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Kritische Fremdsprachendidaktik. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kritische Fremdsprachendidaktik
Год выпуска 0
isbn 9783823302735
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
4. Methodisch-didaktische Implikationen für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht
Ausgehend von den theoretischen Bezügen mag die Frage gestellt werden, ob die mit ihnen verbundenen Überzeugungen und Ziele nicht zum einen sehr ambitionierten sowie ideologisch aufgeladenen Fremdsprachenunterricht führen (vgl. Jeyaraj/Harland 2016), zum anderen, ob sie in methodisch-didaktischer Hinsicht möglicherweise utopisch und kaum umsetzbar sind. Die einfache Antwort darauf ist: Wahrscheinlich. Gleichzeitig hat Paulo Freire immer wieder herausgestellt, dass das Gegenteil eines kritischen Bewusstseins immer Stillstand, wenn nicht sogar Rückschritt wäre, Akzeptanz des Status quo unbegrenzter Gehorsam vor der Autorität (vgl. Freire 1976, Giroux 1983). Einen kritischen Geist zu entwickeln bzw. diese Kritikfähigkeit in Lernenden anzuregen, muss als ein Prozess gesehen werden, der nie abgeschlossen ist. Es ist kein Prozess, der wie fremdsprachliche Fertigkeiten standardisiert messbar oder anhand eines Referenzrahmens kompetenzorientiert abgebildet werden könnte. Es sind vielmehr humanistische, politische und gesellschaftlich-soziale Überzeugungen sowie Reflexivität, die kritisches Denken anregen und damit im Fremdsprachenunterricht fruchtbar integriert werden können, um Demokratieerziehung und Partizipation zu ermöglichen. Es ist eine mit dem Ziel der Partizipation ausgerichtete Fremdsprachendidaktik mit methodischer Umsetzung zur Förderung von „competencies and skills that have value in a culture, and at the same time provide the basis for critical change“ (Hallet/Legutke 2013: 9). Damit steht eine Kritische Fremdsprachendidaktik der von Plikat (2017) entworfenen „fremdsprachlichen Diskursbewusstheit“ sehr nahe, zumal er neben diskurstheoretischen Aspekten eine „Bewusstmachung der affektiven, machtbezogenen und sprachstrukturellen Domänen“ (ebd.: 299) als nötig erachtet und diese mit universellen Menschenrechten sowie dem Anspruch transformatorischer Bildungsprozesse ins Verhältnis setzt.
Das notwendigerweise anzuerkennende politische Moment eines derart an Demokratie und Menschenrechten orientierten Unterrichts ist in dem Zusammenhang nicht parteipolitisch zu verstehen, es lässt sich nicht in „links“ und „rechts“, „konservativ“ oder „liberal“ einordnen. Es geht vielmehr um Machtkonstellationen und die Konstruktion von Macht und Ungerechtigkeit (und ihre Entlarvung) durch Sprache (vgl. Foucault 1980, Pennycook 1999). Damit ist, wie auch Fäcke et al. (2017) herausstellen, jeder Unterricht politisch, da „Bildung inhärent politisch ist“ (ebd.: 5). Ein unkritischer, d.h. apolitischer Fremdsprachenunterricht, der lediglich möglichst neutrale Themen einzubeziehen versucht (s. auch Anmerkungen zu Lehrwerken unten), verkommt laut Pennycook (1990) zu einer technologisierten und rein prozessierenden Praxis. Ein kritisch-pädagogischer Ansatz soll Grundprinzipien des Fremdsprachenunterrichts in funktional-pragmatischer, diskurs- und genretheoretischer sowie interkultureller Hinsicht keinesfalls ersetzen, ihn aber möglicherweise sinnvoll ergänzen und wertvolle neue Themen und Praktiken einführen (vgl. Morgan 1998).
Entsprechend soll es im Folgenden darum gehen, mögliche didaktische wie auch methodische Überlegungen im Zusammenhang mit den oben vorgestellten kritischen Aspekten zu skizzieren, welche darüber hinaus in diesem Sammelband vertiefend anhand von Beispielen und fremdsprachendidaktischen Unterrichtsgegenständen durchgespielt werden.
