Скачать книгу

Zug dritter Güte. Und im übrigen lassen Sie sich nur Zeit, meinen Vorschlag wegen einer Gesellschafterin gründlich zu überlegen.“

      Sie nahm sich aber vor, Ilse Rauneck morgen während der einstündigen Autofahrt noch ordentlich zuzureden.

      Doch sie hatte auch am nächsten Tage wenig Glück damit.

      Ilse sagte: „Ich möchte es mir gewissenhaft überlegen, ich kann mich noch nicht entschließen.“

      Man machte allerlei Besorgungen und dann besuchte Frau Hermine Bekannte, indes Ilse noch einige Einkäufe erledigte.

      Um sechs Uhr wollte man sich am Hauptbahnhof wieder treffen, wo auch das Auto warten sollte.

      Ilse war zuerst zur Stelle und sie spazierte in der Nähe des Autos auf und ab.

      Sie dachte, Hermine Seydel würde ja wohl auch bald kommen.

      Die Zeit würde ihr beim Warten kaum lang werden. Es war ganz amüsant, das bunte Leben und Treiben am Bahnhofsplatz zu beobachten.

      Eine Dame kam ihr entgegen, ein paar flimmernde, rötliche Löckchen drängten sich seitlich unter dem kleinen schwarzen Samthut hervor, ein glatter Tuchmantel betonte noch die Überschlankheit der Figur.

      Ilse blieb stehen, schaute der anderen wie wartend entgegen.

      Und nun sahen sie sehr hellblaue Augen an, leuchtend rote Lippen öffneten sich zu einem erstaunten Ausruf.

      „Ilse, wahrhaftig, das ist ja Ilse Rauneck! Wenn es auch schon fast vier Jahre her ist, seit wir bei Frau von Dorp in Wiesbaden im Pensionat zusammen waren, so hast du dich doch wenig seither verändert. Das heißt, damals sahest du eigentlich ein bißchen derber, ländlicher aus. Schmaler bist du geworden, verfeinerter.“

      Sie streckten sich beide erst jetzt die Hände entgegen und Ilse fragte: „Du bist wohl auf der Durchreise hier, Jutta, wenn ich nicht irre, wohnst du doch in Berlin?“

      Jutta Linden seufzte sehr betont.

      „Ich wohnte dort, ja. Mit meinen Eltern. Aber sie starben vor zwei Jahren, Geld blieb keins, und ich muß mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Ich bin Gesellschafterin bei einer, mit Respekt zu sagen, ganz niederträchtigen alten Baronin, die mich abscheulich schikaniert. Am liebsten möchte ich ihr davonrennen. Aber wohin soll unsereins rennen? Laufe ich dem einen Drachen weg, so laufe ich wahrscheinlich einem anderen zu. Außerdem ist es sehr schwer, eine neue Stellung zu finden.“

      Ilse sah, an den langen, wie dünne goldene Fäden schimmernden Wimpern glänzten ein paar Tränen.

      Sie empfand Mitleid.

      Wie gut hatte sie es doch eigentlich dagegen. Materielle Sorgen kannte sie nicht und sie brauchte sich nicht schikanieren lassen in Abhängigkeit und Dienstbarkeit.

      Jutta Linden fragte leise: „Um wen trägst du Trauer, Ilse?“

      Ilse gab Antwort.

      Jutta Linden nickte.

      „Stehst also auch allein in der Welt! Hoffentlich brauchst du nun nicht auch bei des Teufels Großmutter unterzukriechen, wie ich.“ Ihre Augen überflogen wie prüfend Ilses Kleidung. „Anscheinend hast du es nicht nötig. Du stammst aus einer Gärtnerei oder so was ähnlichem, nicht wahr?“

      Ilse schüttelte den Kopf.

      „Ich bin die Herrin vom Rauneckhof. Vaters Vorfahren wandelten sich durch Generationen zu Gutsherren. Der Hof liegt eine gute Stunde von hier.“ Sie wies leicht auf den Wagen. „Ich bin mit dem Auto hier und warte noch auf eine Dame, die mit mir hergekommen ist.“

      Jutta Lindens Augen hatten sich förmlich geweitet.

      „Das ist dein eigenes Auto? O, du lieber Himmel, Herrin eines Gutshofes und Besitzerin eines prachtvollen Autos bist du! Ja, da hast du es gut. Wie armselig kommt sich unsereins dagegen vor!“

      Jutta Linden war klug genug, sich das heftige Neidgefühl, das sie empfand, nicht anmerken zu lassen.

