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schaute unwillkürlich nach der Richtung, in der die Anstalt des Dr. Hormuth lag, weit von hier, ausserhalb des Badestädtchens, durch das bunte Herbstlaub des Kurparks dem Blicke entzogen, „es ist — wenigstens auf den ersten Eindruck — so furchtbar wenig Unterschied zwischen denen drinnen und denen draussen! Es kommt einem vor, als wären es ganz die gleichen Leute! Schliesslich bildet man sich ein, man wär’ selber verrückt und die andern bei Trost!“

      „Glauben Sie, dass ich das nicht oft denke?“ Der Dr. Hormuth nickte plötzlich sonderbar und unergründlich. Seine magnetischen Augen richteten sich mit einer merkwürdigen, durchdringenden Kraft auf das flotte und trotz der spielheissen Wangen selbstsicher-kühle Mädchengesicht vor ihm. Er schien Lill plötzlich wieder unheimlich dem vermeintlichen Irren von gestern ähnlich — auf der Grenze zweier Welten — da und dort zu Haus. Auch seine leise Stimme hatte einen geheimnisvollen Klang:

      „Mein Vogelhaus dort drüben,“ sagte er langsam, „das ist die Welt verkleinert gesehen, wie unter dem Mikroskop — aber perspektivisch richtig — mit ihren Königen, Millionären, Mördern, Gottsuchern, Liebhabern, Harpagons, Magdalenen und Propheten und Ophelias. Es ist die grosse und die kleine Welt — draussen das grosse Irrenhaus — drinnen das kleine. Nur dürfen wir — das heisst: meine Patienten — ehrlich sagen, dass wir verrückt sind, und Ihr nicht!“

      „Wir sind hier gesund!“ rief Lill heftig. „Wir stählen unsern Körper!“

      „Was heisst denn Körper? Körper sind eine Einbildung: Eine Spiegelung. Sie trainieren Luft. Bei uns gibt es wenigstens noch Geister — wenn auch kranke.“

      „Ach — hören Sie auf — Es wird einem ja ganz seekrank zumut!“

      „Man darf eben nicht anfangen, nachzudenken! Das ist, als stiege man eine dunkle Kellertreppe hinunter. Immer tiefer . . Immer tiefer . .“

      „Nee. Ich kletter’ nicht mit ’runter! Das ist mir zu hoch!“ Lill hielt erbittert dem Arzt den schmächtigen, blossen, weissen Arm unter die Nase. „Glauben Sie, ich bilde mir den blauen Fleck da pon dem Fehlball vom Orff vorhin ein? Danke! Kriegen Sie mal von dem mit seiner blödsinnigen Kraft — aus Versehen! — was ins Kontor — ich schwör’ Ihnen: da merken Sie, dass Sie ’ne Epidermis haben . . .!“

      Der kleine Irrenarzt im Schlapphut lachte auf einmal leise und herzlich.

      „Ich will Ihnen ja auch nicht weh tun!“ sagte er mit seiner weichen, warmen Stimme. „Ich rede eigentlich so, um mir selber Mut zu machen! Ihr habt mich überrumpelt — hier auf dem Sportplatz! Ich habe so ein animalisch gesundes Treiben nie gesehen! Ich bin immer unter Kranken . . . immer unter Kranken . . . dies Bild hier hat etwas eigentümlich Überzeugendes. Bezwingendes.“

      „Na also. . .“

      „Wenn Sie so dastehen — im weissen Kleid — unter dem blauen Himmel — den Schläger in der Hand — so selbstverständlich . . .“

      „Es ist doch auch alles so furchtbar einfach . . .“

      „Bewahren Sie sich nur diesen Glauben!“ sagte Dr. Hormuth, lüftete noch einmal still seinen Schlapphut und wandte sich zum Gehen. Über den Platz hin riefen helle Mädchenkehlen:

      „Lill — Lill — wo steckst Du?“

      Und dazwischen die gereizte Stimme des Turnierleiters.

      „Fräulein Bödiger . . . Herrgott ja . . . Fräulein Bödiger . . . Bitte antreten zum Damen-Einzel!“

      „Die Lill gewöhnt sich schon Star-Allüren an und lässt sich auf dem ganzen Platz austrompeten, damit nur jeder merkt: Nu kommt Fräulein Bödiger!“ Mab, die Spinne, fasste die hohe Freundin am Arm. Rix Grusemann, hinterher, mahnte:

      „Eil’ Dich lieber, dass Du nicht gestrichen wirst, statt vorher für ausverkaufte Sitzreihen zu sorgen! Es strömt ohnedies schon alles zu Deinem Lawn!“

      Lill liess sich mitschleppen. Sie strich sich mit der Hand über die grossen, graublauen Augen und schaute noch einmal über die Schulter nach dem Doktor zurück.

