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pflegte. Ganze Sagen hatten sich bereits um ihn gesponnen, von seinen Schrullen, seinem Einsiedlerleben und der Fixigkeit, mit der er gleich einem Heinzelmännchen die schwierigsten Aufträge im Handumdrehen überwand. Man raunte sich bedeutende Namen zu, die durch ihn zu Glanz gekommen seien, sobald er ihnen als stummer Gehilfe sein mächtiges Können geliehen habe. Und noch war es im Gedächtnis der Alten, dass die grosse Gruppe: „Germania, Elsass und Lothringen umarmend“, die am Einzugstage 1871 den Potsdamer Platz schmückte und allgemeines Aufsehen erregte, von ihm in einem Zuge zusammengekittet worden war, ohne dass man damals viel Notiz von dem eigentlichen Schöpfer genommen hatte. Ein richtiger Lohnsklave der Ateliers, hatte ihn längst jeder Ehrgeiz verlassen, und so tappte er gewohnheitsmässig als ein Furchentreter der Kunst weiter, liess hinter sich ruhig säen und machte sich nichts aus der Ernte, die die Klügeren auf Kosten seiner Kraft hereinbrachten.

      Kaum hatte er sich in der anderen Sofaecke neben Schmarr niedergelassen, als Nuschke ihn fragte: „Sagen Sie, Meister, was ist Ruhm?“

      Walzmann kniff die Äuglein zusammen und verzog den etwas schiefen Mund. „Eine gute Jauersche, Erbsen mit Pökelfleisch. Wenn’s hoch kommt, ein saftiges Beefsteak. Dja. Es kann auch Bratwurst mit Lorbeer sein. Gewiss, gewiss! Sag’, doch, mein Junge —.“

      Sein trockener Ernst reizte zum Lachen, ohne dass man sich Mühe zu einer Widerlegung gab; denn man wusste, dass sich dahinter nur sein tiefer Ingrimm versteckte, der ihm zur Philosophie der Wurschtigkeit verholfen hatte.

      Er begriff nicht, wie man sich über solche Dinge noch aufregen konnte. Dann langte er nach der Skizze des Löwenkämpfers, die er sorgsam drehte und prüfte. „Kerl du! Neuer Michel Angelo. Dja,“ wurde seine Bewunderung laut. „Und so etwas zeigst du mir nicht? Verflucht noch mal. Idee, Idee! Das seh ich. Mal was andres als die Konditorschmiere. Marzipanguss, wohin man sieht. Dja. Glasierte Kuchenmänner, was nachher Denkmal heisst. Pfui Deibel, ist die Kunst zur Dirne gesunken!“

      Und er spie aus, hob die linke Schulter, um ein Gleichgewicht herzustellen, und fuhr fort: „Schlüter, Schlüter! Der Grosse Kurfürst und die Schlossfassade. Danach strebe, danach strebe! Nichts Grösseres als dieser Kerl! . . . Nein, nein, ich will nicht trinken!“ unterbrach er sich. „Gib mir ein Glas Wasser, nur Wasser, ich muss nüchtern bleiben. Morgen früh um sieben knete ich schon. Es muss, es muss! Der Dreck will gemacht sein. Zwei tüchtige Schinken, du kannst dir denken.“

      Er schob das Bier zurück, faltete die welken Hände über den Leib und sprach mit geschlossenen Augen seine Kunstandacht weiter, in der ihn niemand störte. „Schlüter, Schlüter! Dieser Gott, dieser Spitzbube! Hat mir mein Herz gestohlen, die eine Hälfte; die andere hat Beethoven. Dja . . . Habt Ihr denn keine Drahtkommode? Spiel Beethoven, Nuschke! Die Neunte! Die Herrliche . . . Die Pathétique, was du willst, nur Beethoven! Meine Seele dürstet. Hab mich geärgert über einen Hundsfott von Professor. Dja. Handelt sechs Dreier ab, dieser Krämer. Die Welt ist voller Lumpen.“

      Nuschke sagte nichts, aber plötzlich blies er mit den Lippen „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, so wunderschön, dass alle ergriffen lauschten.

      „Gut, gut, mein Sohn,“ liess sich Walzmann wieder hören. „Ausgezeichnet, aber etwas eintönig dein Klavier.“ Er gluckte ein kurzes Lachen herunter. „Könntest als Solist gehen. Bleib in der Übung, bilde dich aus. Wenn deine Opern nicht aufgeführt werden, hast du doch ein Handwerk. So war’s mit mir. Träumte von einem Tempel aus Marmor. Sitz jetzt im Müllkasten. Kinder, man muss kriechen, man muss kriechen! Dann kommt man zur Höhe. Wer aufrecht steht, ist ein Rebell. Dja! Ein Anmassling, ein Stolzling, ein Kümmerling, ein Krümelsucher, ein nichtsnutziger Strassenspatz. Dja. Futterneid, nichts als Futterneid! Jawohl, meine lieben Zigeuner. Der Kampf um die Krippe. Die Bauchrutscher siegen . . . Kommt, kommt und seht Euch meinen Goethe an. Ausgeschlossen von der Konkurrenz, das Mass stimmte nicht. Herrlich, himmlisch! Ein Denkmalkomitee aus Sardellenhändlern. Als ob man Jupiter nach Zollen messen könnte! Nicht nach Metern, sondern nach Meilen. Dja. Über die Toga sitzt der Frack zu Gericht. Jupiter flieht. Auf seinem Sockel steht Stadtrat Meyer. Der Tempel stürzt, die gute Stube wird zum Tribunal. Alt-Hellas sitzt auf der Rosinante, und der Droschkengaul zieht den Strassenkarren der Thebaner. ‚Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!‘ Dja. . . . Stand gestern beim Mondschein vor Schlüter, hielt Zwiesprache mit ihm. Kam mir wie ein richtiger Seifensieder vor, schlich beschämt weiter. Sah dann seine Totenmasken am Zeughaus, hatte eine Vision. Lacht nicht, Kinder, ich war nüchtern! Die Ruhmlosen starben und sandten die Anklagen zum Himmel. Verflucht, dieser Skandal! Brechende Augen und Flüche. Sterbesenfzer, Jammern nach einem Labetrunk.“

