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als Bruder und Schwester ausgeben (Genesis 20). Die einstige Stadt Gerar lag vermutlich im heutigen Tel Haror, zwischen Beerscheba und Gaza. Die Archäologie belegt hier eine entwickelte sesshafte Kultur, aber Nomaden gab es sicher auch. Nachdem das Problem mit Gerars König Abimelech geklärt ist, dürfen Abraham und Sara unbefristet bleiben. Kein Wunder, dass sie es tun – das Land ist fruchtbar.

      Im Raum zwischen Gerar und Beerscheba wächst ihr Sohn Isaak auf. Wir befinden uns im Jahr 2048 nach der Weltschöpfung bzw. 1712 v. Chr. Abraham ist 100 Jahre alt, Sara 90, Ismael 14.

      Stillen und Abstillen

      Wie alt war Isaak, als er abgestillt wurde? Uns kommen 6-12 Monate in den Sinn, aber vor der Industrialisierung wurde länger gestillt. Interessant ist der Blick auf den Islam, weil er viele Vorschriften aus der Wüstenkultur übernahm. Dort sind außer Mägden alle verheirateten Frauen zum Stillen verpflichtet. Empfohlen wird es bis zum Alter von zwei Jahren. In der Bibel finden wir keine Verpflichtung dieser Art, aber das jüdische Werk Baraita (1.-2. Jh. n. Chr.) verrät: »Ein Baby wird gestillt und läuft bis zum Alter von 24 Monaten« (Ktovot 59,2). Ein früheres Abstillen galt bei den Juden als Gefahr. Rabbiner erlaubten Stillenden Verhütungsmittel: »Drei Frauen [dürfen] verhüten – Kleine, Schwangere und Stillende […]. Stillende, damit sie nicht abstillt und ihr Kind stirbt« (Bab. Talmud Jebamoth 12,2). Wahrscheinlich war Isaak an seinem Abstillfest ca. zwei Jahre alt.

      Während der Stillzeit von Isaak hätte Sara eigentlich genug Zeit gehabt, um sich an die neue Situation mit zwei Söhnen zu gewöhnen, aber etwas bringt sie aus der Fassung. Sie sieht den Sohn Hagars »scherzen« (Genesis 21,9). Ismael ist mit 16 Jahren kein Kind mehr. Worüber »scherzt« er? Hat er Sorgen um sein Erstgeburtsrecht? In seiner Welt bekamen Erstgeborene das Doppelte vom Erbe ihrer Brüder. Fühlt er sich als Sohn einer Magd weniger geliebt? Hat ihm seine Mutter erzählt, wie sie schwanger floh und dem Tod nahe kam? Sein Verhältnis zum Kleinkind Isaak ist jedenfalls vorbelastet. So etwas durchblicken die beiden Mütter sicher, zwischen ihnen ist die Spannung noch größer. Nur so können wir Saras extreme Reaktion verstehen. Sie verlangt Hagars und Ismaels Vertreibung, die den Tod bedeuten kann. Abraham folgt ihnen und gibt ihnen einen Schlauch Wasser (Genesis 21,14). Was genau ist ein Schlauch? Noch vor zwei Generationen konnte man bei Beduinen »Schläuche« sehen. Sie sehen aus wie »auf links gedrehte Ziegen« und dienen der Lagerung und dem Transport von Flüssigkeiten. Die Menschen damals hatten keine Flaschen oder Getränkedosen, und Krüge waren für unterwegs nicht gerade praktisch. Durch Gottes Schutz überleben Hagar und Ismael. Heim kehren sie aber nicht mehr, sondern ziehen in die Wüste Paran, die manche Forscher in der heutigen israelisch-ägyptischen Grenzregion und andere in der mittleren Arava vermuten. Hagar gab Ismael eine Ägypterin zur Frau, sie bekamen später 12 Söhne und zwei Töchter.

      Nur 30 km liegen zwischen Gerar und Beerscheba, aber am Rande der Wüste ist diese Entfernung entscheidend. Je weiter südlich, desto weniger Niederschläge. Wir begleiten die Familie Richtung Süden, an den Ort, an dem heute die Wüstenstadt Beerscheba liegt. Hier lebten sie in der Zeit zwischen Isaaks Geburt und Ismaels Vertreibung. Warum und wann sie wo genau waren, wissen wir nicht. Lernte Isaak bei Gerar krabbeln, dürfen wir uns eine im Winter sattgrüne Landschaft mit vielen Blumen vorstellen. Im Frühjahr gibt es jede Menge Bienen und Schmetterlinge. Weitläufige Teppiche von roten Anemonen, rotem Hahnenfuß und Mohn ziehen sie an. Ab Ende April vertrocknet die Landschaft. Die dornigen und kratzigen Pflanzen sind dann braun und gelb. War die Familie näher an Beerscheba, so war die Vegetation eher niedrig und dünn. Ein krabbelndes Baby hat hier mehr Spaß am Staub als bei Gerar, seine Mutter weniger. Drinnen im Zelt hatten sie sicher Teppiche, wahrscheinlich aus Palmwurzel-Sisal oder aus Wolle, wie die Beduinen sie bis zum Import billiger und robuster Kunststoffteppiche hatten. Im Winter luden Schafsfelle zum Kuscheln ein.

