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Julie kehrt heim. Anne Karin Elstad
Читать онлайн.Название Julie kehrt heim
Год выпуска 0
isbn 9788711441121
Автор произведения Anne Karin Elstad
Жанр Документальная литература
Серия Julie
Издательство Bookwire
Nachdem Jørgen eingeschlafen ist, bleibt Julie in dieser Nacht noch lange wach liegen. Sie verspürt eine merkwürdige Unruhe in sich, doch ihr Körper ist ganz still, das Kind in ihr rührt sich nicht. Endlich schläft sie ein, wacht aber zeitig im Morgengrauen wieder auf. Sie ist so wach, dass sie es im Bett nicht mehr aushält und gleich aufsteht. Sie zieht sich eine Jacke über das Nachthemd, schleicht sich barfuß aus dem Zimmer. Im Herd in der Küche ist noch Glut, sie legt ein paar Holzscheite nach, und das Feuer lodert wieder auf. Sie lässt den übrig gebliebenen Kaffee im Kessel heiß werden, doch von dem bitteren Geschmack wird ihr übel, und sie nimmt sich ein Glas Milch. Leicht fröstelnd bleibt sie vor dem Herd sitzen, in sich hineinlauschend. Sie nimmt eine erste Ahnung dessen wahr, was kommen wird. Sie erkennt es wieder, das hat sie schon früher erlebt. Aber ist es nicht zu früh dafür? Sie hatte das Kind nicht vor Monatsende erwartet. Dann hat sie sich wohl in der Zeit verrechnet. Auch das ist ihr schon früher passiert. Doch jedes Mal neu ist die Spannung, die durch ihren Körper rieselt. Die Erwartung, die Unruhe, das etwas schief gehen könnte, die Angst vor den Schmerzen, doch am allermeisten diese Unruhe wegen des Gefühls, wenn alles vorbei ist. Die feste Verbindung zwischen ihr und dem Kind, die mit dem Durchschneiden der Nabelschnur durchbrochen wird. Dieser Moment ist in ihrer Erinnerung für sie der merkwürdigste und wehmütigste Augenblick, den das Leben für sie bereithält.
Das große Gästezimmer über dem Wohnzimmer, wo sie alle ihre Kinder zur Welt gebracht hat, ist von der Familie besetzt, die hier wohnt. Glücklicherweise ist das Zimmer, das Randi benutzt hat, vorbereitet und das Bett mit frischer Bettwäsche bezogen. Dieses Mal muss sie sich eben mit diesem Zimmer zufrieden geben. Sie verspürt bereits dieses erste, wohl bekannte Ziehen im Rücken. Sie füllt einen großen Kessel mit Wasser und setzt ihn auf den Herd. Sie will die Gelegenheit nutzen und sich in der warmen Küche waschen und zurechtmachen, bevor die Leute im Hause aufgestanden sind.
Sie steht nackt vor dem warmen Herd, wäscht sich von oben bis unten, fährt mit dem Waschlappen in langsamen Bewegungen über den prallen Bauch und empfindet dabei eine Befriedigung, als würde sie eine rituelle Handlung ausführen. Sie schleicht sich in das Schlafzimmer, sucht frische Sachen, saubere Unterwäsche heraus. Als sie ihr bestes Nachthemd hervorholt und es sich über den Kopf streift, wird Jørgen wach.
»Was ist denn los?«, fragt er erschrocken. »Ist dir schlecht?«
»Nein, das nicht gerade«, sagt sie leise, um den kleinen Sven nicht zu wecken. »Aber es sieht danach aus, dass heute ein kleiner neuer Mensch auf dem Hof eintreffen wird. Es wird wohl am besten sein, du holst die Hebamme.«
Jetzt hat er es eilig, springt aus dem Bett und zieht sich in überstürzter Eile an.
»So sehr musst du dich nun auch wieder nicht beeilen«, sagt sie lächelnd. »Es geht nicht ums Leben.«
Tief in ihrem Innern vibriert die erste kräftige Wehe. »Aber vielleicht sollte man trotzdem nicht allzu lange damit warten«, fügt sie hinzu, denn sie muss daran denken, wie schnell alles mit Sven ging.
Auf dem Weg in das Zimmer, das für die Geburt vorbereitet ist, weckt sie Astrid.
