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über Wasser zu halten, denn Lorensens Vater konnte nur einen geringen Zuschuss leisten.

      So standen die Dinge, als die Freunde sich genötigt sahen, ihre Wohnung in der Nähe des Schiffbauerdammes aufzugeben, nachdem ihr dortiger Wirt, ein Kellner, erklärt hatte, die „Schweinerei“ nicht mehr ertragen zu können. Lorensen war allerdings in der Ausnutzung des Hofzimmers in letzter Zeit ein wenig zu weit gegangen. Eines Sonntags, in den Ferien, während Kempen im Zoologischen Garten weilte, um Löwenstudien zu treiben, hatte er sich ein bekanntes weibliches Modell der Akademie kommen lassen und ungeniert seine „Eva in Scham erglüht“ lebensgross zu modellieren begonnen. Das war der Ehehälfte des biederen Serviettenschwenkers zu viel, da sie sich obendrein in ihren Reizen zurückgesetzt fühlte. Sie schlug Lärm bei ihrem Manne, und die Folge davon war, dass der zum Leben erweckte Ton wieder sein feuchtes Klumpendasein führen durfte und die Stubengenossen nach einer gastlichen Stätte für ihren Ehrgeiz sich umsehen mussten. Da es bei Meister Walzmann nichts mehr zu tun gab, so machte Kempen den Vorschlag, die vierzehn Tage bis zum Umzug in der Heimat zu verbringen, wogegen Lorensen nichts einzuwenden hatte, schon aus praktischen Gründen, weil das Leben zu Hause nichts kostete.

      Frisch gestärkt, mit gebräunten Wangen, war man wieder zurückgekehrt, hatte sich einen Wagen geliehen und die kühne Fahrt nach dem Westen gemacht.

      II.

      Gleich am Abend des zweiten Tages fanden sich sonderbare Gestalten bei ihnen ein, um die neue Bude einweihen zu helfen. Als erster klopfte Schmarr an, ein kleiner verwachsener Mann mit einem auffallend grossen Kopf, der stets eine Satyre bereit hatte, sobald der breite Mund mit den schlechten Zähnen sich öffnete. „Na, wollt Ihr Eure Ehe immer noch fortsetzen?“ fragte er sogleich mit einer Anspielung auf die bereits sprichwörtlich gewordene Unzertrennlichkeit der beiden und reichte jedem von ihnen seine lange Pfote, die dürr und knochig aus dem zu kurzen Ärmel ragte.

      Dieser von der Natur so stiefmütterlich behandelte Mensch, der fast hässlich wirkte, aber wunderschöne, grosse Augen hatte, suchte etwas darin, seiner Kleidung einen kokett-künstlerischen Anstrich zu geben, was sich namentlich in den bunten, auffallend punktierten Selbstbindern zeigte, deren geschwungene Schleifen schmetterlingsartig in riesiger Ausdehnung auf dem Rockkragen lagen. „Ich hörte doch irgendwo, Ihr wolltet Euch endlich scheiden lassen, weil Kempen Absichten auf seine alte Waschfrau habe. Junges Gemüse hat ihm ja nie geschmeckt.“

      Um seine Witze anzubringen, erdichtete er immer das Hörensagen. Kempen brummte nach seiner Gewohnheit, Lorensen jedoch lachte hell auf, angesteckt von der Lustigkeit, die dieser Spötter immer hereinbrachte, dessen eigentlich tiefes Gemüt in köstlichen Kindergruppen zum Ausdruck kam, die sozusagen seine Spezialität waren. Seine Doppelbüste „Singende Knaben“ hatte ihm ein Studienjahr nach Rom eingetragen, von dem er noch immer wie ein Weltreisender zehrte. Dreimal war diese Gruppe von ihm verkauft worden, was mit einem gewissen Zunftstolz von seinen Freunden erzählt wurde.

      Maler Blankert, dünn und hochaufgeschossen, umschlottert von seinem ewigen Pelerinenmantel, für den, weil er viel zu kurz und zu eng war, Lorensen die Bezeichnung „Talentwindel“ erfunden hatte, meldete sich zugleich mit dem beweglichen, unverwüstlichen Musiker Nuschke, der, kaum die Tür hinter sich, einen täuschend ähnlichen Trompetentusch hervorbrachte und dann seine Gelenkigkeit bewies, indem er mit dem rechten Bein über eine Stuhllehne setzte. Ein sogenanntes verrücktes Huhn, besass er die Gabe, die verschiedensten Instrumente nachzuahmen, was namentlich zwerchfellerschütternd wirkte, wenn er die Klarinette dudelte.

      Beide wurden mit einem Halloh empfangen. „Ja, Kinder, habt Ihr denn immer noch kein Klavier?“ fragte Nuschke sofort, was er jedesmal tat, sobald er die Bildhauer besuchte. „Das wird ja bald strafwürdig von Euch. Pfui Teufel, seid Ihr unmusikalische Menschen. Ihr geht in kein Konzert, in keine Oper, und wenn ich Euch dann mal ein bisschen Schliff durch meine neueste Komposition beibringen will, dann verlangt Ihr, ich soll die Suppe bei Euch blasen; und die gibt’s nicht mal. Schmarr, ist das ’ne Gesellschaft, was? Gipsbolzen sind’s. Ton kennen sie, aber an Gefühl für Töne mangelts.“

      Und während der Verwachsene wieherte vor Wonne, prüfte Nuschke, der stets patent gekleidet ging, vorsichtig die Stühle auf ihre Reinlichkeit, denn wiederholt war es vorgekommen, dass er aus der früheren Bude der beiden sichtbare Zeichen ihres Kunstmaterials mit davongetragen hatte.

