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gewesen und hat etwas eingepackt, um es Randi mitzugeben. Bekümmert sieht sie, wie die Vorräte an diesen Tagen mit den vielen fremden Menschen im Hause zusammengeschmolzen sind. Doch sie hat von dem genommen, was ihr gehört. Synnøve besitzt eigene Vorräte in ihrer Ecke im Vorratshaus, wie das schon immer war.

      »Das ist aber nun wirklich viel zu viel, doch mir bleibt nur, danke zu sagen. Ich habe keine Bedenken, dass es nicht gut gebraucht werden wird«, sagt Randi.

      Julie graust es vor dem Abschied. Es war ein großer Trost für sie, Randi in dieser Zeit bei sich zu haben.

      »Wir dürfen den Kontakt nicht abreißen lassen, Randi«, sagt Julie. »Und wenn es nötig wird, dann weißt du, dass du hier jederzeit willkommen bist.«

      »Na, hoffentlich nicht.«

      »Nein, weißt du, wir sollten uns unsere Freundschaft durch nichts kaputtmachen lassen, dafür bedeutet sie mir viel zu viel.«

      »Oh, unsere Freundschaft hat im Verlaufe der Jahre so manch einen Stoß aushalten müssen. Sollten wir das nun nicht packen? Aber wir müssen wohl damit rechnen, dass wir uns jetzt seltener sehen als früher. Du weißt, es ist viel passiert.«

      Ja, Julie weiß das, hat es in den Tagen, die Randi hier war, begriffen, und sie bleibt zurück und winkt ihnen mit einem unguten Gefühl voller Unbehagen im Bauch zum Abschied nach. Sie geht den Hang hinauf, langsam, muss oft anhalten, um sich auszuruhen, spürt die schwere Last von dem Kind in sich. Doch es ist mehr als das, es ist eine Last, für die es keine Worte gibt.

      Zwischen den Familien Storvik und Thorsen hat es schon immer eine Kluft gegeben. Zwischen ihnen und ihren Leuten hier, aber mehr noch zwischen ihnen und der Familie Storvik in Kristiansund. Jetzt weiß sie, dass sich die Lage so verschlechtert hat, dass der Abstand unermesslich groß geworden ist. Das steckte hinter all dem, was Randi zum Abschied sagte. Jetzt sieht sie ein, dass Jørgen Recht hat. Ivar und seine Machenschaften zerstören doch mehr, als sie sich eingestehen wollte. Damit kann die Freundschaft zwischen ihr und Randi so stark belastet werden, dass sie zu zerbrechen droht. Doch daran darf sie gar nicht denken. Wen hat sie dann noch, dem sie sich anvertrauen kann? Und ihr geht durch den Kopf, dass sie sich über die Jahre hinweg zu abhängig von Randi gemacht hat.

      Diese Gedanken sind es, die sie ungeduldig und gereizt machen, als Helene zu ihr in die Küche kommt.

      »Ich halte es nicht mehr aus, Julie«, sagt Helene. »Ich muss nach Hause, ich kann nicht mehr hier bleiben.«

      »Was ist denn so schlimm daran, hier zu sein?«, fragt Julie scharf. »Denkst du gar nicht daran, was dir alles erspart geblieben ist? Du hast dein Zuhause behalten, Ivar ist wohlauf. Du solltest an die denken, die alles verloren haben«, sagt sie und ärgert sich im selben Moment über ihre Worte, als sie Helenes Gesicht sieht. Doch wie lange soll sie es denn hier aushalten und auf alle und alles Rücksicht nehmen? Sie ist so erschöpft, dass sie den Eindruck hat, ihr drehe sich alles, und sie entschuldigt sich vor sich selber damit, dass Helene es lernen muss zu begreifen, dass es noch andere gibt, die es schwer haben. Aber ein paar Tage später kommt Helene zu ihr und sagt ihr, sie habe von Ivar einen Brief bekommen. Er will, dass sie nun nach Hause kommt, während Selma noch bis auf weiteres bleiben soll.

      An dem Tag, als Helene abreist, umarmt Julie sie. Sie steht da und spürt Helenes zierlichen Körper an ihrem mächtigen Leib, ihr Bauch ist der Umarmung fast im Wege. Helene reicht ihr knapp bis zum Kinn, ist zerbrechlich wie ein Vögelchen. Doch dass Kraft und ein starker Wille in ihr stecken, hat sie schon mehr als einmal bewiesen. Seitdem feststand, dass sie abreist, hat sie die wohl bekannte Ruhe, durch die sie sich immer auszeichnete, wiedergewonnen. Jetzt gibt sie Julie die Hand.

      »Danke, Julie, für alles, was du getan hast. Danke, dass du mich aufgenommen hast«, sagt sie gefasst.

      »Das fehlte gerade noch«, sagt Julie betreten. »Du hast solchen Mut bewiesen, Helene, mach nur weiter so.«

      Ein leichtes Lächeln streicht über Helenes Gesicht, bevor sie sich umdreht und geht.

