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Raubvögel über dem Rauneckhof. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Raubvögel über dem Rauneckhof
Год выпуска 0
isbn 9788711592274
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Sie bemerkte nicht seitab den Mann, der sich bei ihrem Eintritt von einem der Stühle erhoben hatte und nun keinen Laut von sich zu geben wagte, weil er fürchtete, die ganz in Schauen Versunkene zu erschrecken.
Langsam, fast gleitend, war sie bis dicht an den Toten herangekommen und blickte wie gebannt in das geliebte Vatergesicht, auf dem ein fremder, erhabener Ausdruck lag, den Ilse noch niemals auf dem Antlitz eines Lebenden gesehen.
Lange stand Ilse Rauneck so und Ulrich Werdenberg wagte kaum zu atmen, um die rührende, stumme Zwiesprache nicht zu stören zwischen der jungen Herrin des Rauneckhofes und ihrem toten Vater.
Und dann hörte er ganz deutlich Ilse die Frage stellen: „Vater, liebstes, bestes Väterchen, warum hast du mir das nur angetan? Ich fürchte mich doch so sehr vor der einsamen Zukunft!“
Aber keine Antwort kam zurück. Die Lippen Herbert Raunecks blieben streng verschlossen.
Wie gern wäre Ulrich Werdenberg jetzt vorgetreten und hätte ihr zugerufen: Brauchst dich vor nichts auf der Welt zu fürchten, so lange ich auf dem Rauneckhofe bin. Ich will dir alle Sorgen und alles Schwere abnehmen und Wache halten, daß sich nichts Böses an dich heranwagt!
Aber so zu sprechen fehlte ihm doch der Mut.
Trotzdem Ilse unter seinen Augen herangewachsen war, gab es da eine Hemmung, die ihm verbot, so zu ihr zu reden.
Er liebte sie, aber sie sollte es niemals erfahren. Ihr Reichtum trennte sie von ihm. Fest mußte er sein Herz in beide Hände nehmen und sich mit dem Glück bescheiden, in ihrer Nähe zu leben, ihr dienen zu dürfen.
Und war das denn überhaupt noch ein Bescheiden zu nennen, war das nicht schon etwas Wundervolles?
Ilse zog sich einen breiten Sessel herbei und ließ sich wie ermattet darin nieder.
„So, Väterchen, nun bleibe ich bei dir, du sollst nicht so allein sein“, sagte sie halblaut.
Sie stützte die Ellbogen auf die Knie und drückte das Kinn auf die gefalteten Hände, während ihre Augen unablässig auf dem Gesicht des Toten ruhten.
Ulrich Werdenberg überlegte, was er jetzt tun sollte. Vortreten durfte er jetzt nicht mehr, denn Ilse Rauneck wähnte sich allein und würde sicher maßlos erschrecken. Ob er jedoch, ohne das geringste Geräusch zu verursachen, das Zimmer zu verlassen vermochte, war äußerst zweifelhaft.
So leise wie möglich ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder und beobachtete das gradlinige Profil, das ihm zugewandt war.
Er sah, wie die Kerzen langsam niederbrannten und wie Ilse die Augen schloß.
Er bog sich ein wenig vor und es schien ihm fast, das junge Mädchen schlief.
Aber er irrte sich. Ein zweites Mal wollte sich Ilse nicht vom Schlaf überrumpeln lassen, so wie vorhin im Wohnzimmer. Sie mußte doch dem geliebten Vater die Totenwacht halten.
Sie sann, wie gut sie sich stets mit dem Vater gestanden und daß sie nie ein böses Wort von ihm gehört. Niemals hatte er wohl daran gedacht, so bald sterben zu müssen, sonst hätte er sie doch ein wenig härter fürs Leben erzogen. Wie oft hatte er gesagt: Den liebsten und besten Mann in ganz Deutschland, den suche ich mir zum Schwiegersohn. Einen, der mein Herzensmädel liebt und den es wieder liebt, der es vor jedem harten Schicksalsstoß bewahrt und mir meinen Liebling behütet. Und dann, wenn meine Ilse glücklich verheiratet ist, werden wir drei sehr wunschlos und zufrieden miteinander auf dem Rauneckhofe leben!
So hatte er geredet und so ähnlich hatte er sich die Zukunft auch vorgestellt.
Vor acht Tagen noch, an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, hatte er ihr eine weite Reise versprochen und gelacht: Vorläufig lasse ich meine Ilse gar nicht heiraten. Ein paar Jahre mag der Glückliche, den wir noch nicht kennen, fein geduldig abwarten. In den paar Jahren schauen wir uns ab und zu die bunte Welt an, damit wir später desto lieber in unserem Heim bleiben. Werdenberg ist ja ein guter, zuverlässiger Verwalter, wenn wir fort sein werden.