      Plötzlich unterbrach er sich und blickte auf Kempen. „So gib mir doch etwas zu trinken, Hermann. Ja, denkst du vielleicht —?“ Wiederholt hatte er nach dem Glas mit Wasser gegriffen, das er aber jedesmal wieder von sich schob, wie jemand, der zwischen zwei Dingen zu wählen hat. „Ich verstehe dich nicht, mein Junge, die Arbeit läuft doch nicht fort, nein,“ sagte er dann mit Milde in seiner Stimme. „Übermorgen ist auch ein Tag. Was habe ich dir denn getan? Gönn mir doch den Schluck.“ Und ohne erst die neue Einladung abzuwarten, holte er sich das Bier heran und trank den übrigen zu.

      Schon der erste Tropfen Alkohol warf ihn um und kehrte den andern in ihm hervor, der nach Betäubung verlangte. Aber noch hatte er sich in der Gewalt. „Nein, nichts mehr.“ Er verdeckte mit der Hand das leere Glas, das Lorensen ihm aufs neue füllen wollte. „Einen Schluck noch, meinetwegen.“ Die Reue, nicht festgeblieben zu sein, packte ihn bereits, denn wochenlang trank er nur Wasser und kalten Kaffee, den er sich selbst in einer riesigen Kanne braute.

      Kempen riss Lorensen die Flasche fort, aber schon fühlte Walzmann immer mehr die Schwäche, die ihn am seidenen Faden zog. Sein Mut sank zum Eigensinn, der ihn rauhbeinig stimmte. „Kempen, mein Junge, dankst du mir so? Wer hat dir was beigebracht? Ich, ich, Peter Walzmann, der Prolet, der Lohnschinder, der Dachspatz, der den Grossen etwas auf die Köpfe macht. Das ist mein Trost, meine Freude, dass ich wenigstens wegfliegen kann, wenn ich will . . . Jungs, jetzt wollen wir lustig sein. Ins Nirwana hinein. Hier, holt Bier, holt Kognak, einen mit drei Sternen. Lasst die Kunst leben, die heilige, edle Kunst, die Trösterin der Armen und Bedrückten. Die Göttliche, die Ewige, die Eine! Denn es gibt nicht die Kunst, sondern nur eine. Das ist’s, was die Banausen alles vergessen, die alles rubrizieren möchten. Bleibt ihr treu, dieser Einen, die uns alle umschlingt mit ihren weissen Armen. Meidet den Schmutz, blickt immer nach oben, wo die Reinheit den Erdendunst verzehrt. Prosit, prosit, meine Jungs, es lebe die Jugend, denn ihr gehört die Zukunft!“

      Drei harte Taler waren auf den Tisch geflogen, denn er hatte den Lohn für die letzte Arbeit in der Tasche, ein nettes Sümmchen, das er aber noch nicht an den Mann hatte bringen können, weil die neue Bestellung so plötzlich gekommen war. Nun, wo ihm das Bier die Zunge gelöst hatte, sprach er nicht mehr in abgehackten Sätzen, sondern fliessend wie aus einem Buch. Gleichsam war Schwung in ihn gefahren, der ihn fortführte vom Alltag in den seligen Zustand der Vergessenheit. Er fand bilderreiche Worte, stieg und sank in seiner Empfindung, pfiff, stimmte ein Lied an und fühlte sich plötzlich jung unter diesen Strebenden, die, eine vergnügte Nacht vor sich sehend, die Lobeshymne auf ihn in jeder Tonart sangen.

      „Es lebe der Meister, es lebe der Meister!“

      Die Gläser klirrten, und Nuschke blies einen Posaunentusch dazu. Schmarr erhob sich und wechselte den Platz, denn der Gedanke, als Verwachsener neben einem ähnlichen zu sitzen, hatte ihn längst unruhig gestimmt. Diese beiden betrachteten sich immer mit feindlichen Blicken, ohne dass sie sich es merken liessen; gewissermassen wollte jeder der Schönere von ihnen sein, machte der eine den andern im stillen für das eigene Übel verantwortlich. Trotzdem kamen sie gut miteinander aus, sobald es sich um ihre Kunst handelte.

      Blankert setzte sich neben Walzmann und berichtete ihm von dem Eigensinn des Kleinen, worauf sofort die Antwort kam: „Bravo, bravo, Schmarr! Lieber Kitscharbeit machen, Säulenheilige und Torherkulesse, wasserspeiende Frösche und Postamentgesindel. Nur nicht den personifizierten Stumpfsinn verewigen. Deine Kurrendejungs, prima fein! Brauchst du Geld, brauchst du Geld? Hier, mein Junge, zier dich nicht. Pumpen ist keine Sünde, nur das Wiedergeben.“

      Er holte sein geblümtes Taschentuch hervor, in das er das Gold eingeknotet hatte, und schob ihm nun ein Zwanzigmarkstück

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