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Lehrkräfte eher eklektisch denn durch eine Großmethode beantwortet wird (vgl. Bell 2007, Kumaravadivelu 2006), stehen besonders Aspekte interkulturellen (vgl. z.B. Byram 1997, Volkmann 2010) und transkulturellen Lernens (vgl. z.B. Hallet 2002, Fäcke 2006) im Vordergrund (vgl. zur Kritik am Konstrukt der interkulturellen Kompetenz: Plikat 2017). Das Erreichen der near-nativeness wurde aufgegeben zugunsten des Ziels, einen intercultural speaker aufzubauen, der mittels einer „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ (Hallet 2008) bzw. „fremdsprachlichen Diskursbewusstheit“ (Plikat 2017) gesellschaftliche Teilhabe ausüben kann (vgl. Norton 2000/2011). Zudem scheinen verstärkt auch allgemein-gesellschaftliche bzw. allgemein-pädagogische Fragestellungen wie Inklusion und Digitalisierung in ihrer Fachlichkeit ausdekliniert zu werden, was sich in Publikationen und Konzeptentwicklungen niederschlägt. Gleichzeitig kritisiert Pennycook (1990) schon vor dreißig Jahren die zunehmend funktionalistisch ausgerichtete Fremdsprachendidaktik mit einer „trivialization of content and an overemphasis on communicative competence“ (ebd.: 13).

      Es überrascht daher nicht, dass zunehmend in internationalen Diskussionen weniger von „language teaching and learning“ sondern stärker von „language pedagogy“ gesprochen wird (vgl. z.B. Burns/Richards 2012). Dabei gerät verstärkt die ursprüngliche Bedeutung des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes Pädagogik in den Blick: ein Kind anleiten (pais = Kind, ago = leiten, führen). Damit wird zunehmend die Abkehr von einem transmissionsorientierten bzw. sprachlich-funktional ausgerichteten Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht betont. Vielmehr geht es um die erzieherische sowie transformatorische Rolle, fremdsprachliche Bildungsprozesse anzustoßen und mittelfristig soziale Ungleichheit abzubauen. Der Fokus im Fremdsprachenunterricht müsste damit verschoben werden auf eine „language in social contexts that goes beyond mere correlations between language and society and instead raises more critical questions to do with access, power, disparity, desire, difference, and resistance“ (Pennycook 2001: 5).

      Dabei überrascht für den deutschen Kontext, dass das Konstrukt „Bildung“ in einschlägigen Einführungswerken zur Fremdsprachendidaktik kaum eine Rolle zu spielen scheint (vgl. Sauer 2008). Höchstens im Zusammenhang mit der Förderung einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz wird es thematisch (teils nur implizit) verhandelt. Die damit angestrebte Reflexionsfähigkeit, das „Fremdverstehen“ (vgl. Bredella/Christ 1995), der nötige Perspektivwechsel und die individuell-identitär wirksame Positionierung vor dem Hintergrund kultureller (auch literaturdidaktischer) Gegenstände mögen allesamt einem fremdsprachendidaktischen Bildungsziel entsprechen. Ihre Wirksamkeit muss jedoch hinterfragt werden, wenn bspw. für den englischdidaktischen Literaturunterricht attestiert werden muss, dass das Potenzial literarischer Texte nicht selten vernachlässigt wird, wenn Schülerinnen und Schüler Literatur nur als (unkritische) Rezipienten und Rezipientinnen erfahren (vgl. Gardemann in Vorbereitung).

      Sehr wohl wohnt den im fremdsprachen-, literatur- und kulturdidaktischen Diskurs besprochenen Konstrukten und Prozessen ein Potenzial inne, „Bildung als Transformation grundlegender Figuren des Selbst- und Weltverständnisses“ (Koller 2018: 15) zu konstruieren (vgl. auch Plikat 2017). Allerdings geht es im bildungstheoretischen Diskurs mittlerweile stärker um die Wahrnehmung von Bildung als „negativ-reflexiven Prozess der […] Aufhebung von Selbst- und Welterfahrungsschemata zugunsten neuer und v.a. komplexerer, selbstreflexiver Perspektiven“ (Zirfas/Jörissen 2007: 65). Diese selbstreflexive Perspektive müsste in ihrer Komplexität – neben anderen Aspekten – in meinen Augen ebenso eine Förderung der (fachlich geprägten) Kritikfähigkeit an institutionalisierten Denkweisen und sozial gewachsenen, gesellschaftlichen Strukturen vorsehen. Damit wird sie auch zu einem Gegenstand der (kritischen) Fremdsprachendidaktik.

