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an sein grosses Ziel.

      IV.

      Lorensen kam erst am frühen Morgen nach Hause, als die Sonne schon hell ins Zimmer schien. Beim Grauen des Tages war Kempen erwacht, und als er das Bett auf der anderen Seite leer fand, hatte er sich erhoben, die Tür aufgeriegelt und sich wieder schlafen gelegt. So konnte Lorensen sich dann hineinschleichen und den Freund über die Zeit täuschen, wie es oftmals geschehen war, wenn er keinen Schlüssel bei sich hatte und der Verführung unterlag. Diesmal jedoch war er ertappt, denn Kempen reckte sich mit offenen Augen, so dass die alten Bretter knackten, und machte ihm in seiner derben Art Vorwürfe. Seit einiger Zeit ernährten sie sich durch Kleinplastik, und so hatten sie dringende Aufträge erhalten, die rasch erledigt werden mussten. Es waren Vasen mit Amoretten, Einzelfiguren und Karikaturenköpfe — alles Fabrikware, die aber unter ihren Händen fix zu Geld wurde.

      „Wie spät ist es denn?“ fragte Kempen, da sie keine Uhr besassen; und als er hörte, dass es erst vier sei, wusste er Bescheid, denn dieser Bruder Leichtsinn pflegte die Stunden gehörig zurückzuschrauben, sobald ihm das Gewissen schlug. „Dann wird’s wohl sieben sein,“ knurrte Kempen und wollte ihn veranlassen, den nötigen Schlaf ohne weiteres nachzuholen.

      Lorensen jedoch, der ihm die üble Stimmung anmerkte, setzte sich zu ihm auf den Bettrand, noch im Mantel wie er gekommen war, und bat ihn, nicht den Bösen zu spielen. Bei solcher Gelegenheit empfand er seine verwerfliche Schwäche ganz besonders, fühlte er die Stärke dieses Braven, dessen gute Lehren sich auch stets in gleiche Handlungen umsetzten. Er zerfloss dann förmlich in Weichheit, schämte sich ein wenig und kramte einen Korb voll Entschuldigungen aus, zum Schluss mit der Beteuerung, dass es „das letzte Mal“ gewesen sein solle. Es sei eben nicht anders gegangen; Walzmann habe nicht nachgegeben, und so hätten sie alle mitbummeln müssen, noch in ein halbes Dutzend Cafés und wer weiss wohin! Zuletzt spielte er den grossen Trost aus, dass es ihn nichts gekostet habe, wobei er wohlweislich verschwieg, dass er die Abzahlung von Schmarr bis auf den letzten Pfennig an den Mann gebracht hatte.

      „Aber die Zeit, die Zeit!“ stiess Kempen zwischen den Zähnen hervor, verzieh ihm dann aber schnell, weil er wusste, dass Lorensen, sobald er wieder bei der Arbeit sass, sich nicht umzublicken pflegte. Trotzdem schimpfte er auf Walzmann, auf diesen unglücklich veranlagten Könner, der durch seine Wüstheit die Jugend mit sich fortriss, hinein in den Sumpf, in dem er seinen Meistersessel aufschlug. Nun hatte er sich wieder um acht Tage gebracht und ihn, Kempen, auch, denn gern hätte er die Gelegenheit wahrgenommen, schon in dieser Woche einen Batzen Geld bei ihm herauszuholen. Er liebte den grossen Zug, das Arbeiten mit vollen Händen, wo man nicht zu finzeln brauchte.

      Als dann die Aushilfezeit bei Walzmann wieder vorüber war, wurde Lorensen plötzlich in das Atelier seines Professors gerufen, der das Lehramt an der Akademie aufgegeben hatte und ihn nun bei der Ausführung eines grossen Brunnens für eine kleine Residenzstadt beschäftigen wollte. Erfreut willigte er ein, denn er bekam gut bezahlt und durfte dadurch auf weitere Beziehungen hoffen.

      Einige Tage darauf trat man auch an Kempen mit einem Auftrag heran. Ein bekannter Kunstgiesser hatte in Paris eine Genrebüste gesehen, die viel gekauft wurde. Ein junges Mädchen trug einen zwitschernden Vogel auf der Schulter, mit dem sie sich anscheinend unterhielt. Er dachte an etwas Ähnliches für den Handel und versprach sich ein Geschäft davon. Kempen lag die Sache nicht, die Lorensen jedenfalls vortrefflich gemacht haben würde, wenn er jetzt den Tag über nicht aus dem Hause gewesen wäre. Trotzdem wollte er nicht gern ablehnen, um sich die Gunst des Mannes nicht zu verscherzen.

      Es war morgens, als die Freunde beim Kaffee sassen und darüber berieten. Da der Februartag neblig und dunkel war, so hatte Lorensen es heute nicht eilig. Plötzlich, nachdem es bescheiden geklopft hatte, trat Klara Munk herein, einen kleinen Deckelkorb am Arme, aus dem ein leises Gurren sich vernehmen liess. Beide hatten sie nicht mehr gesehen seit dem Vormittag, wo sie wirklich aufgetaucht war, um nach Wäsche zu fragen, aber erfolglos, denn die Künstler hatten ihre besondere Alte, der sie nicht untreu werden wollten.

