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die in dieser Nacht darüber diskutieren, nicht die Einzigen, die überrascht sind und nach den Ursachen fragen. In der letzten Zeit drehen sich die Gespräche nur noch darum. Wenn Leute zusammenkommen, reden sie nicht mehr über Wind und Wetter, Arbeit und Ernte. Schritt für Schritt sind die Ereignisse näher gerückt, bis sie heute den Feuerschein am Nachthimmel sahen. Und wenn sie auch nicht mittendrin sind wie die armen Menschen, die sich in der Stadt aufhalten, so ist es trotzdem bedrohlich nahe.

      Vorwarnungen hatte es mehrere gegeben. Am Donnerstag, dem 23. April, wurden die Leute durch die Zeitungen von einer weiteren alarmierenden Neuigkeit aufgeschreckt. Sunndalsøra war bombardiert worden. Ein ganzes Viertel und einzelne Gebäude waren zerstört und viele Menschen verwundet worden. Noch am selben Tag wurde ein Bombenangriff auf Rensvik gemeldet. Dieses Flugzeug war zweifellos unterwegs gewesen, um die Omsundbrücke zu bombardieren, sicher mit dem Ziel, Kristiansund zu isolieren. Die Deutschen verfehlten dieses Ziel, aber in unmittelbarer Nähe der Renabrücke warfen sie eine Sprengbombe ab, die einen vierzehnjährigen Jungen tötete und viele Menschen verletzte. Der arme Junge war dort nichts ahnend mit einem Sack Brennholz entlanggekommen, als die Bombe fiel. Er wurde »vollständig zerfetzt«, stand in der Zeitung. Auch über Angvik wurden Bomben abgeworfen, zweifellos, um den Liegeplatz der Fähre zu treffen. In Sunndalsøra und Rensvik hatten die Deutschen das Feuer auf die Zivilbevölkerung mit Maschinengewehren eröffnet.

      All das sorge für große Unruhe in der Stadt, schrieben die Zeitungen. Die Hoffnung, dass eine wehrlose Stadt wie Kristiansund human behandelt werden würde, beginne zu schwinden, war zu lesen. »Kristiansund und Nordmøre bekamen gestern mit dem brutalen und mörderischen Überfall der deutschen Flieger auf die Zivilbevölkerung erstmals eine echte Kostprobe ab.« »Vollkommen unmotivierte deutsche Fliegerangriffe auf Rensvik und Sunndalsøra!« Und in der Donnerstagszeitung konnten sie von Angriffen auf zwei Liniendampfer lesen, die im Distrikt verkehren. »D/S Kværnes wurde mit Bomben und Maschinengewehrfeuer im Gebiet Talgsjøen südlich vor Tustna auf dem Weg zur Stadt angegriffen.« »D/S Statsråd Riddervold, voll besetzt mit Passagieren, Frauen und Kindern, die sich auf der Flucht ins Inland befanden, wurde im Freifjord auf dem Weg aus der Stadt angegriffen.« »Riddervold«, wie der Dampfer kurz und bündig im Volksmund genannt wird, kehrte um und nahm wieder Kurs auf die Stadt, wurde aber von Flugzeugen verfolgt. Und jetzt passierte etwas, das mit der größten Katastrophe hätte enden können. Das Schiff wurde von einer zweihundertfünfzig Kilogramm schweren Sprengbombe getroffen, aber die Bombe fiel nach unten in den Laderaum, wo sie in einer Tonne landete und ohne zu explodieren liegen blieb. Die Bombe blieb an Bord, bis das Schiff in Kristiansund am Kai lag, dort wurde sie an Land gebracht und anschließend im Meer versenkt. Ein gefährliches Unternehmen und ein Wunder. Auf beide Dampfer war aus Maschinengewehren gefeuert worden. Dieselben Flugzeuge tauchten später über der Stadt auf und schossen auf die Bevölkerung. Unter anderem schossen sie auf Leute, die Fischladungen löschten. »Das beweist endgültig, von welcher Rohheit und Brutalität die Eindringlinge besessen sind«, stand in der Zeitung. »Es ist mehr als ein Wunder, dass bei dieser Operation kein Menschenleben zu beklagen ist.« O ja, sie hatten wahrlich genügend Warnungen erhalten.

      »Wir hatten uns in unserer Torheit wohl eingebildet, dass der Krieg ein Kampf ist, den das Militär führt, ein Kampf zwischen Angriff und Verteidigung. Auf alle Fälle hatte ich das so gelernt, als ich meinen Wehrdienst leistete«, sagt einer der Männer.

      »Dabei ist das eine Mörderbande, die uns Hitler da auf den Hals gehetzt hat.«

      Ja, es ist wohl genug passiert, damit die Leute begreifen, dass mit Hitler und seinen Lakaien nicht gut Kirschen essen ist. Um nicht davon zu reden, was sonst noch alles im Land an anderer Stelle passiert ist und noch passiert, denkt Jørgen.

      Es ist spät geworden, die Uhr ist schon nach drei, und die Männer wollen aufbrechen und nach Hause gehen.

