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Julie kehrt heim. Anne Karin Elstad
Читать онлайн.Название Julie kehrt heim
Год выпуска 0
isbn 9788711441121
Автор произведения Anne Karin Elstad
Жанр Документальная литература
Серия Julie
Издательство Bookwire
»Genau das ist das Gefühl, das ich die letzten Tage hier wegen Krister habe, Randi. Weil ich es war, die ertrotzt hat, dass er in die Stadt ging, wo er in das Elend geraten ist, in dem er nun sitzt.«
»Ja, ich habe darüber nachgedacht, Julie. Obwohl wir so unterschiedliche Leben führen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, sind wir uns in vielerlei Hinsicht merkwürdig ähnlich. Oder sind wir das erst geworden, haben wir uns gegenseitig beeinflusst?«
Beide sind sie darauf bedacht, dass ihre Kinder eine Ausbildung bekommen. Randis Töchter haben die Mittelschule besucht. Solveig hat sie im Frühjahr beendet und hat eine Arbeit in einem Geschäft gefunden. Sie ist tüchtig, sagt Randi, sie spart das meiste, was sie verdient, weil sie im Herbst auf das Gymnasium will. Kari besucht die Handelsschule, nebenbei beschäftigt sie sich mit Sprachen. Das interessiert sie sehr. Seit dem Herbst hat sie im Grand Hotel an der Rezeption gearbeitet. Damit ist nun jedoch Schluss, denn das Grand Hotel gibt es nicht mehr. Und es gibt keine Zeitungsredaktion mehr, in die Yngvar gehen könnte.
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht«, sagt Julie. »Wie wollt ihr denn zurechtkommen, wenn alles vorüber ist?«
»Nein, ich bin jetzt nicht in der Lage, darüber nachzudenken, jetzt nicht. Denn eines habe ich dieser Tage gelernt. Hat man das Leben gerettet, hat man alles gerettet.«
»Wie ist es, hat sich Krister manchmal blicken lassen, bevor es losging?«
»Ja, ab und zu ist er bei uns zu Hause gewesen, der Junge hat allerdings viel zu tun. Außerdem habe ich ihn mit einem Mädchen gesehen. Das schien mir ziemlich leidenschaftlich zu sein.«
»Ein Mädchen?«, sagt Julie. »Er ist doch noch ein Kind.«
»Wieso erschrickst du denn so darüber?«, fragt Randi lachend. »Er ist ein flotter Bursche und für sein Alter richtig erwachsen. Du musst verstehen, dass er halt angefangen hat, nach Mädchen zu sehen. Du kannst doch nicht so naiv sein. Wir leben jetzt in einer anderen Zeit, als wir jung waren, war alles anders, verstehst du.«
»Was war das denn für ein Mädchen?«, möchte Julie wissen, doch bevor Randi ihr antworten kann, steht Jørgen in der Tür, und die Unterhaltung ist beendet.
Mittwoch, der erste Mai, bricht mit demselben strahlenden Wetter an, allerdings auch mit denselben düsteren Zeichen, dass die Stadt noch weiterhin unter Beschuss liegt.
Im Volkshaus in Øra soll es eine Veranstaltung geben. Ein Umzug ist nicht geplant. Das wagen die Leute nun doch nicht. Es wäre für die Flugzeuge, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel auftauchen können, zu sehr wie eine offene Zielscheibe.
Randi will hingehen und die Kinder mitnehmen. Die beiden Schwestern aus der Stadt bitten darum, freizubekommen, und der Knecht Anders hat sich fein angezogen, um teilzunehmen, wie er das immer getan hat. Auf Storvik ist es zu Kristoffers Zeiten stets so gewesen, dass die Bediensteten freibekommen haben, und es wurden nie sichtbare Arbeiten außerhalb der vier Wände verrichtet. So wurde dem »Tag der Arbeiter« Respekt gezollt. Sie machten es nicht wie viele andere Bauern im Ort, die demonstrativ Mist streuten und andere sichtbare Arbeiten auf den Feldern verrichteten, wenn der Umzug am ersten Mai vorbeikam. »Tag der Arbeit«, sagten sie höhnisch. Allerdings hatte sich Jørgen an diesem Tag nie in Øra sehen lassen. Jetzt hat er sich entschlossen hinzugehen. Allen Blicken zu trotzen, die ihn bestimmt treffen werden, um ihm zu signalisieren, dass er hier an einem solchen Tag unter ihnen nichts zu suchen hat.
Er schließt sich Randi an, und auf dem Weg dorthin sieht er zu seiner Überraschung, dass es mehrere aus der Siedlung gibt, die so gedacht haben wie er. Fein angezogen, befinden sie sich auf dem Weg ins Volkshaus. Das ist noch nie vorgekommen.
