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Julie kehrt heim. Anne Karin Elstad
Читать онлайн.Название Julie kehrt heim
Год выпуска 0
isbn 9788711441121
Автор произведения Anne Karin Elstad
Жанр Документальная литература
Серия Julie
Издательство Bookwire
»Ich habe Angst, er beeinflusst Krister mit Nazipropaganda«, tobte Jørgen.
»Nein, nun hör aber auf«, hatte sie gesagt, entmutigt. »Krister ist doch nur ein Kind. Du solltest deinem Bruder lieber dankbar sein, dass er unserem Sohn hilft.«
»Dankbar? Die Hände sind mir gebunden, ich kann nichts machen, und dann soll ich ihnen wohl noch ewig dankbar sein dafür. Es wird letztlich damit enden, dass sie uns Krister wegnehmen, genau wie sie Ivar bekommen haben.«
»O nein, das glaube ich nicht, niemand kann uns Krister wegnehmen.«
Denn wenn es auch wahr ist, dass Ivar mehr für Selma und Erling Storvik zum Sohn wurde als für die Eltern hier, Ivar ist trotzdem aus einem anderen Holz geschnitzt als Krister. Und obwohl Krister den Onkel bewundert, so hat sie keine Angst, dass Krister vergessen könnte, wo er hingehört.
Aus der Küche ist ein schwaches Stimmengewirr von den Frauen zu hören, die sich unterhalten, Rufe von Kindern, das Klappern von Gefäßen, und sachte überkommt sie der Schlaf. Sie wacht auf und weiß sofort, dass die Mittagszeit weit überschritten ist. Schweißgebadet ist sie aus einem tiefen und traumlosen Schlaf erwacht, mit Kopfschmerzen, die hinter ihrer Stirn hämmern. Sie steht auf, gießt Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel auf dem Waschständer, wäscht Gesicht und Körper mit dem lauwarmen Wasser. Sie zieht sich von oben bis unten frische Sachen an; während sie die Treppe hinuntergeht, um sich wieder zu den Leuten zu gesellen, graust es sie vor dem, was sie zu erfahren fürchtet.
Der Himmel draußen im Meer sieht heute Abend genauso aus wie gestern Abend, eher noch schlimmer, die unheimliche Röte scheint noch intensiver zu sein. Auch heute Abend versammeln sich die Leute wieder auf dem Kirchberg, aber Julie erträgt es nicht, sich das anzuschauen. Von Krister und Ivar ist kein Lebenszeichen gekommen. Alle Verbindungen mit der Stadt sind abgebrochen.
Helene bleibt an diesem Nachmittag und Abend viel für sich alleine. Während der Mahlzeiten sitzt sie still da, ist höflich wie immer, sagt nicht groß etwas, antwortet nur, wenn sich jemand direkt an sie wendet. Nur ihr blasses, angespanntes Gesicht, ihre dunklen Augen verraten die Gefühle, die sie zu verbergen versucht. Wie muss es Helene jetzt nur gehen?, denkt Julie. An erster Stelle die Angst um Ivar, aber damit nicht genug, sie sitzt hier und weiß, dass ihre eigenen Landsleute gerade dabei sind, die Stadt, die sie so lieb gewonnen hat, zu zerstören, die Menschen, die dort wohnen, zu malträtieren. Nach dem Abendbrot bedankt sie sich höflich für das Essen und sagt, dass sie sich zur Nachtruhe begeben werde. Mit marionettenhaft steifen Bewegungen verlässt sie den Raum. Julie hat das Gefühl, dass sie ihr folgen, mit ihr sprechen, ihr helfen müsste, damit der Druck dieser furchtbaren Bürde, unter dem sie zu leiden hat, etwas von ihr genommen werden würde, aber Gott möge ihr verzeihen, heute Abend hat sie nicht die Kraft dazu. Wie die Dinge stehen, hat sie auch so mehr als genug mit sich zu tun.
Julie geht selber zeitig zu Bett, aber es ist unmöglich, zur Ruhe zu kommen. Angespannt lauscht sie auf alle Geräusche in diesem schummerigen Abend. Die Geräusche im Haus, die die Leute machen, die noch auf sind, durch das geöffnete Fenster kommen Stimmen von Menschen, die auf dem Weg vorbeigehen; es herrscht ein Treiben im Ort, wie das sonst an einem gewöhnlichen Abend in der Woche mitten in der Zeit, wenn es mit der Frühjahrsbestellung viel zu tun gibt, nie der Fall ist. Wie wird alles jemals wieder gewöhnlicher Alltag werden können, fragt sie sich. Das Einzige, was gewöhnlich und normal ist, sind die leichten Atemzüge, die von Sven zu hören sind, der hier im Zimmer schläft.
Sie ist noch wach, als Jørgen kommt und sich an ihrer Seite hinlegt.
»Wie sieht es aus?«, flüstert sie.
»Nein, das ...«, sagt er, und sie hört die Angst in seiner Stimme.
