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Raubvögel über dem Rauneckhof. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Raubvögel über dem Rauneckhof
Год выпуска 0
isbn 9788711592274
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Es war, als wären sie dreie nur noch allein auf der Welt, der Tote, Ulrich Werdenberg und sie.
Einmal erhob sich der Mann, um eine Kerze zu ersetzen durch eine neue, und als er seinen Platz wieder einnahm, kehrte auch ihre Hand, als gehöre sie dorthin, wieder in die seine zurück, drängte sich ein wie in eine Schutzhülle.
Ulrich Werdenbergs Finger umschlossen die kleine Hand mit einer Zärtlichkeit und Innigkeit ohnegleichen.
Das Vertrauen Ilse Raunecks beglückte ihn, aber er kam nicht auf die Idee, in dieser sich freiwillig in die seine schmiegenden Hand mehr zu sehen, als das Schutzbedürfnis eines Mädchens, das er von Kinderjahren an kannte.
Er liebte Ilse, doch den Traum, sie könne ihn wiederlieben, den träumte er nicht.
Aber es war so wundervoll, die kleine Hand festzuhalten in den langen, stillen Stunden hier am Totenlager. Es war so wundervoll, der Einzige sein zu dürfen, dem Ilse Rauneck erlaubte, jetzt hier bei ihr zu bleiben.
Sie saßen beisammen, bis der Morgen graute, und mit Erschütterung sah er, wie verstört und fahl das Gesicht Ilses war, als sie sich nun erhob.
Ihm war es, als müsse er die Arme ausstrecken und sie hindern, das Zimmer zu verlassen, aber er ließ sie doch gehen.
Mit solchen Aufwallungen mußte er fertig werden.
Er war froh, daß Ilse nicht mehr auf die Warnung des toten Vaters zurückgekommen.
Seine Angst, ihr Geist könne durch den Schreck über des Vaters Tod gelitten haben, war wieder vollständig geschwunden. Aber eigenartig blieb die Warnung doch, die Ilse gehört zu haben glaubte. Fest war sie ihm im Gedächtnis geblieben und er wiederholte sie sich:
Nimm dich in acht vor einem Habichtspaar. Ich sehe es schon heranfliegen, bald wird es auf dich, meine geliebte Taube, niederstoßen. Hüte dich vor ihnen, mein Kind, hüte dich vor den Raubvögeln!
II.
Auch die leidvollsten Stunden gehen vorüber, auch die schwersten Tage können nicht verweilen, und so waren schon einige Wochen verflossen, seit Herbert Rauneck auf dem kleinen Dorffriedhof gebettet worden war.
Er schlief in der Familiengruft zwischen seiner Mutter und seiner Frau, zu Füßen seines Vaters und seiner Großeltern.
Täglich, gleichviel bei welchem Wetter, wanderte Ilse nun zum Friedhof und betete.
Sie fühlte sich oft so grenzenlos einsam, und ihre hübschesten Stunden am Tage waren es, wenn sie mit Inspektor Werdenberg eine Gutsangelegenheit besprach oder die Mittagsmahlzeit mit ihm gemeinsam einnahm.
Schon bei ihrem Vater hatte Ulrich Werdenberg stets an ihrem Mittagstisch teilgenommen, und Ilse dachte gar nicht daran, das zu ändern.
Um so mehr aber beschäftigten sich die lieben Nächsten damit.
Man klatschte und tratschte, es gehöre sich nicht, daß der Inspektor tagtäglich am Tische der jungen Herrin sitze, als sei er der Gatte.
Eines Tages hörte auch Hermine Seydel davon.
Sie ärgerte sich sehr darüber, sagte aufgebracht zu ihrem Mann: „Wie schlecht sind doch die Menschen. Es ist eine große Gemeinheit von den bösen Zungen, der armen Ilse was am Zeug flicken zu wollen, weil sie, wie sie es von jeher gewohnt, mit dem Inspektor gemeinsam zu Mittag ißt.“
Dr. Seydel machte eine unbestimmte Gebärde.
„Aber, liebe Hermine, es ist doch eine alte Geschichte, der Klatsch ist ein Wegelagerer, er stürzt sich auf jeden, der ihm nicht klug ausweicht. Und dann bin ich selbst auch der Meinung, Ilse Rauneck ist noch zu jung, um so allein zu hausen. Sie ist reich genug, sich eine Gesellschafterin leisten zu können. Es gibt so nette, liebe, ältere Damen. Wenn so eine Respektsperson auf dem Rauneckhof käme, müßten die Klatschtanten, die in diesem Fall wohl nicht alle männlichen Geschlechts sind, verstummen. Rate doch Ilse zu einer Gesellschafterin, könntest dich ja sogar in der Angelegenheit bemühen.