Der Festsaal ist besetzt, der Gang voll von Menschen, Jørgen schafft es, sich einen Stehplatz gleich hinter der Tür zu erobern. Für einen kurzen Moment geht ihm der schreckliche Gedanke durch den Kopf, wenn die Deutschen jetzt auf die Idee kämen, über dieser Stelle eine Bombe abzuwerfen, dann blieben nicht mehr viele Einwohner im Ort übrig. Von der Feindseligkeit, die er befürchtet hatte, ist kaum etwas zu spüren.
Der Saal ist wie zum siebzehnten Mai, dem Nationalfeiertag, geschmückt. Birkenzweige, die im Wasser gestanden haben und grün geworden sind, verschönern das Rednerpult und die Bühne, auf der Blasmusik gespielt wird, der Chor singt und Gedichte vorgetragen werden. Zum ersten Mal in seinem Leben hört er, wie »Ja, wir lieben ...« auf der Bühne gesungen wird. Während des Gesanges sind die Leute sehr bewegt, Stimmung kommt im Saal auf. Die Nationalhymne an einem solchen Tag, allein das ist schon merkwürdig genug.
Vor ein paar Jahren nahm das Sägewerk den Betrieb wieder auf, nachdem es jahrelang stillgelegen hatte. Jetzt hält der Vorarbeiter hier eine flammende Rede, in der er die Leute zu Kampfgeist und Zusammenhalt aufruft. Nicht nur für ihre Sache, die Sache der Arbeiter, sondern über Partei- und Klassengrenzen hinweg. Und er bringt seine Freude darüber zum Ausdruck, dass hier heute so viele, die wohl nicht hierher gehören, erschienen sind. Lieder werden gesungen, die Jørgen nicht kennt, Arbeiterkampflieder, und er wundert sich über die Leidenschaft, die aus diesen Liedern spricht. Als die Zusammenkunft beendet wird, indem sich alle erheben und, begleitet von Blasmusik, Die Internationale singen, ertappt er sich dabei, wie er etwas tut, von dem er nie geglaubt hätte, dass es je geschehen könnte. Er singt leise mit, obwohl er nicht allzu viel von dem Text kann. Dieser Text, der gerade heute auch für ihn einen Sinn bekommt, obwohl er persönlich mit Sozialismus nichts zu tun hat. »Wacht auf, Verdammte dieser Erde ...«
Er geht mit dem Gefühl nach Hause, etwas Großes erlebt zu haben. Vielleicht war es der erste Sprössling für eine Verbundenheit, die die Bewohner des Ortes näher zusammenbringen kann, die sie die unversöhnlichen Klassengegensätze vergessen lässt. Über alle Parteigrenzen hinweg, sagte der Redner. Ja, über alle Grenzen hinweg. Jetzt müssen alle Parteien gegen die Eindringlinge zusammenstehen. Alle, außer der einen, der Nationalen Sammlung. Von denen war heute keiner da. Nein, das hätte gerade noch gefehlt, so groß, wie die Verbitterung der Menschen jetzt geworden ist. Die Verbitterung, die aufkam, als Quisling am Abend des neunten April über Rundfunk die Regierung für abgesetzt erklärte. Die Bildung einer neuen Regierung bekannt gab, mit sich als Premier- und Außenminister.
Den ganzen Donnerstag über herrschte eine Stille, die die Ahnung aufkommen ließ, dass irgendetwas anders war. Das ständige Brummen der Flugzeuge hoch über ihnen war weg. Über dem Himmel im Westen lag lediglich ein grauer Dunst, keine schwarzen Rauchwolken wie an den vergangenen Tagen. Und Hoffnung keimt in ihnen auf. Ob es endlich vorüber ist? Später am Abend klingelt das Telefon. Julie nimmt den Anruf entgegen. Mit einem hämmernden Herzen in der Brust, dass sie kaum atmen kann, hört sie Ivars Stimme. Er habe ein Telefon gefunden, von dem aus er anrufen könne, sagt er, sagt aber nicht, wo er ist.
»Es ist alles in Ordnung mit uns, mit mir und mit Krister. Ich glaube, es ist jetzt vorbei.«
Erleichterung, Dankbarkeit ergreift sie.
»Krister, wann kommt er nach Hause?«
»Das ist im Moment nicht abzusehen. Noch herrscht das reine Chaos.«
»Ist er jetzt da? Kann ich mit ihm sprechen?«
»Ich habe ihn zum Schlafen nach Hause geschickt.«
»Dann steht das Haus noch?«
Randi steht neben ihr, gibt ihr Zeichen.
»Wie sieht es in Clausenenga aus? Fløiveien?«
»Ja, da steht fast alles noch«, sagt Ivar, und Julie nickt Randi zu, die ihr immer noch Zeichen gibt, und Julie versteht, was Randi will.
»Du, wenn du Yngvar Thorsen triffst, kannst du ihm sagen, dass Randi und die Kinder hier sind. In guter Obhut, kannst du sagen.«
Für einen Augenblick bleibt es still, dann sagt er: