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dort drüben in der Ecke und wartete auf eine Gelegenheit, mich heimlich entfernen zu können. Aber jetzt mußte ich mich melden. Ich darf nicht dulden, daß Sie sich in eine fixe Idee verrennen. Ihr Vater hat nicht zu Ihnen gesprochen, der Tod hat seine Lippen für immer versiegelt.“

      Ilse hatte ganz still gesessen. Aber ihre Augen hingen an seinem Gesicht.

      Und als er nun schwieg, wurde ihr Blick wärmer.

      „Ich freue mich sehr, weil Sie so besorgt um mich sind, aber ich meine, weil Sie doch im Zimmer waren, Sie hätten ebenfalls hören müssen, was Vater zu mir gesagt hat.“ Sie schüttelte den Kopf, wie in Abwehr gegen etwas, was er noch nicht geäußert. „Nein, Sie brauchen nicht zu fürchten, ich rede irre.“ Ihr Organ klang entsetzlich müde. „Vaters Sterben tut mir sehr, sehr weh, es fehlen mir die Worte, es zu schildern. Aber meinen Verstand habe ich wohl noch, und so wenig ich sonst glauben würde, daß Tote reden können zu den Lebenden, so glaube ich doch an Wunder, wenn auch noch keins geschah in meiner Gegenwart vor der heutigen Nacht. Es geschah aber vorhin ein großes Wunder, mein toter Vater hat zu mir gesprochen und Wort für Wort habe ich ihn verstanden. Gewarnt hat er mich, doch so seltsam umschrieben, so dunkel im Sinn.“

      Ulrich Werdenbergs Mitleid quoll über. Die armen Nerven des geliebten Mädchens bedurften der Ruhe, und die Stimmung hier im Sterbezimmer war wohl ganz besonders dazu angetan, so ein zartes Geschöpf in übersinnliche Phantasien hineinzutreiben.

      Behutsam mußte man sie anfassen, ihr vorsichtig den Glauben an das Wunder nehmen.

      Er fragte: „Darf ich wissen, wovor Ihr Vater Sie warnte, Fräulein Rauneck?“

      Sie saß mit gefalteten Händen vor ihm und schloß leicht die Augen, als horche sie in sich hinein, suche den Nachhall verwehter Worte.

      Nach einem kurzen Schweigen, in das sich fast aufdringlich laut das letzte Aufflackern einer verlöschenden Kerze drängte, gab Ilse zur Antwort:

      „Mein Vater sagte: Nimm dich in acht vor einem Habichtspaar. Ich sehe es schon heranfliegen, bald wird es um den Rauneckhof kreisen, um auf dich, meine geliebte Taube, niederzustoßen. Hüte dich vor ihnen, mein Kind, hüte dich vor den Raubvögeln!“

      Ilse holte tief Atem.

      „Ist das nicht eine eigenartige Warnung?“

      Ulrich Werdenberg blickte in die großen grauen Augensterne, die jetzt voll zu ihm aufschauten.

      Ihm war es, als streiche eine eisigkalte Hand über seine Glieder, machte ihn erschauern.

      Er dachte, Tote können nicht mehr reden, aber seltsam und unheimlich dünkte ihm die Warnung, die Ilse Rauneck eben so klar vorgebracht, als habe sie dieselbe wirklich erst vor kurzem gehört.

      Ilse erhob sich langsam.

      „Ich darf die Warnung nicht vergessen, und muß fortan allen Menschen gegenüber vorsichtig sein.“

      „Ein bißchen Vorsicht schadet auf keinen Fall“, nickte Ulrich Werdenberg, „namentlich, wenn man eine so reiche Erbin ist wie Sie. Aber lassen Sie sich nicht zum Mißtrauen verleiten. Im übrigen werde ich meine Vorsicht mit der Ihren vereinen. Wenn ich Raubvögel über dem Rauneckhof sichte, dann bin ich bereit, Sie mit aller Kraft zu schützen.“

      Seine Augen ruhten selbstvergessen auf dem bleichen, ebenmäßigen Gesicht, das tiefer Schmerz gezeichnet.

      Ilse reichte ihm impulsiv die Hand.

      „Sie werden auf dem Rauneckhof bleiben und ihn betreuen, nicht wahr? Wenn Sie allem vorstehen, dann habe ich keine Furcht.“

      Sein Blick ward leuchtend.

      „Ich verlasse den Rauneckhof niemals, Sie selbst müßten mich denn fortweisen“, kam seine Antwort wie ein Gelöbnis.

      Es war, als würde ihr blasses, verweintes Gesicht hell.

