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dich kenne! Übrigens garantiere ich für sein Stillsitzen, denn unter zwei Jahren macht er nie eine Klasse ab.“

      „Das ist zuviel, das ist zuviel! Ich muss die Musik dazu machen!“ quietschte Nuschke jetzt auf, und er flötete, stimmte dann die Klarinette an, fiedelte auf seinem Arm, trompetete, schlug die Trommel, bis er plötzlich diese Orchestermusik mit einem grossen „bum, bum“ schloss, das das schallende Gelächter ringsum wie mit einem letzten dumpfen Paukenschlag durchschnitt. Dann warf er sich auf das Sofa, strampelte mit den Beinen und schrie mit krampfhafter Luftschöpfung: „Ein Trauerspiel, ein Trauerspiel, oder ich lach mich tot!“ Und er sprang wieder auf, ergriff Blankerts beide Hände und sagte voll Begeisterung: „Du wirst wohl deinen Lazarus nicht eher ausstellen können, mein Sohn, als bist du eine Landschaft daraus gemacht haben wirst. Diese Seite liegt dir viel besser — ich hab’s dir immer gesagt. Aber das hast du grossartig erzählt. Einfach plastisch. Geh zur Bühne und werde Komiker.“

      Frau Lemke, die auf ihr Klopfen kein Herein fand, trat erschreckt ins Zimmer. Was denn los sei? Die Lehrerin nebenan habe sie gerufen. Der Anblick der vielen Herren, die im Tabaksdampf förmlich schwammen, denn man qualmte Pfeifen und rauchte Zigaretten, schüchterte sie ersichtlich ein; aber deutlich sprach aus ihren breiten Zügen, dass sie sich diesen Skandal nicht hätte träumen lassen. Nuschke, der nie seine Geistesgegenwart verlor, bot ihr sofort galant einen Stuhl an und machte aus ihr ein „verehrtes Fräulein“, wodurch er ihr ein schämiges Lächeln abzwang, was von einer Verbeugung begleitet wurde, die sich beinahe wie ein Knicks ausnahm.

      Kempen beruhigte sie leise und gab ihr die nötige Aufklärung, wobei er ihr Geld zusteckte mit der Weisung, ein Dutzend Flaschen Bier holen zu lassen, so dass sie mit einer Entschuldigung wieder verschwand. Während die übrigen durcheinander schwatzen und ihre Possen trieben, hatte er im Hintergrunde an einem kleinen Tischchen gestanden und Brotschnitten mit Butter bestrichen, die er nun mit Aufschnitt belegte. Am Tage vorher war für Lorensen eine Kiste aus der Heimat eingetroffen, die einen Schinken und Dauerwürste enthielt, so dass man heute gehörig prassen konnte.

      Schmarr war still geworden, wie immer, wenn ihn etwas Besonderes bewegte. Dieser koboldartige Spötter hatte seine Tiefen, in die er sich zeitweilig versenkte, so dass er mit Gewalt aus ihnen hervorgeholt werden musste. Er setze sich auf das schäbige Sofa, wobei an der eingedrückten Ecke seine spillerigen Beine tief unter dem Tische verschwanden. Wie ein ungeschlachter Zwerg sass er da, dessen Kopf nur auffällt. Er hatte seinen alten Zustand, in dem der Kunstsinn mit der Not den grossen Seelenkampf führte; denn überall hing er mit kleinen Schulden, und es war wieder einmal gänzlich Ebbe in seiner Kasse. Diese verlockenden dreihundert Mark hätten ihn gründlich flott machen können von dem rauhen Riff seines augenblicklichen Daseins; aber er hasste alle Porträtarbeit, die ihn mit Widerwillen erfüllte, weil er keinen Fortschritt darin erblickte.

      Minutenlang blieb er unbeachtet, denn Blankert erzählte den andern eine lustige Geschichte. Er malte in einem alten Bodenraum der Luisenstadt, den ihm der Hauswirt durch dünne Kalkwände hatte erträglich machen lassen, weil er mit seinem Vater bekannt war. Eine unstete Natur, hatte er, kaum flügge geworden, die Akademie verlassen und sich zwischen den vermörtelten Latten eingekapselt, von dem Wahn befallen, er könnte sich schon jetzt durch ein unsterbliches Meisterwerk sein Glück erzwingen. Allen diesen jungen Leuten, in denen es fortwährend gärte, schwebte immer etwas Grossartiges, noch nie Dagewesenes vor, das sie allein bewältigen müssten; sie hatten etwas von Einsamkeit gehört, aber nicht richtig verstanden. Und so patzte auch Blankert auf seinen erweckten Lazarus die unmöglichsten Farben, kratzte sie immer wieder ab und strich aufs neue drauf los, ohne Befriedigung zu finden. Es war die Zeitvergeudung eines Menschen, der zur Höhe möchte, ohne die nötige Kraft zu haben. Schon verschiedene Male hatte er die ganze Zeichnung umgestossen, je nachdem er einen andern Kerl fand, der sich gegen wenig Geld hinaufschleifen liess, um sich einige Stunden als Lazarus zu fühlen. Letzthin nun tat ihm ein Dienstmann den Gefallen, der aber plötzlich die Krämpfe bekam, so dass Blankert, tödlich erschreckt, schon glaubte, er werde ihn als Leiche in seinem Atelier haben.