Lernende im Kritischen Fremdsprachenunterricht
Bereits die New London Group (2000) formulierte ihr Konzept der Multiliteracies als (sprach-)didaktische Antwort auf die Notwendigkeit von Lernenden, mit einer größeren Vielzahl von Texten im weiteren Sinne umzugehen (vgl. auch Küster 2014). In Verbindung gebracht wird ein kritisches Moment hier stärker über Critical Literacy, welche aber noch nicht notwendigerweise immer ein soziales Moment berücksichtigt. Kritischer Fremdsprachenunterricht jedoch ist von den sozialen Bedürfnissen der Lernenden aus gedachter Unterricht. Dieser Anspruch lässt sich auch historisch herleiten, z.B. mit dem stärkeren Fokus auf Fragen der Lernenden im Vergleich zu Fragen der Lehrenden (inquiry education; vgl. Postman/Weingartner 1969). Authentizität und Lerner*innenorientierung sind nicht umsonst zentrale Paradigmen der Fremdsprachendidaktik, die weiterhin hohe Bedeutung haben (vgl. z.B. zu Authentizität im Englischunterricht: Will 2018). Jedoch haben sie nicht dazu geführt, dass individuelle und soziale Herausforderungen der Lernenden real und kontextsensibel im Unterricht realisiert werden. Dies hat verschiedene Gründe: Einer davon kann die Dominanz des Lehrwerks und seine Verhandlung einer am Prinzip der political correctness ausgerichteten Themenauswahl sein (s.u.), welche sich auch in Lehrplänen (kompetenz- oder inhaltsorientiert) widerspiegelt (oder Ursache dessen ist). Ein anderer Grund könnte eine Lehrer*innenbildung sein, die ebenso unkritisch (kulturelle) Unterrichtsgegenstände rezipiert und in der Schule einbringt, ohne eine echte demokratische Teilhabe der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Pennycook (1997/1999) merkt allerdings kritisch an, dass ein zu sehr am Konstrukt demokratischer Partizipation aufgehängter Fremdsprachenunterricht Gefahr läuft, sich methodisch in Stuhlkreisen zu verlaufen. Vielmehr müssten dezidiert kritische Themen mit lokalen Bezügen zum Gegenstand gemacht, möglichst auch curricular verankert werden. Die Identitätsentwicklung der Schülerinnen und Schüler, das Ernstnehmen ihrer sozialen Strukturiertheit bzw. eine Sensibilisierung dafür, sich für die Bedürfnisse anderer einzusetzen, muss auch fachlich ausdifferenziert werden (vgl. Norton 2011, Bonnet 2018). Dabei reicht es nicht, wie in der Vergangenheit, nur nach individuellen Faktoren oder Lernendenvariablen (wie z.B. Motivation) einen differenzierenden Unterricht zu gestalten. Die Rolle bzw. subjektive Bedeutung des investments innerhalb einer sozialen Strukturiertheit und des Kontexts des Unterrichts scheint ungleich bedeutender (vgl. Norton 2000/2011): „For example, a student may be a highly motivated learner, but may not be invested in the language practices of a given classroom if the practices are racist, sexist, or homophobic.” (Darvin/Norton 2015: 37; Hervorhebung im Original)
Es wird im Folgenden noch klarer werden, wie dies methodisch-didaktisch umgesetzt werden kann.
Gegenstände im kritischen Fremdsprachenunterricht
Die Anwendung einer Kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht geht über das häufige Beispiel für Critical Language Awareness (vgl. Fairclough 2015), das Multiliteracies-Konstrukt der New London Group (2000) bzw. Critical Literacy (s.o.) hinaus. Im Zusammenhang mit der Förderung von (kritischer) Sprachbewusstheit im Unterricht wird als Beispiel nicht selten die Analyse der Wirkung von Werbung hergenommen (vgl. z.B. Fehling 2010). Hier wird die Sprache von Werbung zum Unterrichtsgegenstand gemacht, ihre manipulative Wirkung analysiert, ggf. sogar von Schülerinnen und Schüler produktorientiert eigenständig entwickelt. Im Sinne einer kritischen Didaktik ist diese Vergegenständlichung von Sprache und ihrer Funktion notwendig, allerdings geht sie nicht weit genug, da hier nicht notwendigerweise kritische Haltungen und Überzeugungen der Lernenden ernst genommen oder gar gefördert werden. Auch führt die Analyse von Werbung häufig nicht dazu, dass Ungerechtigkeiten, Machtgefüge oder Ungleichheiten aufgedeckt bzw. transformiert werden. Es geht hier eher um die Förderung einer Analysekompetenz, die sicherlich eine Voraussetzung für ein kritisches Bewusstsein bzw. das oben vorgestellte kritische Denken sein kann, aber noch nicht hinreichend an den Grundfesten der lerner*innenseitigen Überzeugungen auch im Sinne einer sozial-ideologischen Kritik anzusetzen vermag. Janks (2010/2014) beispielsweise zeigt vor dem Hintergrund von Critical Literacy in südafrikanischen Schulen diesen entscheidenden weiteren Schritt, denn ihr Ziel ist: „to increase students’ awareness of the way language was used to oppress the black majority, to win elections, to deny education, to construct others, to position readers, to hide the truth, and to legitimate oppression” (2010: 12).
Es mag hier der Verdacht aufkommen, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik mit ihren oben vorgestellten Bezugstheorien eher Gegenstände aufgreifen kann, die tatsächlich in Systemen und Ländern mit sozialer (aktiver oder passiver) Repression bzw. in sozial ungerechten Kontexten vorkommen. Allerdings: „Unterricht ist [immer, D.G.] in gesellschaftliche