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bis denn der Fron ihn barsch mit dem Stocke berührte und der Schinderbengel die reizenden Schlägel aufs neue ertanzen ließ und der Zug ging weiter. Dirik spürte das Getrappel der Hufe dicht auf den Fersen und das warme Schnaufen und Prusten der Nüstern und das knurksende Kauen am straff gezügelten Gebiß eben hinter seinen Ohren. Es lockte ihn fast, sich umzuwenden und die samtenen Roßmäuler zu streicheln, seiner Jugend gedenkend, da sie in den Emshöfen dergleichen vollauf in Stall und Maifeld gehabt.

      So also ging der ungefüge bucklige Abdena gehorsam an seinem Wanderstock dahin, der Schindertrommel und dem dünnen Geklirr der Gürtelschellen nach, hinter den eitel wippenden weiß und roten Mäntelchen der Schergen her, hinter den Farben dieser Stadt, darin er die weiße Unbescholtenheit wie auch die rote Liebe verspielt hatte. Er wischte sich mit der freien Rechten den Bart und spürte die hineingeronnenen Weintropfen. Und die Gasse zog johlend hinter ihm. Er mußte an das Wort seines Onkels Papinga denken, wie der dem Muschelhorn mit dem Stürzbecher zugetrunken hatte an der Wende der glücklichen Zeit: So gesoffen wie geblasen. Jetzt meinte er den grämlichen Sinn zu erfassen, da man ihn hinausblies aus der bescheidenen Welt, die er sich mühselig zurechtgezimmert. Es war nichts Großes gewesen, was er an Leben und Lust in sich hineingetrunken hatte, darum war es auch nicht bedeutend, wie er nun abgeschoben wurde. Nicht einmal zu einer vernünftigen Hinrichtung hatte es gelangt, so daß eben die Trommel genügte, ihn hinwegzubegleiten, und die Pfeifer gespart blieben, auch der Rat und die Geistlichkeit nicht zur Anwesenheit benötigt wurden. Doch was wollte er klagen? War es seinem Vater, Imel nicht noch erbärmlicher gegangen? Und der hatte doch in vollen Zügen sein Unmaß hineingeschlemmt und doch wohl nicht genug, betrogener als er, der doch das Erbe hatte in Fülle antreten können, das beste Stück, die schwarze Hexe Sebalda und hatte einen Sohn mit ihr, der nun seinerseits erproben mußte, was es mit onkelhaften Trinksprüchen auf sich habe. Nein, Dirik wurde der Abschied nicht schwer. Die besten Jahre waren dahin. Seine Haare wurden dünner und grau und waren noch immer keine goldenen Dukaten. Auch seine Zähne machten ihm zu schaffen. Es hatte wenig geholfen, daß er der heiligen Apollonia, der in der Marter die Zähne ausgezogen worden, ein gelungenes Gebiß aus Wachs verehrt hatte. Als zahnlose Schildkröte aber von der altgewordenen Sebalda mit Brei und Mus gefüttert zu werden, das war keine verlockende Aussicht.

      Was knödelten die übeln Drecksgören aus den Rattenkellern am Stinkwall? Wollten sie seinen Buckel verhöhnen? Sein Felleisen, seine Bürde, seiner Mutter oder der Kindsmagd kummervolles Versehen, aber keine Hundehütte und kein Hühnerkorb, wie sie hinter ihm herbliesen. Eher schon ein Wolfskäfig. Aber er hatte den Wolf gut verriegelt und bewacht, den Wolf Imel oder wie er heißen mochte. Nun trug er ihn rechtzeitig von dannen, denn die Riegel waren morsch geworden und der Wächter mürbe und ein gewisses Wolfslamm Lambert allzu gerade und keck gewachsen und vielleicht fähig, die Bestie herauszulassen.

      So surrte es hin und her in Diriks verborgenem Immenstock, indes er Schritt für Schritt und Stein für Stein und Trommeltakt um Trommeltakt überwand und mit seinem bunten Gefolge zum Steintor gelangte, an das Loch in der dicken Stadtmauer. Hier war der Ausschlupf aus der Wolfsfalle; denn das und nichts anderes dünkte ihn nun diese gierig mühselige Stadt gewesen. Nun entwetzte er und nahm den Wolf wieder mit, den sie in seinem angewachsenen Käfig nicht vermutet hatten. Aber ließ er nicht seine Beute auch zurück? Sebalda und Lambert? Die schwarze Hexe würde sich schon durchhexen wie bisher. Und das Lamm Lambert mochte auf eigenen Grips hin mit der Lammsfalle fertig werden.

      Als die Straßenköter mit in den dusteren Torbogen drängten, um ihren Buckelvers so richtig vom Gewölbe widerdröhnen zu lassen, kniff ihnen die Spießwache das Vergnügen ab. Nun ging es einsamer und stiller weiter, den ausgefahrenen Lübecker Weg durch die Krautgärten und ersten Kornfelder Sankt Georgs dahin. Nur die Trommel wirbelte unverdrossen, als hätten die schmächtigen Schlägel zu Lebzeiten nicht genug getanzt. Weither vom Spital blickten die Genesenden gleich lebenshungrig und nach anderer Tode lüstern über die Mauer, obschon es aussah, als seien ihre Köpfe längst vom Rumpfe getrennt und ausgeblutet.