      „Ich lief hinaus, um Hilfe zu holen,“ schloss er dramatisch, „und denkt Euch nur, als ich zurückkomme, sitzt der Kerl wieder gesund da, lacht mich an und sagt vergnügt: „Nun bin ich wirklich erwacht“. Was für einen Effekt habe ich mir entgehen lassen!“

      „Du, den hätt ich gleich lebend nach der Ausstellung getragen,“ witzelte Nuschke. „Die kleine goldene wär dir sicher gewesen.“

      „Das kommt nur alles davon, wenn man die Dienstleute nicht an der Ecke stehen lässt,“ mischte sich Kempen trocken ein und reichte nun das belegte Brot herum. Das Bier kam, und man ass und trank.

      „Nein, es geht nicht, es geht wirklich nicht,“ sagte Schmarr plötzlich wie aus einer Betäubung erwacht, während die andern sich den Mund gehörig stopften. Und er begann, Blankert auseinanderzusetzen, dass ihm niemals etwas gelänge, sobald er Fratzen vor sich habe; er möchte es ihm nicht übelnehmen, wenn er seine Bemühungen mit Dank ablehne. Er war nicht mehr der Spötter, sondern der Duldsame, der andern nicht mehr weh tun möchte.

      „Was, es geht nicht!“ hauchte ihn Nuschke nun an, der rasch das zweite Glas Bier heruntergestürzt hatte. „Lieber Sohn, bist du verrückt geworden? Dreihundert Mark, bedenke doch! Das ist ja ein kleines Kapital. Du könntest dir gleich die Haare schneiden lassen und uns alle zu einem Diner bei Dressel einladen.“

      „So viel Geld gibt’s ja gar nicht,“ warf der Maler ein.

      Und auch Lorensen stimmte in diese Entrüstung mit ein. „Das ist mal wieder furchtbar echt von dir, dieser Eigensinn,“ sagte er kauend. „So etwas nimmt man doch mit, man lernt doch dabei.“

      „Nein, es geht nicht,“ wiederholte Schmarr und liess die langen, dürren Finger durch den sprossenden Christusbart gleiten, während er die klaren, braunen Augen zu den Freunden aufschlug. „Seht Ihr, ich kann nur hübsche Gesichter vor mir sehen, dann gelingt mir’s. Die Schönheit ist der Quell, aus dem ich schöpfe und der mich begeistert. Die Hässlichkeit stösst mich immer ab, und dann erstarrt mir der Ton in den Händen. Es ist wirklich so. Mein Auge will trinken, aber nur das, was meiner Seele schmeckt. Schlag mich tot, Blankert, nennt mich alle einen Faulpelz, meinetwegen, einen Idioten, aber es ist nicht zu ändern; ich kann keine verkrüppelten Linien sehen.“

      „Aber Herrgott, einmal ist doch keinmal,“ liess Lorensen nicht locker, der noch zwanzig Mark von ihm bekam und nun hoffte, bei dieser Gelegenheit die Schuld getilgt zu sehen.

      „Doch, doch!“ fuhr Schmarr mit geröteten Wangen fort, die seinem schmalen Gesicht den Glanz lebhaften Feuers gaben. „Einmal ist manchmal hundert Mal. Wie viele haben dasselbe gesagt und sind dann hübsch weiter gepatscht, bis sie ihr Ideal in einem Sumpf begraben haben. Kinder, lasst mir doch das bisschen Eigensinn. Wenn ich in dieser kunstfeindlichen Welt mal verhungern sollte, möchte ich wenigstens von der Schönheit beweint werden. Na, und ein paar Putten werden auch noch zur Seite stehen.“

      Es war sein altes Lied, das er sang und das die Streber, die gern gut lebten, nicht verstanden. Selbst von der Natur missgestaltet, betete er sie doch an, aber nicht im Lichte seines Spiegelbildes, sondern in aller Herrlichkeit ihrer Vollendung, die ihm die eigene Gebrechlichkeit erträglich machte. Er ass und trank jetzt nicht, denn wenn er bei diesem Punkt angelangt war, brachte er seine Überzeugung gründlich zum Durchbruch, wobei ihm die Rede von den Lippen perlte. Stets die Ahnung von einem frühen Tode in der schwachen Brust, klammerte er sich förmlich an sein Kunstevangelium, wie an einen heiligen Retter, der ihn in dem Drangsal seines Leidens beschirmen müsse.

      „Das gefällt mir, bleib dir nur treu,“ mischte sich Kempen hinein, der seine eigene Meinung von ihm verfochten sah.

      „Seht Ihr, ein bisschen Ruhm möchte ich doch auch noch erleben,“ fuhr Schmarr fort und griff nun endlich zu, erfreut über die Anerkennung des Hamburgers.

      „Ach, was heisst Ruhm?“ hielt ihm der lebenslustige Nuschke entgegen, der gern zum Wortstreit herausforderte, sobald die Gelegenheit es mit sich brachte. „Erst kommt der Erhaltungstrieb, dann die Widerstandskraft und dann allmählich das Klettern auf die Höhe. Ich könnte nur schaffen, wenn ich meine Bequemlichkeit hätte.“

      „Ruhm

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