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ihr ausgehen, daß dieser stumpfe Kloß, als der er sich mehr und mehr ihr erzeigt hatte, zu solcher Raserei sich gepeitscht fühlte, und was auch an männlicher Eitelkeit bei ihm gekränkt sein mochte und an uralten Ehrbegriffen, im Grunde war es doch die Liebe zu ihr, die ihn von Sinnen gebracht; so läutete sie sich insgeheim Trost zu. Wie schmerzlich oder gar vernichtend Geliebtsein sich auswirken kann, nicht geliebt zu werden ist unerträglicher. Am unerträglichsten für solche, die Liebe und Verehrung so geschmeckt hatten wie Sebalda, und wenn sie auch vordem in ihrer liebenden Sehnsucht zu himmlischer Verzückung geneigt hatte, die der Gegenliebe entraten kann, da sie ganz und gar von sich selber ausgefüllt ist, die hohen Flammen waren längst unter die glimmende Asche gesunken und bedurften sehr des Blasebalges, um noch eine Ahnung ihrer selbst aufleuchten zu lassen.

      In diesem liebenden schmerzlich süßen Aufflackern aber gedachte sie erst jetzt ihres Kindes. Und erst jetzt begann sie zu schreien und schrie laut den Namen und brach wimmernd zusammen, als sei es ihr Junge, den er zur Dachluke hinausgeschmettert habe und der nun im Fleet ertrank.

      Der Junge kam aus der Schule und sah die Mutter kläglich in der Ecke weinen. Es war ihm peinlich, wie es jedermann peinlich ist, Eltern oder Götter oder was man höher gestellt hat als sich, außer Fassung zu sehen. Er schüttelte betreten den Kopf, entzog sich, als sie ihn streicheln wollte, und würgte rasch ein paar Bissen Brot hinunter. Sonderbarer als ihre verweinten Augen erschien ihm, daß den Tag kein Mittagessen gekocht war. Aber fragen mochte er lieber nicht. Er brachte es in Zusammenhang mit einer Prügelei, die er den Morgen im Klosterhof ohne viel Ruhm ausgefochten hatte. Es war nämlich einem der Jungen eingefallen, von Rabenfraß und Schinderbalg zu ökeln, einem der Ratsherrensöhne, dem das Ende von Lamberts Großvater durch eine Erwähnung am häuslichen Tisch bekannt geworden war. Es war gerade ein Jahr, daß Lambert auf Betreiben Sebaldas in die Domschule ging, und ihm schien es nicht ersprießlich, dort noch lange weiter hinzugehen. Er war nach Haus gekommen, das wollene Tuch in der Hand, das er sonst an der Ecke bei der Cremonbrücke schnell umzulegen pflegte, um das besorgte Gerede zu vermeiden, und er hatte es diesmal in weinerlichem Ärger über die Angelegenheit in der Schule vergessen. Seine Mutter bemerkte es aber heute nicht. Sie hatte ihr Schluchzen unterbrochen und starrte ihn sprachlos an, so ähnlich sah er dem toten Ate, wie er sich da schüchtern umblickte und fragend auf das Brot deutete, das noch vom Frühstück her, von ersten Fliegen übersummt, auf dem Schranke lag. Und wie er nun das Messer nahm und — sie hatte wohl verloren genickt — behutsam eine ungelenke Schnitte heruntersäbelte, die Lippen ein wenig aufbiegend, die feine Nase krausend, alles wie Ate, und die gewölbte Stirn und die runden gesenkten Augenlider, und sogar die Haare waren jetzt golden durch die Sonne und die rosige dünne Haut überall durchleuchtet, aber mehr wie von innen heraus, genau wie bei Ate, wenn sie ihm Unterricht gab und er so rasch begriff, was zu begreifen war. Sie wollte sagen, daß sie nun auch diesen hier, den kleinen Lambert, selber unterrichten wolle, wenigstens im Lesen und Schreiben, und sie brachte auch so etwas hervor, und der Junge, schon an einem trockenen Bissen kauend, abgewandten Gesichts vor sich hingrübelnd, voller Vorsatz, den andern Tag besser hinzuhauen in das dumme Gehänsel, horchte mißtrauisch auf, als habe sich sein Verdacht bestätigt, daß sie alles wisse und sich darum gräme. Darum tat er es mit einem abweisenden Laut aus vollem Munde ab und mit einer Handbewegung, als habe er in Dreck gefaßt und wolle es abschleudern, griff auch das Messer auf vom Schranke und warf es wieder hin und knurrte kauend: die haben ja Schuld! oder so ähnlich und rannte dann aus der Tür, wo sein Vater vor ein paar Stunden nicht viel anders davongegangen; nicht viel anders und doch, o du bitterer Engel, er, Lambert, dessen Haare nun außerhalb der Sonne wieder rabenschwarz waren, drehte sein weiches rosiges Kindergesicht noch einmal zu ihr zurück, die strahlenden hellen Augen, und lächelte und errötete. Und er wollte etwas sagen, das sein Davonlaufen rechtfertigen sollte und das Vorhaben seiner Mutter zum Rückzug zwingen mußte, die ihn auch noch zu quälen gedachte mit dem, was in der Schule aus Papieren und Pergamenten und Tonsuren aufstieg, bewaffnet mit Tafel und Kreide und Griffel und Wischtuch und Bakel, und fremd war und die Lustigkeit der Welt hinter Kreuzen, Schnörkeln und Gittern absperrte. Genug, wenn die langröckigen Predigermönche sich dazu hergaben und sich groß damit taten. Daß aber seine Mutter auch teil daran hatte und ihm hier und da half, die schwarzen Teufel zu malen und zu lesen, die man Buchstaben nennt, das war ihm bislang nicht verwunderlich erschienen. Aber aus dem ungläubigen Gebrumme seines Vaters hatte er entnommen, daß man den Zauber- und Hühnerkram nicht überschätzen dürfe, und er war ohne Ahnung, daß Dirik keinen Strich davon verstände. Jetzt aber fiel ihm geradezu bedrängend ein, daß seine Mutter von der anderen Sprache nichts verstand, dem Latein, das höheren, allerdings kaum verständlichen Dingen vorbehalten war, den langatmigen Feierlichkeiten in den Kirchen, der Pracht unter Glockengeläut und Gesang, dem Geheimnisvollen, das bunt und groß sich gab und vor Unerreichbarkeit sowohl bedrohlich als langweilig schien. Dennoch hielt ihn etwas, das bei Erwachsenen Takt heißt, in seinem unverdorbenen Gemüt zurück, einen Mangel anzudeuten, wo man Verehrung zu zeigen hat, abgesehen davon, daß er seine Mutter auf Knabenart wirklich verehrte. Er hatte ja auch taktvoll nicht zu erkennen gegeben, daß ihm ihre Traurigkeit aufgefallen sei, und darum stotterte er lächelnd, als sei es eigentlich ein Lob und kein Vorwurf: Du kannst ja kein Latein! Und damit drehte er sich flink um, und es war eine fast anmutige Bewegung, die er nur von ihr haben konnte, wie er nun die erste Stufe der Treppe gewann; dann aber polterte er in unbeholfenen, tapsenden Sprüngen hinab.