Ilse Rauneck dachte nun an Ulrich Werdenberg. Ja, er war zuverlässig, und solange er auf dem Rauneckhof Inspektor sein würde, brauchte sie überhaupt keine Angst haben.
Der Vater hatte sehr große Stücke auf ihn gehalten und sie mochte ihn auch gern leiden, den sympathischen, ruhigen und zielbewußten Mann.
Es war ihr förmlich ein Trost, jetzt an ihn zu denken.
Elf Jahre war sie damals, als er auf dem Rauneckhofe seine Stellung angetreten, und er hatte sie reiten und kutschieren gelehrt. Gut Freund war sie immer mit ihm gewesen, wie mit einem älteren Bruder, bis sie dann vor vier Jahren in die Pension nach Wiesbaden kam, wo sie ein Jahr geblieben. Als sie von dort zurückgekehrt, schien ihr sein Benehmen, sein Ton, nicht mehr so vertraut wie früher, ihr war es von da an, als hätte sich irgend etwas Fremdes zwischen ihn und sie geschoben, das sie beide störte, noch so kameradschaftlich offen miteinander zu verkehren wie vorher.
Es ging ihr durch den Kopf, es war eigentlich sehr schade, daß sich Ulrich Werdenberg damals so verändert hatte während ihrer kurzen Abwesenheit.
Sie hatte sich damals sogar bei dem Vater beklagt. Der aber hatte ihr geantwortet: Als du fortgingst, sah Werdenberg in dir eben noch das Kind, doch nun du als junge Dame heimgekommen, bist du für ihn eine erwachsene Person und er behandelt dich so respektvoll, wie es sich gehört.
Ulrich Werdenbergs Respekt hatte sie seither immer etwas gestört, aber schließlich hatte der Vater recht. Sie veränderte ein wenig ihre Haltung, lehnte sich tiefer in den Sessel zurück. Es hatte sie wunderbar beruhigt, an Ulrich Werdenberg zu denken. Sie ahnte nicht, wie nahe er ihr war.
Immer tiefer brannten die Kerzen nieder.
Ilse Rauneck schien es gar nicht zu bemerken, dünkte es dem Manne. Wie hätte er darauf verfallen können, daß sie jetzt an ihn dachte.
Und dann sann Ilse, bis ihr Hirn müde ward, wieder der Frage nach: Warum hatte ihr geliebter Vater so früh sterben müssen?
Und allmählich war es ihr, als ob alle Gedanken auslöschten und nach einem Weilchen, als ob sich die Lippen ihres Vaters leise bewegten, als ob sie Worte höre, die sie aber nicht verstehen konnte, weil sie viel zu leise gesprochen waren.
Ulrich Werdenberg beobachtete, wie sie den Kopf gleich einer aufmerksam Lauschenden vorneigte und sagte: „Sprich, bitte, etwas lauter, Väterchen, sonst verstehe ich dich nicht.“
Sein Herz begann wie ein Schmiedehammer zu klopfen. Gütiger Himmel, der Sterbefall schien Ilse Raunecks Sinne verwirrt zu haben, denn was sie eben zu dem toten Manne gesagt, ließ doch keine andere Deutung zu.
Wenn sie noch einmal etwas Ähnliches redete, war es seine Pflicht, vor sie hinzutreten und die Geister des Wahnsinns zu scheuchen, die sich an sie heranwagten.
Es war ja auch eine schreckliche Idee von Ilse, hier ganz allein am Totenlager die Nacht verbringen zu wollen. Das vermochte wohl den armen, zerquälten Kopf völlig zu verwirren.
Ilse aber hielt ihren Blick starr auf die Lippen des Vaters geheftet und plötzlich glitt es wie ein flüchtiges Lächeln über ihre Züge.
„Ich danke dir, Herzensvater, für die Warnung, ich werde sie nicht vergessen!“
Ulrich Werdenberg dachte in diesem Moment nicht daran, daß der Schreck über sein plötzliches Erscheinen Ilse vielleicht mehr schaden könnte als eine kurze Überreizung der Nerven, die ihr Gehörhalluzinationen vortäuschte.
Er war entsetzt darüber, daß Ilse glaubte, der Tote habe zu ihr gesprochen und er vergaß darüber alle Klugheit. Er stand, ehe er noch recht wußte wie er dahingekommen, schon neben ihr und seine Züge spiegelten deutlich die Angst wieder um die heimlich Geliebte.
Ilse Rauneck erschrak jedoch nicht im mindesten, als sie Ulrich Werdenberg so unvermutet vor sich erblickte. Ihr fiel es gar nicht auf, daß sie kein Türöffnen auf sein Eintreten aufmerksam gemacht.
Er erklärte hastig und wahrheitsgemäß seine