Frau Hermine machte sich am Nachmittag auf nach dem nur eine Viertelstunde vom Dorf entfernten Gutshof und traf Ilse bei der Lektüre eines landwirtschaftlichen Werkes.
„Sie wachsen allmählich in Ihre Rolle als Gutsherrin hinein“, lobte Hermine Seydel, den langen Titel des dickleibigen Buches lesend. Sie nahm die Einladung zum Kaffee an, und als der dunkle Trank in den Tassen dampfte, brachte sie das Gespräch langsam auf das Thema, um dessentwegen sie heute hierher gekommen.
Ilse lächelte ein wenig.
„Ach, liebste Frau Doktor, ich verspüre nicht das mindeste Verlangen nach einer Gesellschafterin. Ich habe außerdem gehört, man kann dabei tüchtig reinfallen. Sehen Sie, wie unangenehm wäre es zum Beispiel, wenn so eine dame d‘honneur ihren Ehrenposten bezieht und es stellt sich nach kurzer Zeit heraus, sie ist eine unangenehme Person. Dann habe ich sie auf dem Halse und es kostet nachher allerhand Mühe und Arbeit, sie wieder los zu werden. Nein, nein, ich fühle mich allein ganz wohl. Sie besuchen mich ja öfter und Inspektor Werdenberg auch.“
„Um den handelt es sich ja gerade“, platzte Hermine Seydel heraus, undiplomatisch wie sie nun einmal war.
Ilse sah die ihr am Kaffeetisch Gegenübersitzende mit großen Augen an.
„Ich begreife wirklich nicht, was Sie meinen. Weshalb brauche ich denn gerade eine Gesellschafterin, weil Sie mich öfter besuchen und der Inspektor auch?“
Die Ältere machte ein etwas betretenes Gesicht.
„Ich falle immer gleich mit der Tür ins Haus“, klagte sie sich an, „aber das Drumherumreden liegt mir nicht. Also kurz heraus, liebstes Ilsekind, man klatscht, weil der Inspektor des Mittags an Ihrem Tische mit ißt und kein Anstandswauwau dabei sitzt.“
Ilse konnte nicht anders, sie mußte lachen.
„In welchem Jahrhundert leben wir denn eigentlich? Heutzutage, wo Männlein und Weiblein zusammen turnen, baden und wandern, ist‘s doch wohl wirklich nicht mehr nötig, daß sich eine Mündige eine Gesellschafterin nimmt.“ Sie wurde ernst. „Ulrich Werdenberg kam auf den Rauneckhof, als ich erst elf Jahre alt war, er gehört doch hierher, wie — ach, ich weiß keinen rechten Vergleich. Nein, liebe Frau Doktor, so gut Sie es mit mir meinen, ich möchte keine Gesellschafterin. Eine Verwandte, eine befreundete Dame, nun ja, so eine Gesellschaft wäre vielleicht ganz angenehm, aber eine Fremde würde nur eine Störung bedeuten. Also mögen die Leute klatschen, wenn es sie langweilt, hören sie auch wieder auf.“
„Beste Ilse, Sie haben beinahe recht, aber auch nur beinahe! Sie würden sich sicher sehr bald an eine nette Gesellschafterin gewöhnen.“ Frau Hermine zuckte die Achseln. „Es wäre ja auch nicht für immer. Eines Tages werden Sie heiraten und dann sind Sie sowieso nicht mehr allein.“
Ilse war leicht errötet.
Weshalb brauchte sie heiraten? Der Rauneckhof bedurfte keines Herrn, solange Ulrich Werdenberg hier blieb.
Und hatte er nicht gesagt, er würde den Hof nie verlassen, sie müßte ihn denn selbst fortweisen.
Sie Ulrich Werdenberg fortweisen!
Im ganzen Leben nicht, und wenn sie beide so alt würden wie Methusalem.
Hermine Seydel nahm an, Ilse schweige solange, weil sie über die Gesellschafterinfrage nachdachte. Sie drängte: „Sagen Sie ja, liebe Ilse, ich bin dann gern bereit, in Frankfurt nach einer geeigneten Dame Umschau zu halten. Ich habe morgen doch dort zu tun.“
Ilse hatte wirklich keine Lust zum Jasagen, aber ein glattes Nein wollte ihr auch nicht mehr über die Lippen, denn die freundliche Doktorsfrau meinte es nur gut mit ihr, dessen war sie sicher.
Sie wich aus: „Ich möchte mir Ihren Vorschlag noch ein bißchen überlegen, noch ein paar Tage, so von allen Seiten, wissen Sie, Frau Doktor. Da ich aber ebenfalls einiges in der Stadt besorgen möchte, können wir ja morgen zusammen fahren. Im Wagen. Wenn es Ihnen recht