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am frühen Morgen nach Hause kommen und dann gehörig seine Naht schlafen. Als sie Lorensen im Ballanzug stehen sah, geriet sie in kindliche Bewunderung, der dann stilles Erstaunen darüber folgte, wie ein Mensch sich rasch verändern könne. Der Friseur hatte ihn nachmittags gründlich zurechtgestutzt, ihm die blonde Mähne ordentlich beschnitten und gescheitelt und das Schnurrbärtchen kokett gewichst und gespitzt, so dass etwas Geziertes und Geschnörkeltes an ihm entstanden war. Sie musste lachen, freute sich dann aber mit den beiden, denn, bereits eingelebt in ihre Verhältnisse, hatte sie schon seit Tagen lebhaften Anteil an diesem Vorgang genommen.

      „Ach, bringen Sie mir etwas mit, und wenn’s auch nur eine Blume ist,“ bat sie ihn. „Die feinen Damen haben ja alle Buketts.“

      „Das ist wahr, so ’n bisschen räubern kannst du,“ warf Kempen ein, dachte dabei aber an etwas andres. „Ein Frauenzimmer braucht ja nicht gleich dran hängen zu bleiben.“

      Lorensen fühlte sich bereits in der Rolle des Eroberers; er wiegte sich in seiner schlanken Taille, um die der Frack ihm etwas zu eng sass, quälte sich probeweise mit dem linken Handschuh ab und sagte mit einer gewissen Grossartigkeit, während er den Blick nicht von dem alten Mahagonispiegel liess: „Du, Hermann, das kann gefährlich werden. Vielleicht bleibt ’ne Millioneuse dran hängen. Das war furchtbar echt.“

      „Dann pack nur gleich mit deiner Kunst ein,“ zischelte Kempen zwischen den Zähnen. „Rückgrat gebrauchen wir, Rückgrat, aber keine Frau!“

      Lorensen vergnügte sich wie gewöhnlich darüber, hängte sich seinen Mantel um, erschreckte zum Abschied Klara ein wenig, indem er den ebenfalls geborgten Chapeau claque fast an ihre Nase springen liess, beäugelte noch einmal die selbstlackierten Stiefel und ging dann von den besten Wünschen begleitet.

      Kempen hatte bereits sein bescheidenes Abendbrot auf dem Tisch, und als Klara sich nun ebenfalls verabschiedete, fragte er gutmütig, ob sie nicht eine belegte Schnitte mitessen wolle; besser werde sie es wohl zu Hause auch nicht haben. Sie zierte sich nicht, nahm den Hut ab und setzte sich zu ihm, denn seitdem sie hier aus und ein ging, war etwas von der Ungezwungenheit dieser Künstlerwirtschaft auf sie übergegangen. Fast fühlte sie sich wohler als daheim, wo es weiter nichts zu sehen gab als die muffige Wäsche und den lichtlosen Hof, was nicht angenehmer wurde durch die Scheltworts der Mutter, sobald die Erinnerung an vergangene Zeiten sie schlecht gelaunt hatte.

      Hier aber herrschte ein freier, heitrer Ton, wehte sozusagen Bildungsluft, erkannte man bereits die Vorzüge ihrer fünfzehn Jahre. Mit Lorensen würde sie gewiss nicht so unter vier Augen essen, denn er machte zuviel zudringliche Spässe, und wenn seine blauen Augen so lange auf ihr ruhten, fühlte sie heisse Röte in den Wangen. Kempen jedoch hatte etwas Väterliches für sie, das sich zwar polternd äusserte, sie aber ungemein ruhig stimmte. Oftmals, wenn sie so still gesessen, hatte sie Vergleiche zwischen den beiden angestellt, die ihrem frühzeitig entwickelten Scharfsinn alle Ehre machten. Kempen war jedenfalls der Bessere, fest und zielbewusst, aber nicht der Hübschere. Die Sorglosigkeit seines Äusseren gefiel ihr nicht, namentlich die Art, wie er seinen Bart verwildern liess. Wohl hatte er schöne, klare Augen, in denen nichts Böses schlummerte, aber seine Knickrigkeit, die fast an Geiz grenzte, stiess sie besonders ab. Nein, sie hätte ihn nicht zum Manne haben mögen, trotzdem sie sich gestehen musste, dass er immer solide beiben würde.

      Lorensen war ein lockerer Vogel, immer geneigt zu einem lustigen Flug, wenn es auch nur in Gedanken geschah, auf die Zeit wartend, wo er zu Geld und Ehren gekommen sein würde. Eines Vormittags hatte er sich gehörig darüber ausgesprochen, so dass sie hingerissen davon wurde und in ihrer Einbildung die kühne Reise mitmachte. Ja, das musste schön sein, oben auf der Höhe zu stehen, bewundert von den Menschen, die meistens alle so eklig dumm waren, sich aber bezwungen fühlten, weil sie nicht so hoch hinaus konnten. Sie spürte selbst etwas von dieser Lebenslust, von dieser Keckheit, alles im Sturm zu nehmen; und wenn sie seine gesunden, weissen Zähne, seine vollen roten Lippen sah, so war er beinahe ihr Ideal, zumal heute, wo er fast den Eindruck eines feinen Mannes gemacht hatte. Und doch wäre er nicht nach ihrem Geschmack gewesen, denn er liess sich zu sehr von Kempen ducken, war zu viel Waschlappen, wenn es sich einmal darum handelte, die gleiche Selbständigkeit mit dem andern zu zeigen. Beide zusammen in einem — das hätte ihr am Ende gefallen können!

