Скачать книгу

      „Lill“ wiederholten Leute, die gar nichts davon verstanden. Aus dem Hintergrund hoben sich hoffnungsvolle Stimmen.

      „Lill! . . . Fräulein Bödiger . . .!“

      „Lill an die Front!“

      „Lill — so mach’ doch!“ Mab gab ihr einen Puff. Die Rix lächelte still vor sich nieder. Aber Lill rührte sich nicht. Sie hielt sich sehr straff, den Kopf fühl im Genick, die Hände auf dem Rücken verschlungen, den Schläger lose zwischen den Fingern. Orff sah sie an. Sie ihn auch. Er wartete, mit einem ungeduldigen Augenzucken, dass sie vortreten würde. Lill stand mit dem Ausdruck absoluter Wurstigkeit auf dem hübschen Gesicht.

      „Lill — sei nicht so pomadig! Vorwärts!“

      Lill antwortete nicht. Sie und Orff schauten immer noch aufeinander. Der Champion zwinkerte missvergnügt. Ihre Züge blieben unverändert. Nun drehte er sich kurz auf der Ferse um.

      ,,So, das hast Du nun von Deinem Stumpfsinn!“ zischte die Mab. „Da schiebt er wirklich ab.“

      Aber Orff, der Crack, machte nur ein paar Schritte. Dann blieb er stehen und kam eilig, als hätte er etwas vergessen, zurück — gerade auf Lill zu. Dicht vor ihr machte er halt. Er sah ihr scharf ins Gesicht und frug brüsk, ohne Einleitung:

      „Können Sie denn überhaupt Tennis spielen?“ „Nein!“ sagte Lil laut.

      ,,So? Dann ist’s gut! . . . Also los!“

      „Sie haben mich ja noch gar nicht gefragt, ob ich überhaupt . . .“

      „Sie an’s Netz! Ich Grundlinie! . . . Herrgott — Reden Sie doch nicht! Sie sehen doch: die Leute warten!“

      „. . Kann ich dafür?“

      „Nur keine Launen beim Sport! Grässlich, wenn sich die Leute haben! Tun Sie das ja nicht, wenn wir Freunde bleiben wollen!“

      „Freunde . . .?“ Lill machte grosse, unschuldige, blaugraue Augen. „Wir?“

      „Fix! . . . Fix! . . . Fix!“ Orff fasste sie ungeduldig, ohne Umstände, am Arm und führte sie auf die freie, gelb in der Sonne flimmernde Sandfläche. Sie musste mit. Jetzt hätte Widerstreben lächerlich ausgesehen. Händeklatschen rings umher. Lill fühlte sich auf einmal stolz. Sie ging ans Netz und schüttelte der Gegenpartei die Hände.

      „Fertig?“ frug der Unparteiische.

      Lill drehte sich nach Robby Orff um. Er kniete, ohne zu antworten, auf dem Boden. Er hatte einen Meterstab aus der Tasche gezogen, klappte ihn auf und mass stirnrunzelnd, ob der Abstand zwischen der Aufschlags- und der Grundlinie auch auf Haaresbreite stimmte. Eine entsetzliche Stille in der Runde. Ein Aufatmen: Gott sei Dank — ja . . . Es waren die vorschriftsmässigen 5,485 Meter . . .

      Herr von Orff trat auf den Turnierplatz zurück, blickte zum Himmel — ein gelangweilter Cäsar — schüttelte plötzlich kummervoll den Kopf und warf den Schläger auf den nächsten leeren Spielerstuhl.

      „Was hat er denn nu wieder?“ schrie Lil vom Netz. Sie brannte jetzt vor Kampflust.

      Ein paar Herren stoben im Laufschritt davon. Am Eingang des Festplatzes, gerade in der Spielrichtung, wehte im Wind eine Fahne. Ihr Geflatter beirrte die Zielsicherheit des Tennis-Cracks. Die Fahne wurde eingezogen. Orff beobachtete den Vorgang. Er stand, ein übelgelaunter Halbgott, mit über der Brust gekreuzten Armen, neben Lill.

      „Warum kauen Sie denn so?“ frug er schroff. „Aus Nervosität? Kauen ist eine grässliche Angewohnheit!“

      „Gott . . . Ich hab’ ein Drop im Mund!“

      „’runter damit! Los! Ohren steif, Lill!“

      „Ich heisse Fräulein Bödiger.“

      „Glauben Sie, ich hab’ beim Spielen Zeit, fünf Silben auszusprechen? . . . Mein Gott — was erlebt man so alles, wenn man auf die Dörfer geht . . .“

      „Sie sind wirklich ein merkwürdiger Mensch!“ sagte Lill mit verächtlich geschürzten Lippen. „Na — in Gottes Namen!“

      Orff sprang hinter die Grundlinie zurück. Es waren, auf der hartgewalzten Fläche, die lautlosen Riesensätze eines Tigers. Sein Gesicht änderte sich jäh. Es versteinerte in sportlicher Sammlung. Die Augen verglasten stählern starr wie bei einem grossen Raubvogel. Sein Körper wurde, unter dem fliegenden Flanell, ein einziger Wellenschlag ineinander spielender, trockener, harter Muskeln, die der Nervenfunke des Willens trieb.