      Sie hatte damals in der Pension ja keine Ahnung davon gehabt, daß Ilse Rauneck aus besonders wohlhabendem Hause stammte. Eine Art Bauernmädel, das gute Manieren lernen sollte, hatte sie in ihr gesehen, weil Ilse so überaus einfache Kleider getragen und ihr Äußeres etwas ländlich gewesen.

      Sie hatte sich damals auch kaum um sie gekümmert, denn damals war sie selbst noch das verwöhnte Bankierstöchterchen gewesen.

      Sie galt als tonangebend in der Pension der Frau von Dorp.

      „Besuche mich doch bald einmal“, schlug Ilse vor, „ich würde mich sehr freuen.“

      „Wie gerne käme ich“, gab Jutta zurück, „aber meine Brotgeberin wird es mir kaum erlauben. Keinen Schritt soll ich aus dem Hause tun, wenn es nicht in ihrem Auftrage geschieht. Heute mußte ich zu ihrer Modistin und bin auf dem Weg nach Hause. Wir wohnen am Rathenauplatz. Wenn ich Erlaubnis erhielte, wäre der Besuch bei dir ein Glück für mich. Aber es wird wohl nichts daraus werden.“

      „Dann muß diese Baronin ja eine Tyrannin sein!“ rief Ilse empört. „Arme Jutta, du tust mir wirklich sehr leid, ich möchte dir gerne helfen.“

      Jutta Linden stieß erregt hervor: „Wenn du das könntest, Ilse, o, wenn du das könntest! Ich wäre dir unendlich dankbar. Aber du wirst darauf vergessen und ich kann ja auch keine Hilfe von dir verlangen.“

      Ilse faßte einen raschen Entschluß.

      „Ich weiß nun allerdings nicht, ob du das, was ich dir anbieten möchte, als Hilfe empfinden würdest“, begann sie etwas zögernd. Fuhr schneller fort: „Ich habe keine Verwandten, stehe ganz allein, und man riet mir, eine Gesellschafterin ins Haus zu nehmen. Ich zögerte jedoch, weil ich unwillkürlich vor einer fremden xbeliebigen Dame zurückscheue. Doch wenn du dich freimachen kannst und willst, Jutta, dann kannst du auf den Rauneckhof übersiedeln unter dem Titel einer Gesellschafterin. In Wirklichkeit aber werden wir wie gute Freundinnen leben. Es wird dir auf dem Rauneckhof gefallen, glaube ich.“

      Ilse hatte impulsiv und warmherzig gesprochen.

      In die fast porzellanweißen Wangen Jutta Lindens stieg ein mattrosiger Schein.

      Sie lächelte zwar, aber innerlich quälte sie Wut.

      Also den Posten einer Gesellschafterin bot ihr die Bauernliese an. Wirklich sehr generös war sie!

      Hatte diese Gans denn kein Verständnis dafür, wie ihr jetzt zumute war?

      Sie, damals die Gefeiertste in der Pension, sollte nun bei der, die dort am wenigsten gegolten, als Gesellschafterin antreten.

      Und sie durfte ihr nicht einmal stolz den Rücken wenden, sondern mußte das herbeigequälte Lächeln festhalten, denn sie dachte nicht daran, das Angebot auszuschlagen.

      Sie murmelte: „Mein ganzes Leben hindurch würde ich dir verpflichtet sein für deine große Güte.“

      Ilse bot ihr die Rechte.

      „Also es gilt! Wann aber darf ich dich auf dem Rauneckhof erwarten?“

      „In vierzehn Tagen“, erfolgte die schnelle Antwort. „Ich kündige meiner siebenzackigen Madame noch heute.“

      Ilse langte eine Visitenkarte aus ihrem Handtäschchen und reichte sie Jutta.

      „Bitte, schreibe mir vorher, wann ich dich mit dem Auto abholen lassen soll!“

      In Juttas Augen blitzte es flüchtig auf. Sie sagte: „Du bist die Güte selbst, nie werde ich dir diesen Liebesdienst vergessen.“

      Ilse wehrte ab.

      „Unsinn, ich bin ja nur eine Egoistin, die froh ist, die Gesellschafterinfrage so praktisch lösen zu können.“

      Eben kam Hermine Seydel und schaute ein wenig erstaunt, Ilse nicht allein zu finden.

      Ilse stellte vor, fügte hinzu: „Jutta Linden ist Gesellschafterin, sie hat es aber schlecht getroffen. Deshalb habe ich meiner früheren

Скачать книгу