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halb verdeckt, etwas zur Seite.

      »Nein, du bist aber auch ein schönes Mädchen!«, sagt er zärtlich. »Auf dich werden wir aufpassen.«

      Sie liegt da und betrachtet das Kind in ihren Armen. Noch immer kann sie es nicht richtig fassen, dass es ein Mädchen ist. Eine dichte, schwarze Bürste von Haaren um das klitzekleine Gesichtchen. Keines ihrer anderen Kinder hatte bei der Geburt so viele Haare. Sie sucht in dem Gesicht nach bekannten Zügen, kann aber noch nicht erkennen, mit wem es Ähnlichkeit haben könnte. Die Spalte im Kinn, die andeutungsweisen Grübchen erkennt sie wieder, und wenn das Kind mit den Augen blinzelt, sieht sie, sie sind so dunkel, dass klar ist, sie werden braun. Sie hat das Kind mit ins Bett bekommen mit der Aufforderung, es zum Weinen zu bringen. Doch das kleine Mädchen möchte nur schlafen, Julie zwickt dem Baby in die Wangen, da weint es ein bisschen, ein dünnes, zittriges Weinen, bevor es gleich wieder einschläft. Aber dem Kind fehlt nichts, beteuert die Hebamme. Es ist nur von der jähen Geburt so erschöpft.

      »So müde hat dich das gemacht, du Ärmste?«

      Julie muss kämpfen, um nicht selber einzuschlafen. Sie fühlt sich müde, als hätte sie den ganzen Tag ohne Pause hart gearbeitet und nicht geschlafen. Es ging so schnell, dass sie es kaum mitbekam, und schon war das Ganze vorüber, doch sie kann sich nicht erinnern, dass sie früher nach einer normalen Geburt je so müde war.

      Die Hebamme kommt, um sich zu verabschieden. Sie nimmt Julie das Kind ab und legt es in den vorbereiteten Korb.

      »Das Fräuleinchen wird jetzt hier allein zurechtkommen. Und du wirst das auch. Obwohl es anstrengend war, was du da vollbracht hast, wirst du alles ohne Schaden überstehen. Wenn alles normal verläuft, kommst du wieder in Ordnung. Eines muss ich dir dieses Mal aber deutlich sagen: Du musst jetzt selber auf dich Acht geben. Nimm dir Zeit zum Ausruhen. Vergiss nicht, du bist nicht mehr die Jüngste.«

      Die Hebamme erklärt ihr, dass die Geburt aus dem Grunde recht hart war, weil das Kind zuerst mit dem einen Arm kam. Und weil die Nabelschnur sich um die Stirn verwickelt hatte. Eine direkte Gefahr habe nie bestanden, aber günstig sei es für sie als Gebärende nun auch nicht gerade gewesen.

      »Mit einem kannst du dich trösten, Julie, schnell getan ist schnell vergessen.«

      Dass Frauen nach der Geburt vierzehn Tage im Bett bleiben, wie es noch der Fall war, als Julie ihre ersten drei Kinder zur Welt brachte, damit ist jetzt Schluss. Nach fünf, sechs Tagen ist sie zu den Mahlzeiten wieder an ihrem Platz in der Küche. Auch nicht mehr üblich ist es, einen Säugling zu bandagieren. Das hat sie im Übrigen nie getan. Sie hatte eine junge Lehrerin für Kinderpflege. Synnøve hat sich immer darüber aufgeregt, und obwohl sie sich nur noch ganz selten in Julies Angelegenheiten einmischt, schafft sie es auch dieses Mal nicht, dazu zu schweigen. Das Kind werde einen Nabelbruch und ganz sicher auch O-Beine bekommen, sagt sie. Und Julie, schon wieder aus dem Bett, bevor das Kind eine Woche alt ist, na, sie werde schon noch für diesen Unverstand bezahlen und zwar mit einem kaputten Rücken und mit anderen Gebrechen, wenn sie älter werde.

      »Du wirst an meine Worte denken, Julie. Ich habe ein Leben hinter mir und weiß, wovon ich spreche.«

      Solches Gerede von Synnøve provoziert Julie nicht mehr. Sie ärgert sich über die Schwiegermutter immer seltener. Das Verhältnis zwischen ihnen ist mit den Jahren entspannter geworden. Richtig eng wird es nie werden. Dafür ist in den ersten Jahren, die Julie hier war, zu viel Schlimmes vorgefallen. Sie respektieren einander und Synnøve lässt die Jungen im Großen und Ganzen in Ruhe. Völlig ohne Reibereien geht es jedoch nicht, dafür sind sie beide zu starke Charaktere, Julie und Synnøve. Doch Julie lässt sich von der starrsinnigen Schwiegermutter nicht mehr einschüchtern oder erschrecken. Den letzten Winter und das Frühjahr über, seitdem Kristoffer tot ist, hat sie mit ihr gefühlt. Ebenso wegen der Sache mit Ivar, aber Synnøve verrät niemals auch nur mit einer Miene, was sie im Innersten denkt und fühlt.