      Sebalda vergaß, ihm wegen des Wolltuches nachzurufen, wie sie es bisher nie versäumt hatte; denn er sprach manchmal heiser, und sie fürchtete, daß er sich erkälte wie sie so oft auf Helgoland in seinem Alter und die Auszehrung bekomme, daran doch alle ihre Geschwister gestorben waren und in Friesland sogar eine von Diriks Schwestern.

      Auf einmal sehnte sie sich nach den Weinbergen ihrer Kindheit zurück und hätte ihrem Jungen gern alles gezeigt, was dort ihre Freude gewesen war, und die römischen Bogen aus grauem glattem Marmor mit den bärtigen Figuren und den kurzröckigen Soldaten, und gedachte auch der helleren und schöneren Gesänge in den Kirchen und der sanfteren Winde und des leichteren Lebens und ließ es wieder wie so oft verwischen und zersprühen in dem wilden Ereignis ihrer Kindheit, da die Reiter kamen und auf den Vater einhieben und die Mutter in den Stall schleppten und den Brand vom Herd rissen und ins Bett der Eltern warfen. Und sie vergaß darüber ein wenig ihren jetzigen Kummer, doch dann — da sie in Gedanken das alles ihrem Jungen erzählte, wie sie es schon immer gewollt und wie sie es Ate einmal erzählt hatte — da fiel ihr Blick wieder auf den unaufgeräumten Schrank, und sie sah Lambert nebelhaft dort stehen und erkannte, daß er die Hände nicht von Ate habe und auch nicht von Imel, sondern Diriks Pranken in junger Ausgabe. Und sie sah auf das Messer neben dem grauen löcherigen trocknenden Brote und dachte, daß Dirik es einfacher hätte haben können, als nur der Faust zu trauen, und wunderte sich, daß sie noch am Leben sei. Und sie erhob sich und fühlte sich gänzlich erloschen; begann aber bleiern, als sei sie ohne Puls, gelenklos, fahl und schwer wie die hereinschwimmende Dämmerung, nach Gewohnheit aufzuräumen und sogar mit dem, was vorhanden war, für den Abend zu kochen, ab und an vor sich hinweinend und mehr denn je ihrer Armseligkeit gewiß.

      Manchmal meinte sie die Stimme Lamberts vom Fleet heraufschallen zu hören, und die Stimme deuchte ihr gewandelt, herrschsüchtig und fremd, wie er anscheinend den Hemdmätzen der Nachbarn Befehle zu geben unternahm und die sich krähend wehrten und er ihnen Gewalt androhte und jählings eines der drallen Waschweiber dazwischen keifte und das böse Wort Schinderbalg auch hier auftauchte — Sebalda allerdings hörte es zum erstenmal und ihr war, als habe sie es lange erwartet. Und nun fürchtete sie sich, daß der Junge heraufstürzen werde und sie zur Rechenschaft ziehen und fragen, fragen nach mancherlei an gewesenen Grausamkeiten und ihren Ursachen, und sie war zu müde zu antworten, so müde, daß sie zitterte und auf die Bank sank und wünschte, daß Dirik sich weniger gemäßigt hätte und ihr alle Antworten erspart in alle Ewigkeit. Und nur noch die größere nachträgliche Angst, daß sie fast ohne Beichte und Vergebung und letzte Ölung zur Hölle gefahren wäre, hielt sie weiter in Atem.

      Lambert kam erst in der Dämmerung herauf, eben bevor sein Vater vom Zimmerplatz heimkommen mußte — wenn er je wieder heimkam. Und es war ihm inzwischen entfallen, was er tatsächlich hatte fragen wollen, denn er hatte während des ablaufenden Wassers in der braunen, muddigen Sohle des Fleetes umhergefischt und kam nun stolz mit der Beute an in der Meinung, er habe ein schöneres Gegenstück zu der

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