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Lemke kehrte zurück, stellte eine Flasche mit Petroleumrest neben das brennende Licht auf der alten, noch zugeklappten Waschtoilette, warf einen bedeutsamen Blick auf die schmokende Pfeife des Blonden, wobei sie an die frisch gewaschenen Gardinen dachte, und wünschte mit freundlichem Lächeln gute Ruhe. Sie sah den offenen Schrank mit den Kleidungsstücken, in dem sogar zwei lange Mäntel hingen, und ging nun mit der stillen Genugtuung einer stets um ihr Wohl besorgten Wirtin, die einen kleinen Trost mit sich nimmt. Alte, gefüllte Pappkartons erschienen ihr plötzlich wertvoller, als grosse Koffer, in denen nichts drin war.

      Wirtschaftlich wie immer machte Kempen die Lampe zurecht, zündete sie an und blies das Licht aus, um zu sparen. Dann legte er ebenfalls seinen Rock ab und rührte abermals die Hände, um rasch ein wenig Ordnung zu schaffen. Wenn die neue Herbergsmutter am andern Morgen den Kaffee brachte, sollte sie einen besseren Begriff von dem „Kunststall“ bekommen, als am Abend vorher. Er säuberte mit einem Lappen den dreibeinigen Bock und stellte ihn vor das eine Fenster; nässte die Leinwand um den Klumpen Modellierton frisch an und brachte ihn in einer Ecke unter; hob die Venusbüste auf das Mahagonispind und breitete die Arbeitshölzer auf die wacklige Kommode unter dem Pfeilerspiegel aus. Die Skeletteisen wanderten in den Schrank, wo sie einstweilen von dem zukünftigen Gebrauch träumen konnten. Dann liess er die kleinen, zusammengetrockneten Tonmodellskizzen auf dem ovalen Tisch eine Reihe bilden, wickelte sorgsam die wenigen Gipsabgüsse klassischer Hände und Arme aus und legte sie auf das ausgesessene Sofa. Am andern Tage sollten sie die Wände zieren, um den Eindruck dieses Philisterzimmers würdiger zu machen. Eine Kiste mit gewöhnlichem Werkzeug, mit Töpfen und Blechgefässen verschwand unter der einen Bettstelle; und auch der freie Raum der andern musste es sich gefallen lassen, mit ähnlichen Dingen gefüllt zu werden.

      Während dieser ganzen Zeit liess Lorensen ihn ruhig gewähren. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass Kempen das alles besser ohne ihn machte, viel sauberer und schneller, ohne Anspruch auf Hilfe. Höchstens, dass er ein paar gute Lehren austeilte, die aber nicht beachtet wurden. Der Blonde stopfte sich die Pfeife aufs neue, ging im Zimmer auf und ab und legte sich hin und wieder zum Fenster hinaus, um die Gegend zu studieren; dann schritt er an sein Jackett, das auf einem Nagel am Türrahmen hing, nahm einen Brief heraus, setzte sich und las ihn, wie er es an diesem Tage bereits mehrmals getan hatte.

      So fand ihn Kempen, als er mit dem Gröbsten fertig war und nun einen grossen Berg Papier, Stroh und alte Lumpen in den Ofen hineinstopfte, den er sich unergründlich wünschte. „Na, es geht dir wohl wieder nahe, wie?“ stiess er pustend hervor, als er die letzte Arbeit glücklich verrichtet hatte und sich nun die Knie rieb. „Lies doch das Zeugs nicht mehr. Was will sie denn noch? Hübsche Sache, wenn es mal von dir heisst: „Er war Bildhauer, und sie hatte auch nichts.“

      Über derartige eigene Scherze lachte er gern zuerst, und so gab er jetzt mit Vergnügen, kurz und bissig, auf diesem Wege seine Weiberfeindschaft zu erkennen, wobei er die Lampe auf einen anderen Platz stellte; denn er empfand das Bedürfnis, Wasser in die Schüssel zu giessen, um sich die zwar kleinen, aber derben Hände zu waschen, deren Finger mit breiten Nägeln die Merkmale der Arbeit zeigten.

      Es handelte sich um eine Liebschaft Lorensens in Lübeck, der er schon vor längerer Zeit ein Ende gemacht hatte, an die er aber heute durch einen acht Seiten langen Brief erinnert worden war.

      Schliesslich aber kniffte er das Schreiben wieder zusammen und heftete die blauen Augen vor sich auf die Diele; dann erhob er sich mit einem Ruck, zerriss die Bogen und sagte dabei wie aufgescheucht aus einer Beklemmung: „Das wollen wir uns noch ein bisschen beschlafen, Hermann. Erst aus diesem Luderleben heraus, das wäre wohl wichtiger, dächt ich.“

      Kempen stand mit weit zurückgestrichenen Hemdsärmeln mitten im Zimmer, trocknete sich die Hände und stiess dann hervor, während er sich auch das Gesicht abrubbelte: „Nur nicht zu früh hängen bleiben, mein Junge. So ein Kerl wie du, der eine grosse Zukunft hat! Wenn du nur willst, dann kannst du schon was. Was für Feinheiten siehst du, verflucht noch mal! Wenn du nur endlich deine Schwäche lassen könntest! Sieh den Kunstgegenstand im Weibe, weiter nichts, das allein führt zur Grösse. Schlimm genug, dass wir Künstler ohne sie nicht fertig werden. Na, ich meide sie so viel als möglich, das weisst du ja. Das habe ich immer dir überlassen.“

      „Jajaja,“ war alles, was Lorensen, nun schon gähnend beim Auskleiden, hervorstiess. Er kannte diese ewigen Redensarten des sonderbaren Menschen, der in seiner Jugend niemals Freude gehabt hatte, dessen ganzes Leben Entbehrung gewesen war und der die Enthaltsamkeit eines Spartaners besass.