      Gerührt ist Julie, wie sich ihre Schwiegermutter mit der Kleinen abgibt. Weil das Wetter in dieser Jahreszeit so schön ist, liegt das Kind in der alten Wiege im Wohnzimmer. Als die anderen Kinder so klein waren, hat sie sie immer im Schlafzimmer stehen lassen. Vielleicht entschuldigt sie sich mit der Jahreszeit nur, vielleicht tut sie es bloß, um das Kind in der Nähe zu haben, die Tür zum Wohnzimmer steht immer einen Spalt offen. Es sieht außerdem nicht danach aus, dass sich das Baby durch den Lärm in der Küche stören ließe. Es ist abzusehen, dass es ein ruhiges Kind wird, die meiste Zeit schläft es. Mehrmals am Tage sieht sie, wie Synnøve sich über die Wiege beugt und nach dem Kind schaut, und die Liebe, die sie in dem Gesicht der alten Frau sieht, rührt sie.

      »Mir war deutlich, als hörte ich das Kind schreien, und deshalb wollte ich bloß mal nachsehen«, sagt Synnøve schnell, wenn sie merkt, dass Julie sie beobachtet, dann geht sie gleich wieder ihrer Wege.

      Die anderen Kinder, die im Hause sind, hängen ebenfalls ständig über der Wiege. So häufig, dass Julie sie verscheuchen muss, wenn sie zu zudringlich werden. Und Jørgen, er ist der Schlimmste von allen. So hat sie ihn vorher noch nie gesehen. Wenn er im Hause ist und das Kind den leisesten Ton von sich gibt, nimmt er es hoch, hält es im Arm oder geht mit ihm im Zimmer umher.

      »Ja, aber komm mir bloß nicht mit der Behauptung, dass ich es bin, die das Kind verwöhnt«, sagt Julie.

      »Soll das Kind denn daliegen und schreien?«

      »Aha, es hat geschrien? Ja, dann hast du mehr gehört als ich«, sagt Julie mild und muss sich das Lachen verkneifen.

      Aber auch das rührt sie.

      Was sich nicht verändert hat, ist der Brauch, dass die Frauen der Siedlung anlässlich der Geburt zu Besuch kommen und als Geschenk Essen mitbringen. In den Wochen nach der Geburt kommt sie zu fast nichts anderem, als diese Frauen zu bewirten – außer dem Kind die Brust zu geben und es mit allem anderen sonst zu versorgen. Was serviert werden soll, bereitet ihr kein großes Kopfzerbrechen, denn sie bringen mit, was gebraucht wird. Aber es muss immer auch etwas aus der eigenen Speisekammer auf den Tisch kommen, sonst wäre es eine Schande für sie. Einige bringen Sauerrahmbrei mit, andere wiederum frisch gebackene Waffeln, üppige Torten oder anderes Kaffeegebäck. Am allermeisten schätzt sie, dass in fast jeder Geschenksendung eine kleine Tüte Kaffee dabeiliegt. Ansonsten würden die Rationierungsmarken bei einem solchen Andrang von Frauen, die gerne Kaffee trinken, nicht ausreichen. Alle bewundern sie das kleine Mädchen. Ob Julie nicht glücklich sei, dass nun endlich die lang ersehnte Tochter gekommen ist. Es sei nie zu spät, sagen sie. Und Jørgen, hätten sie gehört, gehe herum und sei stolz wie ein Hahn.

      Es müsse doch ein Glückstreffer sein, in solchen Zeiten ein Kind ins Haus bekommen zu haben. Damit könnten sie wenigstens an etwas anderes denken als nur an das ganze Elend, das sie umgibt. Bloß gut, dass das Kind nicht am Nationalfeiertag zur Welt kam, beinahe wäre es passiert. Ja, das sei ja fast dasselbe wie Heiligabend Geburtstag haben. Nein, sie könne froh sein, dass es nicht dazu gekommen sei, damit wäre das Mädchen in gewisser Weise um seinen Geburtstag betrogen gewesen. Doch der siebzehnte Mai mit dem Geburtstag am Tag darauf, das gehe. Gebe Gott, dass sie nächstes Jahr den siebzehnten Mai feiern können, sagen sie und bekreuzigen sich. Sie wollen nur hoffen, dass dann all das Furchtbare, was jetzt geschehe, vorbei sei.

      Worum sie sich auf keinen Fall Sorgen machen muss, denkt Julie, nachdem sie eine weitere Abordnung von Frauen zur Tür gebracht hat, ist die Konversation. Dafür sorgen sie selber. Von ihrem ganzen Gerede ist ihr richtig schwindlig im Kopf.

      Eines Tages ist sie dabei, das Kind zurechtzumachen, es liegt eine Weile auf der Decke und strampelt mit den nackten Beinchen, bevor es wieder in Windeln und das Wickeltuch gepackt wird. Es sieht aus, als würde das Kind ihr in den tiefsten Grund ihrer Seele schauen mit diesem unergründlichen Blick, den man nur bei Neugeborenen und bei ganz alten Menschen sehen kann. Es sieht aus, als konzentrierte es sich, mit dieser tiefen Falte zwischen den Brauen. Sieht sie mich?, fragt sich Julie. Da lächelt das Kind, ein breites Lachen, das in ein zitterndes Vibrieren rings um den zahnlosen, kleinen Mund übergeht. Julie weiß, dass sie sich das eingebildet hat, dass es eine Grimasse war, doch sie hatte den deutlichen Eindruck, in den dunklen Augen den Widerschein eines Lächelns erblickt zu haben.

      »Sunniva sollst du heißen«,

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