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Lill. Der Roman eines Sportmädchens. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Lill. Der Roman eines Sportmädchens
Год выпуска 0
isbn 9788711507292
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Das sagst Du doch schon im Schlaf rückwärts her, Bine!“
„Ja. Aber das gilt für leichte, mechanische Tätigkeit! Ich bin doch kein Zigarrenwickler! Da kommt heute Mehrbedarf dazu . . . mindestens eine Stunde schärfstes Tennis . . . das sind 585 plus . . . macht 2953 Kalorien . . .“
„Natürlich sollst Du den Energiequotienten . . .“
„Ich bin für die Rubnersche Formel!“ sagte Mab, die Spinne. „Du musst Deine Wasserverdunstung beim Spiel berücksichtigen!“
„Also rund dreitausend!“ Jetzt begann für Bine erst das arithmetische Problem. Sie zählte im Kopf:
„Ein Hühnerei 75. Zwei Semmeln 250. Ein Löffel Kuhmilch 65 . . . Ein Weinträubchen 100 . . .“
„Nu ist’s aber alle!“ Lill nahm ihr schonungslos alles Essbare vor der Nase weg. „Ich kenn’ Dich! Nachher verschlemmst Du den Rest von Deinen Kalorien zum Mittag, und abends sitzt Du vor dem leeren Teller und heulst vor Hunger . . .“
„Es schmeckt mir aber immer so gut!“
„Dann wirst Du eben dick!“ sagte Lill kalt und grausam.
Dick! . . . Lieber tot! Die Mädchen schauderten. Bine Herold seufzte.
,,Die Männer haben’s zu gut! Das sind doch eigentlich erst die richtigen Menschen! Die haben nicht all diese Hemmungen! Der Wilm hat vorhin hier gesessen und geradezu unanständig gefuttert — ich hab’s vom Fenster aus gesehen: — In aller Herrgottsfrühe schon Ham and Eggs wie für ’ne Kompagnie . . . Was der Mensch dabei bloss so nebenbei an Hörnchen vertilgt hat . . .“
Die Mädchen schauten neidisch nach dem leeren Schlachtfeld auf dem Nebentisch. Mab reckte sich auf und rief von der Terrasse nach dem Weg hinunter.
„Rix . . . Renn doch nicht weg! . . . Frühstück’ doch erst!“
Aber die blauäugige, hellblonde, überschlanke Rix Grusemann, die lang, flüchtig, vornübergebeugt unten vorbeifegte, schwenkte als Antwort in der erhobenen Rechten einen angebissenen Apfel, zum Zeichen, dass sie heute ihren allwöchigen Abmagerungs-Obsttag, unter Ausschluss sonstiger Nahrung, habe. Unter der linken Achsel stak ihr das Schlägerfutteral. Der weisse Tennisrock schlug ihr handbreit um die weit ausgreifenden, dünnen Knie. Die weisse Sportkappe sass schief auf dem an den Ohren und im Genick ganz kurz wie bei einem Primaner gekappten Haar. Halboffenen Mundes, mit der regelmässigen, jugendlichen Herbheit ihres Profils, sah sie von der Seite wie ein sehr hübscher, junger Mann im Weiberrock aus. Den ahmte sie auch in Haltung und Gang nach. Die schöne Bine sprang plötzlich auf und rannte mit ihr dahin, als ob es brennte.
Die beiden andern schlenderten hinterher mit ihren Schlägern durch den Kurpark, fast lautlos auf den Gummisohlen der langen, absatzfreien, weissen Tennisschuhe. Mab nickte düster.