      Nun stand die braune Hexe wieder vor ihnen, die Nässe des Tauwetters an den derben Schuhen, Feuchtigkeit im Kleidchen, im ausgefransten Jackett und auf dem glänzenden Haar, das noch wie früher schwer herniederhing. Ihre Augen blitzten im frischen Gesicht, und unter den vollen Lippen leuchteten die Zähne, denn sie lächelte vergnügt wie ein Kobold, der seine Mucken treibt.

      Ob die Herren vielleicht ein paar Tauben kaufen wollten? Mutter habe noch zwei zu vergeben, die letzten von dem Dutzend, das sie sich gehalten hätten.

      Sie hatte den Deckel bereits aufgerissen und eins der weissen Tierchen hervorgelangt, das sie nun fest an ihre Brust drückte, den Schnabel auf ihr Mündchen gerichtet.

      „Bleib so stehen, bleib so stehen!“ rief Lorensen begeistert aus und sprang vom Tisch auf.

      Ruhig verharrte sie in derselben Stellung, die langen Wimpern gesenkt, von köstlicher Ahnung bewegt, was die Männer am Fenster leise besprechen würden. Und als Lorensen sie bat, die dumme Jacke abzulegen und das Tierchen noch einmal so zu halten, erfüllte sie ohne weiteres diesen Wunsch. Sie war rot geworden, in jener freudigen Erregung eines flüggen Mädchens, das den Mittelpunkt eines wichtigen Vorganges bildet.

      „Hör mal,“ sagte nun Kempen nach einiger Überwindung. „Könntest du wohl vormittags ein paar Stunden Modell sitzen? Du weisst doch, was das ist?“

      Ein erhabenes Nicken kam, dem die Worte folgten: „Sie müssen aber erst Mutter fragen.“

      Kempen kaufte die Tauben ohne zu handeln, was Lorensen merkwürdig fand. Dann tat der Bärbeissige die Tiere in eine Kiste, warf die Erbsen hinein, die noch im Korbe waren, und liess das Mädchen gehen.

      In der Dämmerung machte er sich auf den Weg zu Frau Munk, die nicht weit wohnte, in einer der Strassen, die auf Schöneberger Gebiet lagen. Als er den schmalen, unsauberen Hof hinter sich hatte und dann glücklich durch den schwach beleuchteten Flur in die verbaute Parterrewohnung des Quergebäudes gelangt war, erstaunte er, keine von den gewöhnlichen Witwen zu finden, denen man ihr Gewerbe sofort ansieht, sondern eine stattliche Person, deren Eindruck an bessere Tage erinnerte. Fast geriet er in Verlegenheit, als sie ihn mit Anstand in das saubre Zimmer hinter der Küche führte, wo alles weiss von Wäsche war, die der Bearbeitung harrte. Es roch nach Stärke und nach Plätteisen, und die backige Wärme legte sich Kempen sofort auf die Lunge; aber mit einem gewissen Behagen atmete er diese Stubenluft, die ihn an die enge Klause der Mutter daheim erinnerte.

      „Ah, der Herr Künstler!“ Nach einem Wink von ihr schlürfte ein kräftiges Mädchen in heller Bluse, das mit seinen derben, entblössten Armen am Fenster das Eisen gestrichen hatte, auf weichen Sohlen hinaus, wobei die Dielen erzitterten. Dann warf Frau Munk mit einem Schwung einen Berg Chemisetts von einem Stuhl auf das Sofa an der hinteren Wand und lud ihn zum Sitzen ein. Die einzige Lampe stand auf der Kommode; im tiefen Schatten des äussersten Winkels kicherte jemand, und als Kempen den Blick dorthin richtete, sah er Klara auf einer Fussbank hocken und ihren Kaffee trinken. Wie der Wind hatte sie sich bei seinem Eintritt verzogen, um versteckt zu hören, was man sprechen würde.

      „So ist sie nun, immer hat sie Possen im Kopf,“ sagte die Mutter, ohne es ernst zu meinen. „Aber sie ist ein gutes Kind, brav und fleissig. Sie war immer die Beste in der Schule. Wenn ich sie jetzt nicht hätte —! Man hat es nicht leicht, Herr Kempen. O, ich weiss schon, wie Sie heissen. Und auch von dem drolligen Umzug hat sie mir erzählt. Sie spricht immer die Wahrheit und verschweigt mir nichts. Ist das nicht hübsch?“ Und als der Bildhauer, wortlos darüber, hier wie ein guter Bekannter behandelt zu werden, nur nickte, fuhr sie fort: „Ich habe lachen müssen. Ja, die Kunst geht nach Brot, das war immer so.“

      Sie sprach in einem Zug weiter, von ihrem Vater, der noch als Greis ein schöner Mann gewesen sei mit roten Wangen und langem, weissen Bart, und den sich alle Maler geholt hätten, um ihn zu verewigen. Auf vielen Gemälden sei er zu sehen, und da oben über der Tür hänge noch sein Bild, nun schon verräuchert durch die Jahre, das ihm ein Künstler geschenkt habe. Er sei sparsam gewesen, aber ihr Mann, ein Mechaniker, habe mit seiner Erfindungssucht die paar tausend Mark wieder verpulvert, und nun müsse sie sich durchschlagen, wie es gehe. Aber nicht lange mehr solle ihre Tochter so

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