      Julie hat von ihren Eltern ein Telegramm bekommen, dass mit ihnen und allen Angehörigen in Romsdalen alles in Ordnung ist. Sie hat selber ein Telegramm zurückgeschickt und ihnen einen Brief geschrieben. Um sie muss sie sich also vorläufig keine Sorgen machen. Sie schreibt an Krister und beschwört ihn, nach Hause zu kommen. Was habe er dort jetzt noch zu tun, wo, wie sie wisse, jeder Unterricht in den Schulen der Stadt ausgesetzt sei? Doch in seinem Antwortbrief schreibt er, dass er bleiben müsse, wo er sei. Jeder einzelne Mann werde bei den Aufräumungsarbeiten gebraucht, schreibt er. Das bringt Jørgen in Rage: Krister müsse nach Hause kommen, und wenn er in die Stadt fahren und ihn eigenhändig herschleppen müsse.

      »Was bildet er sich denn ein, dieser Bursche?«, donnert er. »Hält er sich für so unabkömmlich, dass er sich nach allem, was passiert ist, nicht einmal Zeit nimmt, zu einem Besuch nach Hause zu kommen?«

      Julie war unendlich dankbar, dass Krister das Ganze, ohne Schaden zu nehmen, überstanden hat. Es geht das Gerücht, dass ein Jugendlicher bei Löscharbeiten umkam, als er von einem einstürzenden Schornstein getroffen wurde. Etwas Ähnliches könnte genauso gut Krister treffen, sie hat ihn vor Augen, draufgängerisch und unbekümmert, und sie wundert sich darüber, dass er nach allem, was er durchgemacht hat, nicht das Bedürfnis verspürt, nach Hause zu kommen. Ob es das Mädchen ist, von dem Randi erzählt hat, das ihn in der Stadt zurückhält?

      »Es sieht alles danach aus, dass er ein richtiger Frauenheld wird, dein Sohn«, sagte sie.

      Es ist ihr schon selber aufgefallen, wenn es hier im Ort Veranstaltungen gab, dass ihm die Mädchen Blicke zuwarfen, auch ältere, doch das hatte sie stolz gemacht. Noch ist er viel zu jung, um mit einer fest zu gehen, wie die jungen Leute das nennen.

      »Sie sind doch noch jung«, hatte Randi zu ihr gesagt. »Du darfst nicht so streng sein, Julie, gönn deinem Kind doch ein bisschen Vergnügen in der Jugendzeit. Auch wenn Krister mit einem Mädchen auf Vanndamman spazieren geht und ein bisschen mit ihr schmust, das ist doch keine Katastrophe, finde ich. Du solltest nicht vergessen, dass du auch einmal jung warst.«

      »Aber alleine sind wir damals nicht zusammen gewesen und nicht in aller Öffentlichkeit an der Hand eines Jungen gegangen, bevor es nicht etwas Ernstes war«, sagte Julie verbittert.

      »Die Zeiten haben sich geändert. Damit müssen wir uns abfinden, wir alle.«

      Sie selber? Sie war bestimmt auch nicht viel älter als siebzehn, als sie und Ingebrikt eine Art Liebespaar waren. Aber Ingebrikt war drei Jahre älter als sie, erwachsen kam er ihr damals vor, kein Knabe, der noch nicht einmal siebzehn war so wie Krister. Außerdem gab es zwischen ihnen nie mehr als Händchenhalten, höchstens dass sie sich ab und zu mal ein Küsschen stahlen. Abgesehen von dem einen fürchterlichen Zwischenfall, als er sich fast an ihr vergangen hätte. Das ist ein Erlebnis, an das sie sich nur selten zu erinnern wagt, doch es passierte, nachdem sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Nein, sie ist nicht sehr glücklich darüber, sie wird mit Krister, wenn er nach Hause kommt, ein ernstes Wort darüber reden. Denn noch hat er ihr immer fast alles anvertraut.

      Die Zeitungen, die in Kristiansund erscheinen, kommen nicht mehr. Dem Radio oder anderen Informationen können sie nicht trauen. Die Wenigen im Ort, die den »Anzeiger« aus Trondheim halten, lesen in der Ausgabe vom sechsten Mai Berichte über die Bombardierung von Kristiansund und anderen Städten in Møre. Der größte Teil Kristiansunds sei niedergebrannt, steht dort zu lesen. Deutsche Flugzeuge hätten den Hafen, der voller britischer Schiffe lag, bombardiert. Danach hätten »die Engländer die Stadt in Brand gesteckt, bevor sie sich davonmachten«. Empört über diese lügenhaften Darstellung begreifen die Leute, dass sie weder der Zeitung noch anderen Informationen trauen können. Der »Pressedienst der Okkupanten« hat also auch Trondheim im Griff.

      Alle möglichen Gerüchte machen die Runde, niemand weiß, wem er vertrauen, worauf er sich verlassen kann. Einwohner aus der Stadt erzählten von dem selbstlosen Einsatz der Leute, die aus dem Umland kamen und bei Aufräumungsarbeiten halfen, und zwar während des Bombardements und danach. Nicht weniger wurden die Bootseigner gelobt, die für die Evakuierung aus der Stadt sorgten. Allerdings waren auch andere zur Stelle, die weniger erwünscht waren,

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