige Knaben anzufeuern, und selbst die ewigen Streithammel und Besserwisser horten ihm manchmal zu, wenn er sich großartige Schlachtpläne ausdachte und für alles und jedes Namen und Bedeutung bereit hatte, so daß keiner der Mitspieler weniger als ein Hauptmann, Bürgermeister, König oder Admiral galt und kein Schragen weniger als ein Schloß und keine Bank, kein Bock, Schemel oder Faß weniger als eine Orloghulk, kanonengespickt und mit hundert Segeln. Mädchen waren bei solchen Unternehmungen nicht gern gesehen. Lambert, mit seiner zumeist belegten aufgeregten Stimme, konnte dann einen entsetzlich schrillen Schrei ausstoßen, so daß die gaffenden Flachszöpfe zusammenfuhren, und wenn das noch nichts half, beriet er mit ernster Miene, auf welche scheußliche Weise man sie martern und umbringen lassen könne, und übertraf darin die Fastenprediger in Ausmalung des Fegefeuers, bis die Mädchen wirklich bange wurden und von dannen stoben.

      Nur wenn Jakob Prigge in die Nähe kam, versagte ihm die Kehle, und er stand scheu und ratlos da, und wenn dem einfiel, ihn aufs neue mit dem Seeräuber von Großpapa zu hänseln, dann wich er der Bolzerei so lange aus, wie es nur immer vereinbar war mit Kränkung und Ansehen und der Hetze der Umstehenden, und wenn er auch nicht die feinen Hände Imels oder Ates geerbt hatte, so war er doch darin Imel ähnlich, daß er zögerte, Hand anzulegen, bis es ihm dunkel vor den Augen wurde und er in jäher Wut auf den Stärkeren eintrommelte und wie von Sinnen war und schließlich mit Schaum vorm Munde zu Boden schlug, bevor der Gegner sich noch richtig gewehrt hatte.

      Wohl kam er immer bald wieder zu sich und erhob sich plötzlich und federnder als jeder erwartet, indes der andere sich verblüfft wieder bereithielt und die Faust schon ansetzte. Aber Lambert wandte sich dann ab und hatte nichts als ein elendes Zusammenziehen der Schultern zu bieten, das wohl verächtlich sein sollte, und gewöhnlich kam auch schon einer der unterrichtenden Brüder herbei und mahnte zur Sanftmut. Dann pflegte Lambert ein wenig aufzuleuchten, und er nickte halb verdrossen, halb spöttisch, und jeder sah, daß er am liebsten laut geheult hätte vor Scham über sich selbst.

      Er lernte leicht. Und der Schulraum schien ihm nicht mehr so sehr aus Gittern gebaut. Aber Jakob Prigge verdüsterte ihm die freier werdende Sicht, und wenn auch der Dompropst selber — der Nachfolger Middelmanns — zur Nachsicht aufrief, so war Jakob, der Ratssohn, dennoch seines Standpunktes und seiner billigen Siege zu froh und hatte auch eine Menge Anhang, der es schließlich aus lieber Gewohnheit weiter betrieb, Lambert mit immer demselben Schimpf hochzubringen, dumm und zerstörend sich bewußt, daß ein toter Großvater nicht zu ändern sei.

      Somit trank Lambert kaum länger als zwei Jahre von den Vorquellen der Wissenschaft, die seine Mutter ihm durch persönliche Fürbitte — und da sie beim Domkapitel in guter Erinnerung stand — so kostenlos eröffnet hatte. Dann begann er den Unterricht zu schwänsen, bekam Hiebe und blieb ganz weg. Er trieb sich während der Schulzeit am Hafen und auf den Schiffen umher und vermochte zu Hause mehrere Wochen lang harmlos zu tun, als sei alles in Ordnung und er der Fleißigsten einer unter dem hohen Marienturme. Bis denn sein Vater ihn am Hafen schnappte auf einem Schiff, das frisch von der Werft gekommen war und an der Takelung den letzten Trimm erfahren sollte. Da saß der Bengel Lambert oben in der Saling des Großmastes und hielt einen der Bootsleute in der Arbeit auf, indem er ihm die Geschichte von seinem gewaltigen Großvater Imel Abdena erzählte und eine Menge dazu erfand, zum Beispiel, daß der Alte keineswegs selber im Teufelsturm gesessen, sondern einer seiner Knechte, der ihn befreit und sich dann mit seinem Barte für ihn dahin gesetzt; denn so treue Knechte habe sein Großvater viele gehabt. Und keiner habe den Umtausch gemerkt, selbst Ratsherr Prigge nicht. Und wo er jetzt sich aufhalte, Imel? Herzog Imel? Oder vielleicht schon König Imel? In Indien natürlich, woher sie das Muschelhorn hätten, und man könnte jeden Tag damit rechnen, daß Kaiser Imel unverhofft angesegelt käme und Rache nehmen würde bei gewissen Leuten. Er würde aber auch allerhand Gutes mitbringen, Rosinen und Messer und Stiefel und silberne Rüstungen, auch Pferde und echte Mohren und Papageien und Hammelbraten und eine Kerze für den Dom dick wie der Mast, aber länger.

      Dirik pfiff sich den Märchenerzähler auf Deck herunter und verabreichte ihm eine Ohrfeige, die merkwürdig gelinde ausfiel. Denn Dirik hatte vor der Schule wohl insgeheim eine abergläubische Hochachtung, und wäre sein Sohn nur etwas mehr äußerlich der seine gewesen, so hätte der väterliche Stolz wohl verletzter sich gezeigt als jetzt. — Dir wäre wohl erst richtig, wenn das Kind einen Buckel hätte wie du! So hatte Sebalda geschrien, als er sie damals schlug. — Aber dieser dünne Flaps, der schon jetzt aussah wie ein hungriger Magister, sollte nicht eines Tages von oben auf den anders gearteten Erzeuger herabblicken. Und somit nahm er den Jungen von da ab mit zur Werft und erwarb das Einverständnis des Oldermannes entgegen der wohlwollenden Meinung der Domherren und entgegen Sebaldas Meinung, aber mit Zustimmung dessen, der eine höhere Laufbahn damit für immer ablehnte.

      Und sonderbar, in der harten Arbeit auf Spantenplatz und Helling veränderte sich Lamberts Schmachtigkeit in kurzer Zeit. Er wuchs in die Breite und wurde sturnackig und schwerfüßig und seinem Vater ähnlich

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