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Lill. Der Roman eines Sportmädchens. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Lill. Der Roman eines Sportmädchens
Год выпуска 0
isbn 9788711507292
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Draussen wirbelten zwei Fingerknöchel im Morfetakt an der Tür. Geo, der Bruder, der stud. techn., weimerte.
„Kinder — lebt Ihr denn noch? Das ist ja langstielig. Der Wilm kippt schon aus Kummer einen Nikolaschka nach dem anderen. Und der Yo tanzt aus Rache mit ’nem dicken Scheusal aus Krakau! Du musst besser auf Deine Zukünftigen aufpassen, Lill! Ist Dir am Ende nicht recht hüblich?“
„Ich? Ich bin in grosser Form! . . .“ Lills rosig erhitzter, dunkelblonder Kopf lachte über blanken Schultern und blossen Armen im Türspalt. Der weisse Brustausschnitt hob und senkte sich erwartungsvoll atmend. Sie tänzelte, im kurzen, goldgestickten, hemdartigen Röckchen, über die Schwelle und den Gang entlang. „Ich dank’ meinem Schöpfer, dass ich wieder unter Menschen bin! Nun wird gehopst, dass sich die Balken biegen! . . . Ach. . . bis der olle Lift kommt . . .“
Sie wartete nicht darauf, sondern sprang die Teppichstufen der Treppe hinunter, ihr Gefolge ihr nach. Von unten schlug Hitze, Lichterglanz, Stimmengewirr herauf. Musik. Geschichten aus dem Wiener Wald . . .
„Lillchen döse nicht! Los!“
Lill war auf dem Stiegenabsatz stehengeblieben. Sie hielt sich mit der einen Hand am Geländer fest und strich sich mit der anderen über die Augen, als ob ihr schwindelte.
„Da verzapfen sie schon wieder so ’nen kindischen Walzer — genau wie vorhin . . .“ sagte sie gereizt. „Ausgerechnet mir zu Ehren . . . Zu dumm . . .“
„Die Musikfritzen können doch nicht ahnen . . .“
„Nein! Von mir zu dumm! Nerven — das wär’ schon das Neueste! Ich kenn’ mich gar nicht wieder! . . .“ Lill stieg in die Halle hinab und wurde wieder heftig. „Spielt doch lieber gleich: Du bist verrückt, mein Kind!“ sagte sie und nahm sich unten in ihrem unruhigen Ärger den Wilm vor — Wilm Heerklotz — Junior-Chef von Heerklotz und Comp., Berlin, Seidenwaren en gros — der da geduldig wartete wie ein Bernhardiner, breitschulterig, freundlich, Hornbrille, glattrasiertes Phlegma. Derlei züchtete man sich nun auf Gemüt und stilisierte es auf derbe Eleganz . . . bloss, um wieder misverstanden zu werden — es war trostlos! . . . Sie stopfte dem Freund unwirsch den koketten seidenen Taschentuchzipfel unter die Frackklappe.
„Wilm . . . Du und neckisch!. . Da lachen ja die Hühner! Du musst korrekt sein! Treudeutsche Ruhe! Nichts darf Dich erschüttern . . .“
„Au!“
„Ach was — au! Ihr macht doch alles falsch! . . .“ Lill bastelte kritisch, mit krauser Stirn, an ihm herum. So! Nun hatte Wilm wieder etwas von nachsichtiger Behäbigkeit — der geborene Ehemann . . . ’ne Möglichkeit dazu wenigstens mal — stilvoller Kontrast zwischen seinem wuchtigen Kubismus und ihrer überzüchteten Schlankheit. Lill ging versöhnlicher weiter.
Aber da nahm neben ihr der kleine, hagere, unselige Fips — Fips Wendroth, Kammergerichtsgrösse, Turnier-Reiter und Tenniscrack — da nahm er das: Du bist verrückt, mein Kind! von vorhin wieder auf und summte weiter: „Du musst nach Berlin . . .“
Herrgott — man kam ja aus Berlin! Wär’ man lieber dort geblieben und gar nicht erst hierhergefahren! . . . Philipp Wendroth, der Rechtsanwalt, war eine Art von Respektsperson in diesem Kreis. Um ihn flitterte nicht so bloss der Flirt. Er war schon von seiner Frau — einer sagenhaften, grossen Unbekannten geschieden. Aber Lill hauchte ihn ärgerlich an:
„Still, Fips!“
„Du solltest ’nen Flip trinken, Lill — zur Beruhigung Deines Gemüts!“
„Nein. Jetzt wird erst mal feste getanzt!“ Lill stand am Eingang des Ballsaals. Drinnen fiedelten sie immer noch ihren Wiener Wald. Aber es war, als sängen dazwischen die walzenden Paare unheimlich im Kehrreim:
Du musst nach Berlin!
Wo die Verrückten sind,
Da gehörst Du hin!