      „Ich weiß, auf Sie darf ich mich verlassen, Vater nannte Sie treu wie Gold.“

      Er steckte eine frische Kerze für die heruntergebrannte in den schweren Silberleuchter, sagte weich: „Gehen Sie doch lieber zur Ruhe, ich bleibe hier bis zum Morgen.“

      Ilse wehrte ab.

      „Ich bleibe hier, aber wenn Sie wollen, dann halten wir beide die Wacht.“

      Beseligendes Glücksempfinden durchströmte ihn.

      Sie erlaubte ihm, zusammen mit ihr hierzubleiben. Das bewies ihm, wieviel er ihr galt.

      Die Tür öffnete sich wie zögernd um einen Spalt breit. Hermine Seydel steckte ihren graugescheitelten Kopf ins Zimmer. Sie atmete auf, als sie Ilse in Gesellschaft des Inspektors hier fand.

      Ein hörbares: Dem Himmel sei Dank! entfloh ihrem Munde.

      Wie sehr hatte sie sich erschreckt, als sie vorhin aus tiefem Schlafe hochfuhr und Ilse nicht mehr auf dem Sofa sah.

      Inspektor Werdenberg war ein guter Beschützer, nun brauchte sie selbst wenigstens keine Angst mehr haben, Ilse Rauneck könne irgendeine Torheit begehen in der ungeheuren Aufregung, in die sie der Tod ihres Vaters versetzt.

      Sie trat näher.

      „Mein Mann erwartet mich nun wohl nicht mehr zu Hause, also ist es am besten, ich bleibe bis morgen früh hier.“

      Ilse blickte sie abwesend an.

      Ihr war es, als störe die behäbige, gutmütige Frau den Frieden dieses Raumes.

      Sie sagte verhalten: „Machen Sie es sich nur irgendwo bequem für diese Nacht. Sie wissen ja im Hause Bescheid, gute, liebe Frau Doktor. Das Fremdenzimmer ist in Ordnung, und in der Küche befindet sich sicher noch eins der Mädchen.“

      Hermine Seydel murmelte ein: Ja, ja! und blickte hinüber zu dem Toten, der so oft freundschaftlich ins Doktorhaus gekommen. Es stieg auch in ihr die Frage auf: Warum nur mußte er so verhältnismäßig jung aus dem Leben scheiden?

      Sie schalt sich selbst und dachte daran, daß sie selbst die verzweifelte Tochter vorhin darauf hingewiesen: Was Gott tut, das ist wohlgetan!

      Sie bat: „Kommen Sie doch mit mir, Ilse, und gehen Sie schlafen. Die nächsten Tage werden Ihnen noch mancherlei bringen, wozu Sie Ihre Kraft brauchen. Ihr guter Vater wäre der erste, der Sie bitten würde, sich zu schonen.“

      Ilse hob abwehrend die Rechte.

      „Bitte, dringen Sie nicht mehr in mich, ich bleibe hier, ich kann einfach nicht anders, und Herr Werdenberg bleibt bei mir.“

      Da entfernte sich Hermine Seydel mit leisem Gutnachtgruß.

      Dicht nebeneinander saßen dann die junge Herrin des Rauneckhofes und ihr Inspektor, und flüsternd wechselten sie ab und zu ein paar Worte.

      Von Zeit zu Zeit kümmerte sich Ulrich Werdenberg um die Kerzen in den schweren Silberleuchtern, und durch ein weitgeöffnetes Fenster zog die frische Nachtluft herein.

      Ulrich Werdenberg holte für Ilse aus dem Nebenzimmer ein Samtkissen und eine weiche Diwandecke. Sie ließ sich das Kissen unter den Kopf schieben und sich von der Decke einhüllen.

      Wie sorglich und behutsam ihr die Männerhände den Dienst erwiesen.

      Ilse hatte ein Gefühl von Geborgensein in Ulrich Werdenbergs Nähe, und aus diesem Empfinden heraus sagte sie: „Ich bin so froh, daß Sie bei mir sind! Nie dürfen Sie den Hof verlassen, nie!“

      Er wiederholte, was er vorhin schon einmal geantwortet: „Nie, Sie müßten mich denn selbst fortweisen!“

      Ilse schob ihre Linke zu ihm hinüber, suchte seine Hand.

      „Ich vermag mir den Hof ohne Sie gar nicht vorzustellen.“

      Sie ließ ihre Hand in der seinen. Ihr war es, als ströme von dieser nervigen Hand eine Kraft aus, die sich ihr mitteilte. Frischer fühlte sie sich und alle Zukunftsangst duckte sich zusammen wie Nebel bei Sonnenschein.

      Sie saß, warm eingehüllt, ihre Hand in der

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