Sie bleiben liegen, dicht beieinander, doch keiner hat die Kraft, noch etwas zu sagen. Er legt ihre Hand zwischen seine beiden Hände und so schlafen sie erschöpft und unruhig ein paar Stunden.
Zeitig am Morgen, noch bevor Sven aufwacht, wird Julie von Klopfen unten an der Tür geweckt. Noch halb benommen richtet sie sich im Bett auf.
»Jørgen, du musst aufwachen, es klopft an der Tür.«
Doch er ist schon aus dem Bett, steht da und quält sich in die Hose.
»Wer kann das zu dieser Zeit sein?«, fragt er schlaftrunken, zieht die Hosenträger über die Schultern und geht barfuß nach unten, im Unterhemd, nimmt sich nicht die Zeit, das Oberhemd anzuziehen.
Julie sitzt im Bett, presst die Hände vor der Brust zusammen, ihr Herz hämmert zum Zerspringen.
Ein Unglück muss passiert sein. Fremde klopfen zu dieser Tageszeit bei ihnen nicht an, ohne dass etwas Furchtbares passiert ist. Niemand schließt hier die Türen ab, wäre es jemand aus dem Ort, wäre er direkt hereingekommen und hätte an der Küchentür geklopft, hätte sich zu erkennen gegeben. Doch dieser Fremde hat an der Haustür geklopft. Der Lehnsmann, denkt sie, der Pastor, und es läuft ihr eiskalt den Rücken hinunter, jetzt ist es passiert, das Schlimmste ist passiert, das, was die letzten zwei Tage ihre große Angst war, Krister.
Jørgen steht wieder in der Tür.
»Du musst aufstehen. Fremde sind zu uns auf den Hof gekommen«, sagt er. »Nein, nein, es ist nichts Gefährliches«, fügt er hinzu, als er die Blässe in ihrem Gesicht sieht.
»Wer ist es?«, flüstert sie und bringt nichts mehr heraus, weil es ihr die Sprache verschlagen hat.
»Das wirst du schon sehen«, sagt er und geht wieder.
Sie zittert so sehr, dass sie sich kaum anziehen kann. Sie verschüttet Wasser über Fußboden und Waschgestell, als sie Wasser in die Waschschüssel füllt, sich Wasser über das Gesicht gießt.
Im Flur steht ein Kinderwagen, voll gepackt mit Kleidungsstücken. Sie öffnet die Tür zur Küche, bleibt wie angewurzelt stehen, starrt ungläubig. Randi ist es, die dort sitzt, mit ihrer jüngsten Tochter. Beide sind schmutzig im Gesicht, wirre Haare, Schmutzflecke, Staub und Wasserspritzer auf Mantel, Strümpfen und Schuhen. Auf Randis Schoß schläft ein blondhaariger Knirps.
»Er ist geschafft, verstehst du«, sagt Randi, und ihre Stimme ist ohne Leben.
»Randi? Wo kommst du her?«
»Wo ich herkomme?«, fragt Randi und schaut Julie verständnislos an. »Ja, was denkst du denn?«
Julie sieht, wie Randi alle Gesichtszüge entgleiten und in ein heftiges Weinen ausbricht. Das Mädchen weint auch, klammert sich an die Mutter und schluchzt voller Verzweiflung.
Unschlüssig und unbeholfen bleibt Julie bei ihnen stehen, Randi weint an ihrer Brust, während sie versucht, beide umarmt zu halten.
»O Julie. Julie, du weißt nicht, wie grauenhaft das ist.«
»So, so«, versucht Julie sie zu trösten. »Du bist ja nun hier. Nun bist du in Sicherheit.«
Sie hört selber, wie dürftig ihre Worte sind, aber wie soll sie einem solchen Schmerz begegnen?
Da wacht der Kleine auf Randis Schoß auf, schaut sich schlaftrunken und mit großen Augen in dem fremden Raum um, nimmt wahr, dass die Mama und die Schwester weinen und bricht nun selber auch in Tränen aus. Und oben in dem Zimmer über der Küche ist Sven wach geworden, er fängt wie wild an zu heulen, weil er sich allein überlassen ist.
»Geh und hole ihn her«, sagt Julie zu Jørgen.
Das beschwichtigt Randi. Sie putzt sich die Nase, streicht sich mit dem Handrücken über die Augen. Ihr Gesicht sieht noch schmutziger aus als vorher, aber nun blitzt wieder ein bisschen die alte Entschlossenheit in ihm auf.
»Nein, es hilft ja nicht viel, wenn wir hier sitzen und flennen. Komm, beruhige dich jetzt. Endlich können wir uns sicher fühlen«, sagt sie zu Solveig. »Na, wir bringen euch aber auch einen richtigen Spektakel ins Haus«, sagt sie mit einem matten Lächeln zu Julie. »Da jagen wir euch einen Schreck ein, noch ehe die Vögel ihre Schuhe an die Füße bekommen haben«, sagt sie und