»Es tut sich hier jetzt etwas«, sagt sie. »Nimm doch bitte Sven, wenn er wach wird. Und ansonsten weißt du ja selber, was zu tun ist. Jørgen holt die Hebamme.«
Sie legt eine Ölleinwand über das Bett, breitet ein frisches Laken darüber, und nun kann sie nichts anderes mehr tun, als nur noch zu warten. Ihr fällt Jørgens erschrockener Gesichtsausdruck ein und sie muss im Stillen lachen. Sie hätte mit dem Ganzen vielleicht noch ein bisschen warten sollen, aber mit ihm ist es jedes Mal dasselbe, er ist in dieser Situation völlig durcheinander. Männer gewöhnen sich anscheinend nie an Geburten, denkt sie. Vielleicht, weil es völlig außerhalb ihres Lebens liegt? Ein Erfahrungsbereich ist, der ausschließlich Frauen vorbehalten ist?
Wieder wundert sie sich darüber, dass es jetzt schon losgeht, früher, als sie es erwartet hatte. Ob es durch den Spaziergang, den sie gestern Abend unternahmen, beschleunigt wurde? Wenn sie an dieses Beisammensein dort am Wasser denkt, wird ihr warm ums Herz.
Schon bleibt ihr keine Zeit mehr zum Nachdenken. Eine Wehe nach der anderen jagt durch ihren Körper. Sie beißt die Zähne auf den Lippen zusammen, dass sie bluten, um nicht schreien zu müssen, um nicht so laut zu stöhnen, dass es im ganzen Haus zu hören ist, im Haus, das voller Menschen ist und noch dazu von Menschen, die nicht dazugehören.
»Es scheint sehr schnell zu gehen«, bringt sie in einer kleinen Pause zwischen den Wehen hervor.
»Wir machen das schon«, sagt Synnøve beruhigend. »Du brauchst keine Angst zu haben, wir helfen dir.«
Auf der einen Seite des Bettes sitzt Synnøve, auf der anderen Astrid, sie haben sich schon darauf gefasst gemacht, das Kind alleine im Empfang nehmen zu müssen, doch dann steht die Hebamme in der Tür. In diesem Moment verliert sie das Fruchtwasser, das aus ihr in einem ununterbrochenen kräftigen Strom hervorbricht.
»Oh, das tut gut«, stöhnt sie.
»Es ist hier wohl an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln«, sagt die Hebamme, und sie hat kaum den Mantel abgelegt und sich die Hände gewaschen, als die erste Presswehe Julies Körper wie einen Bogen spannt. Eine Presswehe folgt der anderen, ihr ist, als würde ihr Körper in Stücke gerissen.
»Du musst versuchen, dagegen zu halten.«
»Das schaffe ich nicht.«
»Doch, du musst atmen. Du brauchst Luft. Das Kind braucht Luft.«
Sie ist ihrem eigenen Körper ausgeliefert, den Kräften, die in ihm walten, sie kann nun nichts anderes mehr tun, als sich ihnen bloß noch zu überlassen. Während das Kind entbunden wird, entfährt ihr ein langes, tiefes Stöhnen. Es folgt ein kurzer Moment völliger Stille im Raum, durch einen roten Nebel sieht sie die Hebamme und die anderen beiden, dann wird die Stille von einem Wimmern gebrochen, das in helles, schwaches Schreien übergeht.
»Du hast ein niedliches Mädchen bekommen, Julie, aber das arme Ding ist völlig erschöpft«, sagt die Hebamme. »Ist ja auch kein Wunder, wenn sie es so eilig hatte, zur Welt zu kommen.« Und sie packt das Kind an den Füßen, gibt ihm einen Klaps auf den Popo, und die dünnen Schreie gehen in heftiges Weinen über.
Vor Julies Augen flimmert alles. Unkontrolliert zittert ihr ganzer Körper nach dieser gewaltigen Anstrengung.
»Was hast du da gesagt?«, flüstert sie, kaum hörbar. »Es ist ein Mädchen?«
»Ja, endlich ist es da, ein Mädchen«, sagt die Hebamme.
Nachdem im Zimmer alles in Ordnung gebracht ist und sie gewaschen und zurechtgemacht mit dem Kind im Arm daliegt und noch immer nicht glauben kann, dass es wahr ist, und sie noch immer nichts anderes als nur Erleichterung verspürt, das Ganze überstanden zu haben, kommt Jørgen.
»Ich muss doch mein kleines Mädchen sehen.«
Er geht zum Fenster, bleibt dort stehen und starrt nach draußen. Sie schweigt, lässt ihm diesen Moment für sich, weiß, was er denkt. So hat sie ihn schon einmal stehen sehen.
Er setzt sich zu ihr auf die Bettkante, nimmt ihre Hand.
»Endlich haben wir es geschafft, Julie. Jetzt haben wir ein kleines Mädchen.«
Tränen laufen ihr die Wangen hinunter, sie kann nicht aufhören zu weinen, und er streicht ihr über das Haar, wieder und wieder, bis die Tränen versiegen.
»Ich bin vielleicht dumm!«, sagt