„Die Bine treibt das böse Gewissen! Jetzt ist’s gleich zehn! Die kriegt ihren Senf vom Orff. Na — ich danke . . .“
„Eigentlich ist’s doch zum Stiefelausziehen!“ sagte Lill. „Da rast das gute Binchen wie ein gescheuchter Hase aus Angst vor ’nem Mann . . . Wisst Ihr — wir müssen darin wirklich logischer werden . . .“
„Wenn es der erste beste Mann wäre! Aber Orff . . .“
„Orff . . .“, äffte Lill gereizt. „Orff . . . Na wenn schon Orff . . .“
„Du kennst ihn nicht . . .“
„Na — ich werde ihn ja jetzt gleich geniessen . . .“ Lill lächelte rosig-gletscherhaft, in kühler Selbstsicherheit. „Gott — nun seht nur diese Masse von Zuschauern — jetzt schon — auf dem Tennisplatz! Alle Bänke gesteckt voll . . .“
„Na — was denkst Du denn: Wenn Orff antritt . . .“
„Herrgott — schon wieder der Orff!“ schrie Lill und hielt sich die Ohren zu. „Der kommt mir schon zum Halse ’raus!“
,,So ’ne grosse Kanone sehen die Provinzialen hier doch nur alle Jubeljahre mal . . .“
„So eilt Euch doch! Das Gemischt-Doppel geht gleich los! Der Schiedsrichter klettert schon auf die Leiter.“
Die Sonne schien hell vom blassblauen Himmel auf das von buntfarbigen Sonnenschirmen überflockte, summende Gewimmel. Lill bahnte sich höflich und entschieden eine Gasse durch die Menge zu den Rohrstühlen der Auserwählten innerhalb des Spielplatzes: „Bitte, meine Herrschaften! Wir gehören zum Bau! Ohne uns stockt der Betrieb!“
Der Betrieb stand wirklich still: Auf der einen Seite des Netzes war das Paar — Herr und Dame — angetreten und wartete in stoischer Ruhe, den Blick nach den Herbstwölkchen, als ginge sie die ganze Sache nichts an. Aber die andere Hälfte des Platzes lag leer. Bine Herold kam von dort, mit langen, wütenden Schritten, den Kopf im Genick, blass vor Zorn, die Augen feucht. Sie stürmte rücksichtslos in das Publikum hinein, das sie teilnehmend ansah, machte sich mit ihren spitzen Ellenbogen Luft und gewann trotzig das Freie. Mab starrte ihr nach:
„Die läuft ja heim!“
„Sehr einfach: Orff schickt sie weg, weil sie heut früh nicht zur Stelle war!“ sagte Rix Grusemann, das blonde Mannmädchen. „Das ist die Strafe! Das hat sie nun davon! Damit schmeisst sie glücklich die ganze Veranstaltung! Er weigert sich, mit ihr anzutreten!“
„Ist er denn überhaupt da?“
,,Dort drüben steht er ja in Lebensgrösse! Der Vorstand — der Kurdirektor — unser Hotelvater — der Bürgermeister — alles tanzt um ihn ’rum und beschwört ihn . . .“
,,Aber da kennen sie Robby flach!“ Mab schüttelte mitleidig das magere, grossäugige Vogelköpfchen. „Wenn der sich mal was in den Kopf gesetzt hat.“
Lill guckte neugierig nach der Ecke hinter dem weissen Strich der Grundlinie.
„Was ihr daran nun findet . . .“, sagte sie dann gedehnt und enttäuscht. Dort drüben stand ein Mann wie hundert andere auch, zu Ende der Zwanzig, in Tennisweiss — breitbeinig, gesucht nachlässig, die Hände in den Hosentaschen, in blossem, igelkurz geschorenem Kopf. Er war sehr hager, mittelgross, mit schmalen, nach englischer Art etwas vorhängenden Schultern.
„Ja. Das ist er!“ sagte Rix und starrte ihn an. Lill zuckte nachsichtig die Achseln. Jetzt wandte Robby von Orff, mit einer gelangweilten Bewegung, als wollte er die Männerchen um ihn her abschütteln, ihr voll das Gesicht zu. Das war glattrasiert, scharf ausgeprägt, mit beweglichen, sarkastischen Linien. Zwei ironische Querfalten um die dünnen Mundwinkel. Die trockene Überlegenheit eines Europäers unter Wilden lag darauf. Nervöse Furchen auf der Stirn. Die Hand vor dem Mund, mit dem Gähnen eines an die Öffentlichkeit gewöhnten Hofschauspielers. Ein grausames Lächeln in den Augen, während er sich zu dem verstörten, kleinen Bürgermeister niederbeugte.
„Ich kann doch nicht mit einer völlig rohen, untrainierten Dame Bälle in die Natur hinausschlagen“, sprach er gedämpft und vertraulich. „Wir wollen doch hier Tennis spielen — nicht?“
„Aber Fräulein Herold . . .“
„Sie ist ja schon weg!“ stöhnte der Vorstand.
„Um so besser . . . lassen Sie sich nicht stören . . .“ Robby Orff bot, heiter wie ein Yankee, den Herren die Hand. Der Kurdirektor hielt sie krampfhaft fest.
„Herr von Orff . . . Seien Sie doch lieb — seien Sie doch nett — verderben Sie uns doch den Tag nicht! Wir hatten doch so viel Kosten!“
„Es sind doch noch andere Damen da, die gut Tennis spielen!“ schaltete, von seinem Hochsitz herabgestiegen, der Schiedsrichter ein.
„Es gibt Damen, die Tennis spielen können?“ Der Crack schaute erstaunt über Platz und Menschen wie durch leere Luft — so, als wäre das das erste, was er im Leben hörte . . .
„Wer ist denn die beste Spielerin unter den