      Beide kannten sich schon aus ihrer Knabenzeit. Lorensens Vater war ein kleiner Beamter in Neumünster mit gutem, ehrlichem Auskommen. Kempens Mutter hatte als arme Witwe lange in demselben Hause gewohnt, bis sie wieder nach Hamburg zog, wo sie ein besseres Fortkommen zu haben glaubte. Hermann kam in eine Drechslerwerkstatt und musste sich frei lernen. Zugleich mit ihnen siedelte Fritz über und wurde als Holzbildhauer in die Lehre gebracht, weil er Neigung dazu hatte. Er lebte einigermassen gut bei Verwandten, während der andre saure Wochen durchmachen musste. Lorensen hielt es nur ein Jahr aus, dann ging er nach Lübeck zu einem Meister, wo Gipssachen fabriziert wurden. Kempen dagegen frass sich glücklich bis zum Gesellen durch. Vier lange Jahre stand er dann in einem Keller und drechselte immer dasselbe eintönige Zeug, um seine kränkliche Mutter mit ernähren zu helfen. Während dieser Zeit aber hatte sein bildhauerisches Talent sich entwickelt. Schon als Junge war er ein Kneter gewesen, der aus Brotkrumen und Wachs allerlei Figuren formte, bis er zum ersten Mal weichen Ton in die Hände bekam, wodurch ihm ein neuer Horizont aufging. Mit der Zähigkeit des begabten Menschen, dem der Vater weiter nichts als den gesunden Organismus hinterlassen hatte, stahl er sich die Freistunden ab, um seinen brennenden Kunstdurst zu stillen und zugleich die Lücken seiner Bildung zu überbrücken. Er besuchte die Fortbildungsschule am Sonntag, sass beim Lichtstumpf die halben Nächte über Büchern und sah in trostloser Einsamkeit ein fernes Paradies vor Augen.

      Eines Tages tauchte Lorensen wieder vor ihm auf, der endlich seinen Vater breit geschlagen hatte und nun zu seiner weiteren Ausbildung auf dem Wege nach Berlin war. Als er die Kunstversuche des Freundes erblickte, in denen bereits die Klaue des Löwen sich zeigte, fand er zuerst vor Erstaunen weiter nichts als sein berühmtes: „Das ist furchtbar echt;“ dann aber war es für ihn eine ausgemachte Sache, dass Hermann sofort die Tretmühle verlassen müsse, um mit ihm zu fahren. Es wäre eine Sünde, ein Verbrechen an der heiligen Kunst, wenn er sein Talent verkümmern liesse! In Berlin würden sie sich schon durchstümpern, und er leiste einen Schwur, alles mit ihm zu teilen.

      Er hatte bare dreihundert Mark in der Tasche, und so machte er mit seinem Versprechen gleich den Anfang. Für die Mutter Kempens wurde der Unterhalt auf einen Monat im voraus bestritten, was Hermann gern annahm, denn er hatte sich im Augenblick auch ferner sein festes Ziel gesteckt: in Berlin neben der Kunst die Arbeit nicht zu vergessen. So würde er dem Freunde bald alles vergelten können.

      Sie fuhren also los, hinein in die verschleierte Zukunft.

      Ein Jahr lang besuchten sie die Modellierklasse der Berliner Akademie, bis dann Lorensen in ein Meisteratelier ging, während Kempen der Gehilfe eines alten Bildhauers wurde, der zeitweilig von seinen vielgenannten Kollegen Aufträge erhielt, die er allein in seiner Scheune aber nicht bewältigen konnte. Der verschlossene Hamburger, der bereits bärtig wie ein Vierzigjähriger war und sich ein wenig unter den Jünglingen genierte, hatte bald herausbekommen, dass die akademischen Formen nicht für ihn geschaffen seien, und so klopfte er bei Walzmann an, dem halb verkommenen Genie, der nur arbeitete, wenn er Geld brauchte, die übrige Zeit sich jedoch dem Alkohol ergab. Hier konnte Kempen lernen und dabei auch verdienen, denn in der Heimat sass noch immer das Mütterchen, das von den Sorgen des Sohnes nichts erfahren durfte. In solchen Arbeitswochen blieb Walzmann durchaus nüchtern; er schloss sich dann in seinem „Müllkasten“, wie er das Atelier nannte, gänzlich von der Aussenwelt ab, um die Lieferungsverträge pünktlich innehalten zu können, die seine Auftraggeber mit ihm gemacht hatten. Ein gewisser Paragraph brachte ihn um einen Teil seines Lohnes, sobald er rückfällig zu werden drohte; und das gab ihm die jämmerliche Kraft, in Enthaltsamkeit auszuharren.

      Während Lorensen zu einem Professor ging, um sorgsam eine Sprosse der Kunstleiter nach der andren zu nehmen, machte sich Kempen an jedem Morgen in aller Frühe wie ein Handwerker auf

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