Fips Wendroth war trocken lächelnd zur Seite getreten. Er hatte immer diese kühle Ironie, wenn nicht plötzlich, beim Plädieren, seine Suada wie ein geplatztes Stauwehrlosplatzte und unaufhaltsam den Gerichtssaal überschwemmte. Einglas. Grosse Glatze. Schön war er nicht. Er sah wie ein Jockei aus. Hager. Zäh.
An seiner Stelle löste sich Lämmchen Jericho aus dem Karussell von langen Lackpumps und schmalen Seidenschuhchen. Er war ein kleiner Bauchmensch. Der Smoking rundete noch niederträchtig seine Fettwölbung. Aber er tanzte flink wie ein Brummkreisel. Er war kein bisschen ausser Atem. Er stiess mit der Zunge an — aber das tat er immer — und fuchtelte mit den Ärmchen.
„Kommen Sie, Lill!“ lispelte er verklärt.
Lill blinzelte nachsichtig aus ihren schönen, kühlen, blaugrauen Augen auf den kleinen Berliner Kunstsammler hinunter. Lambert Jericho war glühend und hoffnungslos in sie verschossen. Offenes Geheimnis. In Gottes Namen. Ein Junggeselle. Aber nicht mehr jung. Schon leicht ergrautes Haar an den Schläfen. Man musste ihn distanzieren. Er war der einzige von dem ganzen Berliner Stosstrupp, mit dem Lill sich siezte.
„Ich bin wahnsinnig traurig, Lämmchen!“ sagte sie.
„Warum?“
„Weiss ich nicht!“
,,Jetzt kommt ein Charleston.“ Die Aussprache von „Charleston“ war für Lämmchen Jericho, bei seinem Zungenfehler, ein unlösbares Problem. Lill musste lachen.
„’ne Hopfenstange wie ich . . . und Sie . . . das ist pervers, wenn wir beide zusammen übers Parkett turnen! Wie oft ich Ihnen das schon gesagt hab’, Lämmchen!“
,,Schön! Sollen Sie mit Ihrem Seelenfreund tanzen!“ Der kleine Mann zog sich gekränkt zurück. Yo Wiebe kam und holte sich Lill. Mit Yo konnte man Staat machen . . . Vielleicht — möglicherweise — einmal auch als Mann und Frau. Kein Gegensatz wie beim Wilm, sondern Ergänzung. Zwei ganz moderne, dünn-rassige Mittel-Europäer. Sonst fuhren die Mädchen entrüstet auf und geboten den Müttern Schweigen, wenn die, nach ihrer altmodischen Art, in der Kameradschaft mit ihren Duzfreunden gleich die Morgenluft von Verlobungen und derlei Unsinn witterten. Flirt? — Ja . . . Das waren die Kosthappen fürs Herz! Aber heiraten: Um Gottes willen — das Köpfchen kühl!
Eben deswegen Yo! Für gewöhnlich Johannes Wiebe. Assessor im Ministerium. Baldiger Regierungsrat. Sonne von oben. Ein auffallend schöner junger Mann. Blasiert, unergründlich, wie ein Diplomat. Tadellos gewachsen. In London angezogen. Zurückhaltend. Überlegen. Der mondäne Ehemann, wie er im Buch stand.
Zufrieden war Lill doch nicht. Sie tanzte mit dem Yo. Sie liess sich von ihm führen und schaute ihm, während sie mit langen Schritten vor ihm zurückwich, starr in das harmlose Gesicht.
„Du machst heute wieder gar keinen lasterhaften Eindruck!“ rügte sie nervös. „Schmunzele nicht wie ein Postrat am Stammtisch! Wie soll man sich denn da mit Dir zeigen?“
„Herrgott — ich kann nicht immer dämonisch sein! Das ist ja Kaff!“
Lill seufzte. Das war das Unglück: der Yo war eigentlich gar nicht diabolisch, sondern eine ganz philiströse Natur! Er hatte nur dieses herrliche, angelsächsische Äussere: Salz und See . . . Londoner Klub . . . Schiffstuhl . . . Geishas . . . tote Tiger . . . die Welt im Film . . . Man konnte ihn — vielleicht auf Jéhan umstellen — Pariserisch . . . Aber Don Juans waren so gar nicht mehr modern. Sie rochen nach Kampfer. Auf jeden kamen sechs Gänse. Die gab’s heutzutage nicht mehr . . .
„Du — Lill — wollen wir nicht lieber uns zur Seite schlängeln?“
„Ich bin total auf der Höhe!“
„Du siehst aber aus wie ’ne Leiche auf Urlaub!“
„Soll ich mich Dir zu Liebe rosa antünchen? Ich bin kein Girl aus New York!“
Sie renkten weiter rhythmisch ihre Füsse durcheinander. Streng. Sachlich. Um sie lauter ernste, gesammelte Mienen. Dieser Tanz war Wissenschaft. War Sport. War Tempelübung des Körpers. Verlor sich, im weinerlichen