      3. Mögliche Bezugsquellen einer Kritischen Fremdsprachendidaktik

      Ganz bewusst wird im Folgenden die Kritische Theorie in der Tradition der Frankfurter Schule als Grundlage für die weiteren theoretischen Bezüge kurz umrissen. Dabei sollte allerdings anschließend auffallen, dass ich Kritische Erziehungswissenschaft und Kritische Pädagogik voneinander trenne: Unter ersterem Begriff skizziere ich das deutsche Verständnis einer Disziplin, die sich natürlicherweise stark anlehnt an die Vertreter der Frankfurter Schule, allerdings weitgehend die Diskussionen und Einflüsse auf einer internationalen Ebene, die der Kritischen Pädagogik im Anschluss an Paulo Freire, gleichsam zu ignorieren scheint. Daher bespreche ich beide Bereiche zunächst getrennt voneinander und versuche sie erst später wieder aufeinander zu beziehen, wenn es um die konkret fremdsprachendidaktisch gedachten Konzepte gehen soll.

      Darüber hinaus seien die folgenden Bezugsquellen in zunehmend praxisorientierter Reihenfolge genannt: Von der Kritischen Theorie über die Kritische Pädagogik sowie Critical Literacy, die international weitestgehend im Anschluss an die Kritische Pädagogik diskutiert wird, werde ich in Grundzügen die Annahmen hinter dem (unscharfen) Konstrukt des kritischen Denkens vorstellen. Letzteres ist auch dem Umstand geschuldet, eine gewisse Abgrenzung der anderen Konstrukte zu diesem latent inflationär verwendeten Konzept zu ziehen, es gleichzeitig aber auch hinsichtlich seiner Produktivität im Hinblick auf fremdsprachendidaktische Fragestellungen zu hinterfragen.

      Diese Bandbreite soll es sein, die didaktisch-methodischen Implikationen für eine Kritische Fremdsprachendidaktik in Ansätzen anschließend skizzierbar zu machen.

      Kritische Theorie

      Obwohl die Kritische Theorie, und hier für Deutschland besonders bedeutsam die Frankfurter Schule, immer eine eher marxistisch-sozialkritische Perspektive einnahm, die die selbstbestimmte Autonomie der Bürgerinnen und Bürger betonte und gleichzeitig die nötige kritische Haltung gegenüber (totalitären) Autoritäten, lassen sich aus ihr auch erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse ziehen (vgl. Lehmann 2015). Spätestens mit Adornos Erziehung nach Ausschwitz (1971a) wird die Bedeutung einer soziologisch-kritischen Perspektive auf Bildung und Erziehung im Nachkriegs-Deutschland zentral gestellt, in der Hoffnung, totalitäre und faschistische Regime in Zukunft verhindern zu können. In seiner Vorlesung „Tabus über dem Lehrberuf“ (1971b) stellt Adorno zudem heraus, dass Bildung ohnehin ständig ideologisch gefährdet sei und gerade Schülerinnen und Schüler zu eigenständig denkenden, demokratischen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden müssten.

      Anhängerinnen und Anhänger der Kritischen Theorie zeichnet eine grundsätzliche Skepsis aus: Sie betrachten soziale Phänomene aus sich heraus und setzen sich mit ihnen in ihrer Eigenständigkeit hermeneutisch auseinander (immanente Kritik). Dadurch erhalten diese Zugänge einen Neutralitätsanspruch, der wiederum nur durch den Gegenstand selbst begründet und damit ahistorisch ist und dekontextualisiert wird. Diese Einschränkung, die die Mitglieder der Frankfurter Schule natürlich nicht als solche bezeichnen würden, kann kritisiert werden: So vernachlässigt sie (potenziell) das Einbeziehen zahlreicher sozialer oder kultureller Faktoren, möchte nicht explizit Ursache-Wirkungs-Ketten aufstellen, sondern phänomenologisch aus sich heraus beschreiben, interpretieren und kritisieren, „was Sache ist“. Selten entstehen daher konkrete Handlungsempfehlungen aus hermeneutisch-kritischen Bearbeitungen bestimmter Phänomene: Die Kritische Theorie versteht sich vielmehr als offene Methodologie mit dem Anspruch, Allgemeingültigkeit und die Neu-Entstehung von Ideologie zu vermeiden.

      Ausgehend unter anderem von der Prämisse, dass Sprache nicht ein Abbild der Wirklichkeit ist, sondern Menschen durch Sprache Zugang zur Wirklichkeit erhalten (vgl. Wittgenstein 2003), basieren zahlreiche weitere (postmoderne bzw. poststrukturalistische) Theorien auf marxistischen, zumindest ideologiekritischen und machttheoretischen Annahmen, die besonders historisch tradierte, gesellschaftliche Benachteiligungen aufbrechen möchten. Sie betrachten hierzu den Gebrauch von Sprache und wie diese bestimmte kategoriale Zuordnungen erzeugt, die dann sozial wirksam zur Konstruktion von Minderheiten oder – im Umkehrschluss – sozial überlegenen Gruppen führen. Zu diesen Theorien gehören neben anderen die feministische sowie die Queer-Theorie, welche geschlechtliche Kategorien in identitärer, sozialer wie biologischer Hinsicht hinterfragen, oder auch die Critical Race Theory, die beispielsweise die Überlegenheit Weißer vor dem Hintergrund eines formal auf Gleichberechtigung ausgelegten Rechtsstaats wie die Vereinigten Staaten von Amerika anprangert.

      Auch die Pädagogik und Erziehungswissenschaften

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