      Mitten in dieser Idylle kommt Gerars König Abimelech zu Abraham. Er hat erkannt, dass Gott mit Abraham ist, und möchte einen Bund mit ihm schließen. Abraham nutzt die Gelegenheit, seine Rechte über einen Brunnen, den er selbst gegraben hat, von König Abimelech anerkennen zu lassen. Den Brunnen hatten Abimelechs Knechte Abraham mit Gewalt weggenommen. Abraham und Abimelech schließen an diesem Brunnen einen Bund. Dabei schenkt Abraham Abimelech sieben Lämmer. So bekam die Stadt, die sich heute zum viertgrößten Ballungsraum Israels entwickelt hat, ihren Namen, Beerscheba. Beer heißt »Brunnen«, scheva bedeutet »sieben«, aber es ist auch der Wortstamm von »Schwur«. Am Ende pflanzt Abraham eine Tamariske. Wer heute zu den Ausgrabungen Beerschebas kommt, sieht mehrere Tamarisken, die sicher keine 100 Jahre alt sind, aber der 69 m tiefe Brunnen ist einer der älteren in Israel. Zur genauen Datierung gibt es verschiedene Aussagen. Die älteste Schicht im Areal ist über 5 000 Jahre alt. Wenn der Brunnen zu den ältesten Bauten im Areal gehört oder zumindest sein Fundament, war er schon über 1 000 Jahre alt, als Abraham einen Brunnen in dieser Gegend grub.

      ISAAKS OPFERUNG

      Abraham und Sara bevorzugen das fruchtbare Gebiet gegenüber der Wüste und ziehen wieder in die Gegend von Gerar. Hier stellt Gott Abraham vor eine Herausforderung, die in die Geschichte eingehen wird. Er fordert ihn heraus, seinen geliebten Sohn Isaak zu töten. Unvorstellbar! So lange hatte Abraham auf seinen Sohn gewartet und nun soll er ihn umbringen?

      Die Opferungsgeschichte kennst du wahrscheinlich gut. Meistens stellen wir uns dabei Isaak im Grundschulalter vor, aber wie alt war er tatsächlich? Rabbiner sind sich uneinig und streiten seit ein paar Jahrtausenden. Sara bekam Isaak mit 90 und wurde 127. Weil das Kapitel mit Saras Tod direkt auf die Opferung folgt, gingen die meisten davon aus, dass Sara kurz nach der Opferung starb und errechneten Isaaks Alter bei der Opferung auf 37. Einer der größten jüdischen Bibelexegeten überhaupt, Rabbi Maimonides (12. Jh. n. Chr.), belässt Isaak im Kindesalter. Sein Zeitgenosse Rabbi Abraham Iben Esra sagt, Isaak könne nicht jünger als 13 gewesen sein, weil er das Opferungsbrennholz allein getragen hat.

      Wo war die Opferung? In der Bibel steht im »Land Morija«. Im Chronikbuch wird von Salomos Tempelbau auf dem »Berg Morija« berichtet. Die Opferung spielt also auf dem Tempelberg. So früh tritt er auf der Bühne der Bibel auf.

      Machen wir uns gedanklich mit Abraham und Isaak auf den Weg. Wir brechen im nördlichen Negev auf und haben 90 km vor uns, für die wir 3-4 Tage brauchen. Erst müssen wir nach Hebron, das wir schon die ganze Zeit sehen können, weil es bis zu 700 m höher vor unseren Augen liegt, dann geht es über die Bergstraße. Am dritten Tag sehen wir das Land Morija in der Ferne. Hier lassen wir die Knechte und den Esel warten. Die biblische Beschreibung besteht den Realitätstest: Vom Aussichtsturm der heutigen Ortschaft Neve Daniel auf genau 1 000 m ü. NN sieht man bis Jerusalem, wo das Land Morija ist.

      Im letzten Moment stoppt Gott die Opferung, die sich als Glaubensprüfung herausstellt. Abraham darf nun den Hirsch (in den meisten deutschen Bibeln als Widder übersetzt) opfern, der überraschend auftaucht. Gott teilt der Menschheit an diesem Berg im Land Morija eine wichtige Botschaft mit: Er möchte kein Kindesopfer, sondern ein Tieropfer. Es kann kein Zufall sein, dass diese Botschaft am selben Ort gegeben wird, an dem Gott 700 Jahre später eine Opferstätte für sich wünschen wird, den Tempel. Gut 1 000 Jahre lang werden Gott hier Opfer gebracht werden. 600 m vom Tempelberg entfernt, an den Ausläufern derselben Anhöhe, wird am Ende dieser 1 000 Jahre Jesus am Kreuz sterben. Gleichzeitig wird der Vorhang im Tempel zerreißen. Damit wird Gott erneut eine wichtige Botschaft zum Thema Opfer senden, wieder an diesem Ort: Er braucht keine Opfertiere und keinen physisch erbauten Tempel mehr. Aber nicht so schnell. Noch sind wird bei Abraham und Isaak und möchten die Geschichte nach der Reihenfolge erzählen.

      SARAS TOD UND DIE HÖHLE MACHPELA

      Nachdem die Familie im heißen Beerscheba gewohnt hat, zieht sie wieder in die kühle Bergluft Hebrons. Für Sara wird das der letzte Umzug sein, bevor sie stirbt. Vor 38 Jahren lachte sie hier, als sie ihre Schwangerschaft für einen Witz hielt. Ihr Tod trifft Abraham unvorbereitet, obwohl sie alt wurde. Wenn ein Erzvater oder eine Erzmutter einen guten Alterstod stirbt, steht das im Bibeltext. Bei Sara ist das nicht der Fall. Abraham muss sofort für ein Grab sorgen. Wir sind im Nahen Osten, hier müssen die Toten noch am selben Tag unter die Erde. Als Fremder besitzt Abraham noch kein Grundstück im Land.

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