      „Sag mal, wo schindest du denn jetzt fremde Schlafstellen?“ fragte Blankert den kleinen Bildhauer, von dem alle wussten, dass er, da er kein rechtes Heim hatte, in den Ateliers der Jungen herumnassauerte, wo er bald hier, bald dort etwas modellierte, das er dann zu verkaufen versuchte. „Ich habe mir ein paar Sohlen abgelaufen, um dich zu suchen.“

      Schmarr blickte gewohnheitsmässig in schiefer Richtung zu dem Langen empor. „Wieso, wolltest du mich anpumpen?“ gab er ruhig zurück, sicher der Wirkung seiner Worte. Im Innern von Trauer erfüllt über seine Lage, stimmte es ihn stets ärgerlich, sobald man ihn zu offen daran erinnerte. „Ich kann solch einem unsicheren Kantonisten unmöglich längeren Kredit gewähren,“ fuhr er durchaus ernst unter dem Heiterkeitsausbruch der übrigen fort . . . . Du malst ja schon seit zwei Jahren an deiner Auferweckung des Lazarus. Sämtliche Toten werden inzwischen lebendig, darunter die zwölf Droschkenkutscher, die als Modell unter deinem Pinsel gestorben sind.“ Nun konnte er nicht mehr an sich halten, und so schüttelte er sich förmlich vor Lachen.

      Der Maler stimmte vergnügt mit ein, denn trotzdem sich die beiden zeitweilig auf diese Art rieben, waren sie sich doch sehr zugetan, und man sah sie oft brüderlich vereint in den Strassen wandern, was sich sehr komisch ausnahm, wenn der Kleine den Langen untergehakt hatte und von diesem fast mit fortgeschleift wurde. Blankert legte seinen fadenscheinigen Dallesmantel ab (diese zweite Bezeichnung dafür hatte Nuschke erfunden) und faltete ihn mit einer Sorgfalt zusammen, als hätte er teuren Sammet zu behandeln. Dabei sagte er wieder in seiner geschraubten Sprechweise, die ihm etwas Überlegenes geben sollte: „Nein, nein, diesmal irrst du dich, mein Kleiner. Ich habe da einem Böotier in petto, dem ich furchtbar viel von dir vorgeschwefelt habe, was natürlich angesichts deiner soeben erwiesenen Behandlung gegen mich unverantwortlich von mir ist. Ja.“ Er machte eine Kunstpause. „Unter anderem log ich ihm auch vor, du könntest vortrefflich Kindsköpfe porträtähnlich machen, auch die blödsinnigsten.“

      Schmarr, der darin nur verstecktes Lob sah, lachte lautlos in sich hinein, so dass man die Erschütterung an seinem ganzen Körper merkte.

      „Und siehst du,“ sprach Blankert nun mit Gönnermiene weiter, so ist es mir denn glücklich gelungen, sein Interesse für dich zu erwecken. Unverdientermassen für dich. Jawohl, jawohl! Blök doch nicht! Dein Gebiet ist doch nur das Genre . . . . Aber es gäbe einen niedlichen Auftrag. Dreihundert Mark will er anlegen. Vorläufig Gips, vielleicht schwingt er sich später mal zu Marmor auf. Er versteht sich darauf, weisst du, denn es ist ein sehr kunstliebender Herr. Früher hatte er ein Milchgeschäft, jetzt ist er Hausbesitzer. Mein Gönner nämlich, dem ich die Miete für meinen Taubenschlag, Atelier genannt, schuldig bleibe. Ein Vierteljahr habe ich bereits abgemalt, indem ich seine ehrenwerte Gattin porträtierte. Zur völligen Zufriedenheit, weisst du, denn aus dem dreifachen Kinn machte ich ein durchaus natürliches, ohne jede Aufregung. Ja. So strahlt sie nun als ihre jüngere Schwester über dem Sofa. Die Ähnlichkeit ist einfach herzbrechend.“

      Nuschke konnte nicht mehr lachen. Er ging im Zimmer umher und schlug sich mit den Händen fortwährend auf die Schenkel, so dass es klatschte. „Zum Küssen, zum Küssen! Das sind ja grossartige Noten! Wagners Ballet im Tannhäuser!“ schrie er förmlich vor Vergnügen, während er sich mit seinen schmalen Schultern an den übrigen vorbeiwandte.

      „Du wirst deine Freude an dem Jungen haben,“ fuhr Blankert mit der Miene des Schauspielers fort, dem man bei offener Szene soeben Beifall geklatscht hat. „Er ist zwölf Jahre alt, hat eine platte Nase und schielt mit schiefstehenden Augen; ausserdem hat er mächtige Horchlappen. So was übersehen aber geniale Geister wie du, denn Zahlung erfolgt nach Ablieferung, eventuell hundert Emm Vorschuss, wenn ich ein gutes Wort einlege. Ich bin ihm ja sicher. Selbstverständlich! Hast du ihn ganz ähnlich gemacht, dann gibt’s noch ein Frühstück mit Weissbier. Gesteh jetzt also, wo du deine Empfangsstunden hast. In irgend einem Winkel musst du ihm doch imponieren.

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