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mit bestimmten Werten und Normen unumgänglich.“ (Fäcke et al. 2017: 6) Man muss sich nur die latente und reale Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem vor Augen führen, in dem in Zeiten gestiegener Heterogenität genau diejenigen Schülerinnen und Schüler abgehängt werden, denen durch ihr sozioökonomisch schwächer gestelltes Elternhaus oder ihre Nachbarschaft kaum ein anderer Zugang zu Bildung ermöglicht wird als derjenige, den die Schule bereitstellt (vgl. z.B. OECD 2016). Die Abhängigkeit von sozialen Systemen und Institutionen, das genaue Gegenteil verpflichtenden Fremdsprachenunterrichts mit „reflexiv-emanzipatorische[n] Ziele[n]“ (Bonnet/Hericks 2014: 90; Hervorh. im Orig.), scheint für diese Lernenden vorprogrammiert. Und genauso sind wachsende Reflexion und Emanzipation der sozial besser gestellten Kinder und Jugendlichen ebenso wertvolle Ziele im Fremdsprachenunterricht wie auch in institutionellen Bildungskontexten insgesamt, indem Lernende dazu ermutigt werden, Verantwortung für sich und ihre Mitlernenden zu übernehmen, denn „what happens in the classroom should end up making a difference outside the classroom“ (Baynham 2006: 28). Und: „If students are going to transform the lives of themselves and those of others, they cannot do so unless due attention is paid to their own culture in the curriculum and opportunities are provided for critical reflection on its features.“ (Akbari 2008: 279)

      Die De- und Rekontextualisierung z.B. der englischen Sprache als internationale lingua franca, die mehr und mehr Personen interagieren lassen, die nicht ursprünglich aus einer englischsprachigen Kultur stammen, lässt den weiterhin gültigen Fokus auf die englischsprachigen Kulturen zunehmend fraglich erscheinen (vgl. ebd.). Mit der Brille der Kritischen Pädagogik gerät die Kultur der Fremdsprachenlernenden zunehmend ins Licht – und ihr inter-/transkultureller Vergleich der Lebenswelten z.B. mit Gleichaltrigen auf der ganzen Welt. Die Kritische Pädagogik betont daher ständig die Bedeutung lokaler Kontexte und ermutigt, die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einzubeziehen, Alltags- und Jugendthemen zu berücksichtigen und zwar nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines zielsprachlichen Textes oder einer Lektüre, die gelesen wird, sondern ganz ursprünglich generiert auf Basis der Sorgen und Bedürfnisse der Lernenden. Zunächst abstrakt wirkende Themen wie soziale Benachteiligung und Brennpunkte, Migration, Rassismus oder sexuelle Orientierung können allgemein eingeführt, müssen dann aber anhand lokaler oder regionaler Besonderheiten sowie besonderer Lerngruppen problemorientiert durchdrungen werden, um Betroffenheit und transformatorisch-reflexives Denken befördern zu können.

      Volkmann (2010) warnt:

      Das Kernlernziel des Englischunterrichts, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, darf keineswegs durch eine ideologische oder kulturkritische ‚Überfrachtung‘ an den Rand gedrückt werden. […] Es stellt sich überhaupt die Frage, inwieweit altersadäquat kritisches Bewusstsein vermittelt werden kann bzw. im Anfangsunterricht werden soll. (ebd.: 16)

      Dies ist sicherlich eine Herausforderung. Gleichzeitig verweisen Janks (1991) und Akbari (2008) auf die Bedeutung der L1 im Fremdsprachenunterricht zwecks der Erhaltung von Flüssigkeit im Unterrichtsgeschehen und des barrierefreien Klärens sprachlicher Phänomene. Das Einbringen und die Diskussion muttersprachlicher Konzepte, d.h. insbesondere potenziell relevanter Themen, kann folglich in der L1 (auf einer alltags- und/oder bildungssprachlichen Ebene) geschehen, schließlich ist die Muttersprache sehr stark identitär wirksam für jeden einzelnen Lernenden und jede einzelne Lernende: „If people are supposed to become empowered and their voices recognized and respected, then the first step needs to be a respect for who they are and the values they represent.“ (ebd.: 280) Dennoch muss im kritischen Sinne auch in der Fremdsprache die Problemstellung oder der zu diskutierende Konflikt thematisiert werden, um kritisches Denken (in der Fremdsprache) und ein kritisches Bewusstsein fremdsprachlich zu fördern. Die Werte und Überzeugungen, die die Lernenden mit in den Unterricht bringen, können über ihre L1 im Sinne von translanguaging (z.B. transferiert von einer L1 zu Deutsch und dann in die Fremdsprache Englisch) zum Gegenstand gemacht und reflektiert werden mit dem Ziel, emanzipatorisches Denken und Handeln zu fördern.