      Schließlich kam man über einen öden Anger, darauf nichts als Schachtelhalm und Mäuseklee wuchs, auf die kleine Galgenhöhe. Krähen strichen schnarrend in die nächsten Bäume. An dem Gerüst, das im Dreieck gebaut war und das Dirik eine schlechte Spantlage für den Schiffsbug der Ewigkeit deuchte, hing noch ein armes dunstendes Luder, schwarz im angehackten Gesicht, aber noch hell in den mächtigen Schultern, soweit man es unter dem Ringpanzer der Fliegen erkennen konnte. Das Sünderhemd wehte schleppenhaft herabgefetzt.

      Unterm Galgen legten die Henkersknechte die niedlichen seidigen Mäntelchen, die lustigen Kappen und auch den teuren Gürtel ab, der nur zur Zierde diente und nicht etwa dazu, die Hose zu halten. Sie hängten den Putz mit sichtlicher Ordnungsliebe an der freien Galgenseite auf die Pflöcke, die vorgesehen sind, um die frischen Stricke von der Hand und zur Hand zu haben und nach Bedarf die Brenneisen, Zangen und dergleichen. Dann gingen sie daran, den Leichnam herabzuholen, denn er hing seine runde Woche schon, und eine Wiederkunft war nicht mehr zu befürchten. Der Fron indes blieb Dirik zugewandt und leierte die verstaubte Formel vom Pferd herunter von Urfehde und Nimmerwiederkehr, ließ ihn dann die Hand aufheben und den Schwur nachsprechen. Dirik murmelte die auslöschenden Worte und blickte auf die erstarrten, schmutzigen Füße des Gehenkten, die über der Schulter des Trommlers herabglitten, der unten anfaßte, während sein Mitknecht auf dem Balken ritt und den Strick gelöst hatte. Und es deuchte Dirik, als sei er es, der da nun steif und stumm zur Erde purzelte und von dem eine surrende blaue Wolke Schmeißfliegen abstob. Der Trommler, ein pauspäckiger, junger Mensch mit eingeschlagener Nase, der das schaurige Handwerk von seinem Vater geerbt hatte und sich, dem rohen Munde und den lauernd zuckenden Augen nach, auf keineswegs dumpfe Weise damit abfand — wie auch die seltsamen Trommelstöcke bewiesen, die nun so still gekreuzt auf dem abgestellten Kalbsfell lagen — der Trommelschinder also, zückte nunmehr das breite Hüftmesser, trat auf die Hand des Toten, rückte mit der Hacke den vertrockneten Daumen zurecht und löste das erste Glied mit geschicktem Schnitt aus dem Gelenk, hob es mit zwei Fingern auf und hielt es Dirik einladend hin.

      Gerade begann der Angelus von den Türmen zu schwingen. Dirik stand auf seinen Stock gestützt, in sich versunken, als wolle er es überhören. Er schien nichts zu sehen als die nebligen Gefilde seiner Zukunft. Der Spatenschwinger traf klirrend auf Schädel und Rippen und kegelte sie, indes er ein Liedlein pfiff, mit leichter Drehung zur Seite, wo schon mehr davon sich antürmte. Der Fron schneuzte sich, zuckte leutselig bedauernd eine Achsel und meinte, Dirik könne im Weichbild der Stadt bleiben, wenn er nur Lust habe, in die Gilde Meister Hämmerleins einzutreten und als Schinderknecht anzufangen wie diese beiden. Er habe die Figur, als könne er es noch weit darin bringen. Wem die Axt vertraut sei wie ihm in der genauen Arbeit der Helling und ein Hanftau nicht fremd, dem könne das Gesellenstück zwischen Nacken und Gurgel, so gehauen als geschlungen, keine Schwierigkeit bedeuten und das bißchen Rädern, Schinden, Stäupen, Blenden, Zwicken, Brennen, Lippenspalten oder Zungen- und sonst was Abschneiden würde ihm dieser ausgepichte Tambour und Knöchelbrecher schon beibringen.

      Dirik drehte den Kopf erwachend über den Buckel zur Seite. Es war ihm plötzlich nach einer raschen Auferstehung zumute. Über den Wiesen gen Norden blitzte der Spiegel der Alster. Ein Stieglitz sang und saß mit geblähter Kehle auf einem Zweig über dem, der die Grabkuhle aushob. In den Geruch der Verwesung fädelte sich ein Hauch blühenden Entzückens aus fernen Gebüschen. Dirik setzte die Füße in Bewegung, schwer und schlurfend, als solle er mit seinen Schuhen den dürren grauen Weg pflügen, auf daß auch der noch seinen Frühling und sein grünes Freudenkleid empfange.

      Der Schinderknecht, der ihn mit dem schaurigen Glücksbringer zugleich hatte festlegen wollen, lachte knitterig über den prüden Dummkopf und warf das Daumenstück weit ausholend den Krähen zu in die Baumwipfel; denn er hatte dergleichen schon genug in der Tasche.

      Dirik sah nicht mehr zurück.

      Die sinkende Sonne warf seinen Schatten lang über das Gras, er reckte sich unwillkürlich, und es wollte ihn an dem Schattenriß bedünken, als strecke sich sein Schädel rank und frei auf schlankem Halse. Eine unbändige, nie gekannte Leichtigkeit kam über ihn, er schlug mit der flachen Hand auf das dicke pendelnde Bündel an seiner Hüfte, als ermuntere er ein Pferd, und seine ungefügten Beine schritten manchmal jung vorauf in die unbegrenzte Heimatlosigkeit.

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