      »Wie dem auch sei, morgen kommt wieder ein Tag.«

      Doch bevor sie diesen unwirklichen Tag und diese unwirkliche Nacht beenden, wollen die Männer noch einmal kurz zum Kirchberg gehen und sehen, wie die Situation ist, und Jørgen schließt sich ihnen an.

      Es hat sich jetzt dort drüben gelegt, nur noch ein schwacher Widerschein der wahnwitzigen Röte ist geblieben, schwarze Wolken am Himmel, die vor dem hervorbrechenden Morgengrauen heller werden.

      »Gott sei Dank, es sieht so aus, als ob das Schlimmste vorüber ist«, sagt Jørgen. »Nun wollen wir nur noch hoffen, dass keine Menschenleben zu beklagen sind und dass nicht alles dem Erdboden gleichgemacht ist.«

      Leise zieht er sich aus, um Julie nicht zu wecken, aber sie ist wach.

      »Konntest du unseretwegen nicht schlafen?«, fragt er.

      »Nein, es war unmöglich zu schlafen. Warst du noch einmal dort draußen? Wie sieht es aus?«

      »Es sieht aus, als ob es jetzt vorüber sein könnte, das Schlimmste. So, nun können wir nichts weiter tun, als nur hoffen.«

      »Ich habe solche Angst, Jørgen. Um Krister, um unsere Kinder, um uns alle. Was wird aus uns nun bloß werden?«

      »Um Krister musst du dir keine Sorgen machen«, tröstet er sie. »Er weiß schon auf sich aufzupassen und um die anderen brauchst du dich nicht zu ängstigen. Und ein Tag folgt dem anderen und dann werden wir weitersehen. Aber ansonsten kann ich mir einfach nicht helfen, die Sache mit Ivar nimmt mich mit. Von allem anderen abgesehen, das geht mir nicht aus dem Kopf. Dass er sich ausgerechnet mit diesem Volk einlassen muss. Und das ganze Gerede davon, dass Deutschland Europas führende Kulturnation ist.«

      »Und ist es nicht so?«

      »Ich sagte doch aber Kultur«, Jørgen hebt jetzt die Stimme. »Satansbrut, Vandalen, Abschaum, das sind sie.«

      »Sei leise, du weckst ja die Kinder.«

      Sie bleiben liegen, ohne noch etwas zu sagen. Trotz aller Unruhe und aller angsterfüllten Gedanken ist Jørgen von einem merkwürdigen Glücksgefühl erfüllt. Weil sie so zusammen daliegen können, weil sie das miteinander teilen können. Er muss an die schlimmen Jahre denken, nachdem sie das Kind verloren hatte, mit dem sie schwanger war, ein Mädchen, das nie mehr erwähnt wird. Damals, als sie die Betten auseinander schob, so dass jedes an einer Wand für sich stand. Als sie gleichzeitig ihn aus ihrem Leben hinausschob. Niemals wird er aufhören dafür zu danken, dass diese Zeit vorüber ist.

      »Schlaf nun«, sagt er und hört selbst, dass seine Stimme vor Rührung belegt ist.

      2

      Sie erwachen zu einem neuen Tag und denken, der Alptraum von gestern ist vorüber, aber am Vormittag geht es wieder los. Dieselben bedrohlichen Wolkenbänke hinten im Westen, Flugzeuggebrumme über ihnen. Die Leute auf Storvik gehen voller Angst und Unruhe umher und warten auf ein Lebenszeichen von Krister und Ivar. Die Mutter und ihre drei Kinder, die hierher evakuiert wurden, warten auf ein Lebenszeichen von ihren Angehörigen. Doch das Telefon bleibt stumm. Später am Tage versucht Julie anzurufen. Die Telefonzentrale ist ständig besetzt, und wenn sie durchkommt, sagt man ihr, dass sie tun werden, was sie können. Die Zentrale im Ort ist von Menschen überfüllt, die Fernverbindungen zur Stadt und in andere Orte, wo Verwandte von ihnen betroffen sein können, herstellen lassen wollen. Schließlich schickt Julie Jørgen auch dorthin in der Hoffnung, dass sie helfen können. Doch er kommt mit dem Bescheid nach Hause zurück, dass es unmöglich sei, zur Stadt durchzukommen.

      Nur das Allernotwendigste wird gemacht. Alle Arbeiten, die es auf dem Feld und sonst draußen zu tun gäbe, werden aufgeschoben. Die Männer laufen untätig herum, gehen eine Runde zum Kai hinunter und zum Kaufladen, wo man beieinander steht und sich mit gedämpfter Stimme über die Ereignisse unterhält. Dass ein Liniendampfer anlegt, wird nicht erwartet, eine unheimliche Stille brütet über dem Ort, alles tritt auf der Stelle. Nur die Frauen haben ihre Beschäftigung, wie vorher auch. Die Tiere müssen gefüttert, die Kühe gemolken werden, und das Essen muss auf den Tisch. Das Essenmachen bereitet Kopfzerbrechen wegen der vielen Evakuierten, die hier sind. Auf vielen Höfen haben sich die Haushalte verdoppelt, um nicht zu sagen vervielfacht. Damit fertig zu werden ist für so manche Hausfrau ein großes Kunststück. Wenn das noch länger dauert, wie sollen sie es schaffen, so

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