      Mit dem Wissen darum, dass jedwede Vorgabe von möglichen Themen die Idee eines kritischen Fremdsprachenunterrichts fast untergräbt, sollen in Tabelle 1 dennoch zumindest thematische Felder aufgeführt werden, wie sie in der Literatur diskutiert und (grob) für verschiedene Altersgruppen vorgeschlagen werden. Crookes (2013), Janks (1991) sowie Leland/Harste (2002) liefern einige Beispiele für besonders auf kritischen Fremdsprachenunterricht zugeschnittene Themen, obwohl berücksichtigt werden muss, dass in den letzten 20 Jahren verstärkt auch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur zahlreiche kritisch orientierte Werke erschienen sind, die als Reflexionsfolien im Fremdsprachenunterricht produktiv genutzt werden können.

Altersstufe Potenzielle Themen
Primarstufe Bilderbücher oder kurze Geschichten mit sozialen Themen wie Bullying, Umgang mit Trauer, Umgang mit Veränderung, Ability und Disability, (Kinder-)Armut …
Sekundarstufe wie oben, allerdings stärker von den Lernenden aus generierte Themen, aktuelle (lokale) Nachrichten, politische Instanzen in der Schule, Gewalt, Rassismus, Vorurteile, Macht und Machtausübung in Schule und außerhalb, soziale Klassen, Umwelt, Globalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Friedenserziehung, Aktivismus, Identität, Herkunft, Gender, sexuelle Orientierung, soziale Identität, Privilegiertheit, andere Muttersprachen …

      Tab. 1:

      Mögliche Themenfelder einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik.

      Der Fremdsprachenunterricht ist und war lange Zeit sehr bis fast ausschließlich mit der Methodenfrage beschäftigt, worum es auch im Folgenden vor dem Hintergrund Kritischer Pädagogik und Critical Literacy gehen soll. Aktuell ist die Disziplin glücklicherweise durch inter-/transkulturelle sowie bildungstheoretische sowie literarisch-ästhetische Fragestellungen wieder stärker didaktisch geprägt (vgl. z.B. auch Beiträge in Grünewald et al. 2013, Küster et al. 2015). Auch Kritische Theorie, Kritische Pädagogik und Critical Literacy könnten hier, stärker an transformatorischer Bildung orientiert, entsprechende Schwerpunkte setzen.

      Methodische Überlegungen

      Der Fremdsprachendidaktik bietet sich in ihrem post-methodischen Zeitalter eine Vielzahl von Techniken, Prinzipien und Ansätzen, um Unterricht zu gestalten. Letztlich gilt bei der methodischen Umsetzung kritisch-didaktischer Prinzipien wie unter allen anderen didaktischen Vorbedingungen die Methodenangemessenheit: Die Methode muss zum Ziel passen, das didaktisch begründet vorliegt. Wenn also eines der Ziele einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ist, ein Bewusstsein für soziale Ungleichheit zu entwickeln, muss sich dies in der Methodenwahl niederschlagen. Es müssen partizipativ orientierte Ansätze gewählt werden, die den in der Kritischen Pädagogik immer wieder betonten Dialog fördern. Eine Kritische Fremdsprachendidaktik berücksichtigt dabei in besonderem Maße auf Interaktion zielende Sprachlerntheorien wie z.B. die soziokulturelle Theorie, die basierend auf den Überlegungen von Wygotski (1978) besonders durch Lantolf und Thorne (2006) für das Fremdsprachenlernen ausdifferenziert wurden. In diesem auf soziale Interaktion ausgelegten Unterricht müssen Dialogisierung und mit Kritikfähigkeit verbundene Diskussionen mit einem entsprechenden Scaffolding entlastet bzw. geübt werden. In jüngeren Lerngruppen bieten sich hier Modelltexte oder -videos an, um sprachliche und inhaltliche Charakteristika von dialogisierter Kritik transparent zu machen (vgl. Crookes 2013). Dazu gehört auch, das Stellen von relevanten Fragen zu ermutigen: Was sind die Folgen unseres Handelns? Was sind Konsequenzen, was Ergebnisse?

      Freire (1976), Crawford (1978), Crookes (2013) und andere betonen, dass Lernende ihr Material selbst erstellen sollen. Dabei ist nicht gemeint, dass sie Arbeitsblätter erstellen, mit denen die Gruppe dann üben soll. Vielmehr geht es darum, dass Lernende ermutigt werden, Realia, Texte, Interessen usw. in den Unterricht einzubringen, sodass die Schwerpunktsetzung des Unterrichts stärker von den Lernenden aus erfolgt. Die Rolle der Lehrkraft ist dabei, methodisch und sprachlich flexibel ein Scaffold zur Verfügung zu stellen, das die

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