      „Habt Ihr je so was von ’nem Hut gesehen?“ frug sie. „Doll — nicht? Aber es steht ihm ganz apart!“

      „Lill — Du raffinierte Kröte . . .“

      „Ich?“ Lill blieb stehen und riss die Augen auf. „Mab — Du schmeichelst . . .“

      „. . . wie Du den Orff eifersüchtig machst . . .“

      „Orff?“ wiederholte Lill staunend, als hätte sie den Namen nie gehört.

      „Der brennt doch die ganze Zeit schon, mit Dir anzubandeln! Man muss ja lachen, wenn man ihn von einem Bein aufs andere treten sieht!“

      „Grobheiten hat er mir verzapft!“ Lill ging weiter.

      „Das ist doch seine Art von Flirt! Liebenswürdig ist er nur gegen Männer! Die neue Art des Verkehrs, sagt er . . .“

      „Es ist unhöflich, gegen Damen höflich zu sein! Darin liegt eine Missachtung! behauptet er doch immer!“ bestätigte die kühle Blonde.

      „Und Du stellst ihn kalt“, sprach Mab bewundernd. „Nein — so ’was? Einen Mann wie Orff . . .“

      „Das ist das beste Mittel, ihn eifersüchtig zu machen!“ pflichtete die Grusemann bei. Und wieder die Mab:

      „. . . wer es fertigkriegt. . .“

      „Kinder — der Mensch ist mir doch völlig piepe! . . Hetzt einen nicht in so Unsinn hinein!“ Lill winkte dem auf seinem Hochsitz ungeduldig umherspähenden Schiedsrichter, dass sie im Anmarsch sei.

      „So? Warum biederst Du Dich denn die ganze Zeit mit dem kleinen Irren-Onkel an? Der ist doch ein kümmerliches Spiel der Natur! Der zählt doch gar nicht!“

      „Gegen Orff! Zweimal stand Orff hinter Dir und wollte Dich loseisen, und Du tatst, als sähest Du es nicht!“ rief die Rix. Lill zuckte die Achseln.

      „Ich hab’ hinten wirklich keine Augen!“

      „Aber für das Doktorchen schon!“

      „Doktorchen!“ sagte Lill in Gedanken. „Hört mal: der ist gar nicht so harmlos, wie Ihr Euch einbildet! Der hat’s in sich wie die Maikäfer. Der hypnotisiert einen . . .“

      „Stuss!“

      „Der hypnotisiert einen! Bei dem möchť ich nicht Verrückte sein!“ Lill betrat elastisch den Kampfplatz. Frisch, frei und froh — alle Blicke auf sich fühlend. Sie ging fromm und ahnungslos, die Unschuld selber, dicht an Orff vorbei, ohne ihn scheinbar unter den vielen Zuschauern zu bemerken, und nickte ungewohnt warm ihren Freunden, dem Wilm und dem Yo, zu, mit jenem sinnenden Blick, mit dem sie zuweilen, in sanft temperierter Neigung, zwischen ihren beiden etwaigen Zukünftigen schwankte. Bernhardiner oder Dämon, Seide en gros oder Ministerium — das war die Frage. Der Bernhardiner — der breitschulterige Wilm Heerklotz mit seiner treuherzigen Hornbrille — war echt. Der Dämon — der düster-schöne, blasiert-schweigsame Yo Wiebe — war mehr Alpaka. Ersatz Berlin WW. Man durfte nicht zu sehr an seiner diabolischen Edelpatina kratzen. Sonst kam sein Urgrund von angeborener Philistrosität zutage . . . Es war nicht leicht . . . Lill schüttelte dem fremden weissen Fräulein übers Netz hin die Hand, und das Turnier begann.

      Wegen dieses Matches war sie eigentlich gekommen. Das Spiel holte sie sicher. Das merkte sie bald. Sie brauchte sich gar nicht viel Mühe zu geben. Sie hatte dazwischen noch ein paar Mal Zeit, nach den Zuschauerbänken zu sehen.

      Und musste lachen. Da war zwischen dem Gewimmel von Topfhüten und bunten Sonnenschirmen ein ganz unwahrscheinlicher, breitkrämpiger, schwarzer Schlapphut, und darunter ein kränkliches, feines Gesicht mit kleinem, schwarzem Schnurrbart. Der kleine, blasse, verwachsene Dr. Hormuth war immer noch da und schaute zu und liess Lill nicht aus seinen tiefen, sonderbaren, dunklen Augen.

      Er hatte keine Ahnung, warum die beiden Damen so verzweifelt hinter dem kleinen grauen Kinderball her waren — warum der Schiedsrichter zuweilen „Aus!“

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