      Lill lauerte am Netz, gespannt wie ein Schiesshund, mit halboffenem Mund, breitbeinig, die Knie etwas gebogen, den Oberkörper vorgebeugt. Ihre Augen überwachten jede Bewegung der Feinde. Hart an ihrem Ellenbogen vorbei sauste Orffs Ball lang, wunderbar flach, haarscharf über den Rand des Netzes, mit einer unerhörten Wucht. Mein Gott — hatte der Mensch Kräfte . . . So was hatte sie noch nicht erlebt . . .

      Die drüben waren aber auch nicht von Pappe. Der feindliche Champion stürmte an das Netz. Orff stürzte Lill zu Hilfe. Er lief nicht mehr. Er glitt ganz merkwürdig, mit flachen Sohlen, windschnell über den Sand. Der Kampf wirrte, dass man einander das Weisse im Auge sah. Der kleine graue Gummiball tanzte über dem Netz in der Luft zwischen dem zitternden Geflecht der Schläger. Aber dazwischen schickte ihn Orff doch jäh hinüber auf den Sand des Gegners . . . 15 zu 0 . . . Er war hinten. — Er war vorn — 30 . . . Er flog über das Feld . . . 40. . . Er schwatzte unaufhörlich . . halb laut . . . Aus Nervosität . . . oder um den Gegner zu verwirren . . . Er liess kein gutes Haar an Lill . . . Er zischte wütend: „Laufen! . . . Laufen! . . . Aufpassen! . . . Schneller . . . zum Kuckuck . . . hinüber . . . Herrgott — ist das ’ne Spielerei . . .“

      Lill schüttelte es ab wie ein Pudel. Sie kämpfte leidenschaftlich. Man war schon dicht am ersten Sieg. Aber da kam von drüben, schräg herüber, ein ganz gefährlicher Schlag.

      „Lill Pass’ auf!“ schrie Orff. Sie rannte schon. Sie rief fast gleichzeitig: „Mein Ball!“ fing ihn mit Rückhand. Landete ihn drüben. Die Stimme des Schiedsrichters von seinem Hochsitz: „Spiel und Satz: 1 zu 0. Bödiger-Orff führt!“

      Lill atmete triumphierend auf. Dann klang ihr plötzlich Orffs Zuruf im Ohr. Sie ging mit ihm nach hinten und fragte dabei kalt:

      „Was heisst denn das: ,Pass’ auf’? Ich kann mich gar nicht erinnern: wann haben wir eigentlich miteinander Brüderschaft getrunken?“

      Robby Orff würdigte die kindische Frage kaum einer Antwort. Er prüfte aufmerksam seinen Schläger und versetzte dabei zwischen den Zähnen, so als belehrte er ein kleines Mädchen:

      „ ,Passen Sie auf!’ sind zwei Silben mehr! Inzwischen ist der Ball längst beim Bösen!. . . Vorwärts — der zweite Satz . .“

      „Jetzt nehmen die drüben fürchterliche Rache!“ sprach Rix Grusemann verwundert zur Mab neben ihr. „Schau’ nur: Die Lill verschustert ein Spiel nach dem andern!“

      „Sie ist wie ausgewechselt — das arme Tierchen. Geo, schämst Du Dich nicht, dass Deine Schwester so miserabel spielt?“

      „Was hat das Kamel denn nur?“

      „Der Orff rast!“

      „Er schneidet Grimassen wie ein Satan!“

      „Schmeicheleien sagt er ihr nicht beim Spiel!“

      An Lills Ohren fauchten, im Wirbel des Spiels, Robby Orffs wütende, halblaute Zurufe: „Laufen! . . . Aufpassen! . . . Herrgott — schon wieder verpatzt . . . da spieľ ich lieber mit meiner Grossmutter . . . da . . . krieg’ ihn, Lill . . .“

      Aber Lill kriegte den Ball nicht. 1 zu 5! Der Satz stand auf der Kippe. Noch eine Galgenfrist: der Gegnerin drüben war ein Stäubchen ins Auge geraten. Sie musste das Spiel für kurze Zeit unterbrechen. Orff behandelte in der Pause Lill gereizt als Luft. Er sah auf die Uhr. Er erkundigte sich über die. Platzschranke hinweg: „Wann geht denn eigentlich der nächste zug?“ und dann leise, zornig zu Lill: „Was ist Ihnen denn in

Скачать книгу