      „Sie möchten wohl nicht, dass Herr Lorensen heiratet?“ fragte sie plötzlich, nachdem sie ein Weilchen emsig gekaut hatte.

      „Wie kommst du denn darauf?“ gab er überrascht zurück.

      „Na, ich denke es mir, ich hörte es doch soeben.“

      „Ach, denk dir lieber etwas andres, du Kiekindiewelt!“ platzte es ihm heraus. „Was verstehst du schon vom heiraten.“

      Sie verzog den Mund mit einem überlegenen Zucken, das sie immer bereit hatte, sobald man sie unterschätzte. Und seine Bezeichnung gefiel ihr im Augenblick so wenig, dass sie ihn einfach garstig fand; trotzdem fuhr sie gleichmütig fort: „Mutter sagt immer, dass die Männer dazu da sind, die Frauen zu heiraten.“

      „Ja, wenn sie sich den Wind haben gehörig um die Nase wehen lassen, du Fräulein Superklug.“ entfuhr es wieder seinem Munde.

      „Und wer es nicht täte, der wäre ein Feigling,“ sprach sie gelassen weiter, während sie sich wie ein Naschmäulchen die Butter von den Fingerspitzen leckte.

      Kempen war so verblüfft, dass er sich durch ein Ausschweigen erst sammeln musste; dann aber lachte er kurz auf, wobei er den letzten Happen herunterwürgte. „So, was deine Mutter klug ist!“ knurrte er wieder. „Dann sage ihr nur, es gäbe auch Helden unter den Männern, die eine Stärke darin sähen, nicht zu heiraten. Weil sie keine Weibsknechte werden wollen, und ein Knecht ist immer ein unterwürfiger Kerl.“

      Sie liess sich nicht mundtot machen: „Ich weiss aber aus der Bibel, dass selbst Riese Simson von der Delila bezwungen wurde, weil sie ihm heimlich die Haare abschnitt. Und Mutter sagte immer, jede Frau habe so eine Schere für den stärksten Mann, sie müsse nur verstehen, sie zu gebrauchen.“

      Das war Kempen zu viel, denn er ärgerte sich, das alles aus dem Mund einer Halbwüchsigen zu hören, die ihm nicht gleichwertig erschien. Er liess sein Messer auf dem Teller klirren und fuhr sie fast wütend an: „Kau doch nicht solche dummen Dinge wieder, die du noch gar nicht verdauen kannst. Ich verbitte mir das, verstehst du? Überhaupt und so! Von dieser Seite kenne ich dich ja gar nicht . . . . In der Bibel stehn viele Märchen, das ist bekannt. Du bist ein naseweises Dummchen. Ja.“

      Im nächsten Augenblick jedoch schon tat ihm dieser Zornesausbruch leid, denn völlig eingeschüchtert sass sie da und wagte nicht weiter zu essen. Blass geworden, senkte sie die Wimpern mit einem schmerzlichen Ausdruck im schönen Gesicht, der ihr etwas Madonnenhaftes gab. „Iss nur weiter, es hat dir doch geschmeckt?“ lenkte er milde ein. „Man nicht immer gleich so übelnehmsch sein. Siehst du, ich bin doch schon ein erfahrener Mann gegen dich, und deine Altklugheit, siehst du — das ärgert mich.“

      „Das wollte ich doch gar nicht,“ hauchte sie und zerdrückte die Tränen unter den langen Wimpern. „Sie sind immer gleich so grob . . . Märchen werden doch manchmal wahr . . . Und wenn ich ein Dummchen bin, weshalb modellieren Sie mich dann? Sie können doch ohne mich den Kopf gar nicht machen. Sehen Sie! Wo bleibt da Ihre Stärke? Ja, und . . .“

      Sie gluckste die Worte hervor, die sie zuletzt verschluckte.

      Kempen sah aufs neue ihre Keckheit darin, und sofort war seine Gutmütigkeit verscheucht. Er, der diese Töpferarbeit nur der Not gehorchend machte, nicht dem eigenen Triebe, sollte diese Zurechtweisung ruhig einstecken, von diesem Balg sogar? Nein, das durfte nicht geschehen, er musste den Fürchterlichen zeigen. „Geh jetzt, du brauchst nicht mehr wiederzukommen,“ herrschte er sie an und erhob sich mit einem Ruck.

      „Es ist gut, Herr Kempen.“ Sie stand auf, machte sich rasch fertig, bedankte sich und ging hinaus.

      Dieses Ausreissen ohne Sang und Klang hatte er nicht erwartet. Er sah die angenässte, halbfertige Büste, dachte an die Eile seiner Arbeit, bezwang sich rasch und riss die Tür auf. Noch vernahm er ihre Schritte. „Hör mal, Klara, übermorgen lass dich noch einmal sehen— wenn du willst!“

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