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elegante, selbstsichere Herr hatte etwas in seinen grauen Augen, das plötzlich nadelscharf werden konnte. Jetzt freilich sah er vergnügt darein; die Karikaturen des politischen Witzblattes schienen ihn ausserordentlich zu amüsieren.

      Und als dann der Kellner abgeräumt hatte, kam Herr von Hilken wie aus einer ganz anderen Welt, schien völlig vergessen zu haben, wovon sie vorhin gesprochen hatten. Ausserdem wurde er von kommenden und gehenden Gästen oft gegrüsst und abgelenkt, so dass er offenbar auch die Lust verloren hatte, eine Unterhaltung zu führen.

      Doch — Storkow hatte die Zähigkeit und das Draufgängertum seiner Familie und sagte: „Herr Justizrat, Sie wollten mir doch etwas von Fräulein Erdösy erzählen?“

      „Nicht, dass ich wüsste, Herr Premierleutnant. Aber — ja doch, Sie haben recht — wir sprachen ja von dem Rosenstrauss. Er stand auf dem Teetisch — in einer weissen Porzellanvase — königliches Porzellan, ein Prachtstück — aber während einer Unterhaltung — wir sprachen von dem niederträchtigen Klatsch, dem die Theaterdamen vogelfrei ausgeliefert sind — zog Fräulein Erdösy plötzlich einen Revolver aus der Kleidertasche und zerschmetterte durch einen Schuss die Vase — der ganze Tisch war überflutet — die Blumen lagen zwischen den Scherben!“

      Sie sahen sich beide sekundenlang scharf in die Augen.

      „Oper“, sagte Storkow lächelnd, „denn was hatte ihr die Vase getan?“

      „Es war ein vermeintlicher Verleumder, den sie über den Haufen schoss!“

      „Ich kann mir nicht denken, dass jemand Fräulein Erdösy zu verleumden wagt“, sagte Storkow in ehrlicher Empörung.

      „Nun, es gibt Männer, die auf Tugend oder Untugend eines Mädchens wetten — aber damit nicht genug: wenn sie verloren haben, weil die Tugend siegte, machen sie ihrem Ärger dadurch Luft, dass sie den Wetteinsatz zurückfordern mit der Begründung, dass die Dame in Wahrheit gar nicht auf die Probe gestellt worden sei, weil — durch eine Intrige — die Versuchung gar nicht an sie herangekommen sei.“

      „Herr Justizrat — Sie haben Ihre besonderen Gründe, mir das zu erzählen?!“

      „Ja, Herr Graf, weil ich bitten wollte, im Interesse der jungen, unter meinem Schutze stehenden Künstlerin derselben etwas weniger Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Alles, was zu Klatsch und Verleumdung Anlass geben könnte, muss vermieden werden, und das Ansprechen Fräulein Erdösys auf der Strasse — zur Nachtzeit — kann ihr schaden!“

      Storkow war blass geworden. Einen Augenblick schwankte er, wie er sich verhalten sollte; denn dass er hier von einem Zivilisten für eine scheinbare Taktlosigkeit eine Zurechtweisung bekam, war ja nicht abzuleugnen. Zugleich aber fühlte er, dass der Justizrat doch nur zum Schutz für das Mädchen eintrat, für das er eine so tiefe Neigung gefasst hatte, und diese Erwägung gab den Ausschlag.

      Und so sagte er: „Ich habe mir schon selbst Vorwürfe gemacht, Herr Justizrat. Verkennen Sie mich aber nicht. Sie wissen doch selbst, dass die Liebe jedes Hindernis nimmt — ich wollte Fräulein Erdösy doch nur bitten, mir eine Möglichkeit der Annäherung auf gesellschaftlichem Wege zu geben.“

      „Und?“ fragte Herr von Hilken.

      „Sie sah keine!“

      „Weil sie keine sehen wollte — weil sie ... darf ich ganz offen sprechen, Herr Graf? Also, weil sie sich zu hoch einschätzt, um sich in eine aussichtslose Liebschaft einzulassen! Und — verübeln Sie es mir — dem so viel Älteren — nicht, dass ich auch Ihnen etwas Gutgemeintes sage: Ich kenne Ihre Familie, die Anschanungen, die da herrschen. Dem Herrn Oberst, Ihrem Herrn Vater, würde diese Schwiegertochter vom Theater nie willkommen sein. Wollen Sie zugunsten Ihres Bruders Fritz enterbt werden — und das würde doch der Fall sein, wenn Sie gegen den Willen Ihres Herrn Vaters eine Ehe schlössen?!“

      „Ich danke Ihnen, Herr Justizrat! Vielleicht war es gut, dass uns der Zufall heute hier zusammengeführt hat. Ich hatte nicht so weit gedacht wie Sie.“

      Mit einem Händedruck hatte sich Storkow bald darauf verabschiedet. Daheim dann, allein in der stillen Wohnung, hatte er die grosse Photographie „Fräulein Eugenie Erdösy als Nanon“, die er in einer Kunsthandlung gekauft, aus dem Rahmen genommen, in einen Umschlag gesteckt und im Schreibtisch verschlossen.

      Er begriff jetzt selbst, dass der Traum ein Ende haben musste.

      VI.

      Fräulein Anna Malbruch, die „Ninon“ der Operette, sass vor dem Spiegel in der Garderobe und verfolgte die Geschäftigkeit der Friseurin. Sie war eine blonde, üppige Schönheit, schon lange vor dem Engagement der Erdösy im Walhalla-Operetten-Theater tätig, und fühlte sich jetzt durch deren Erfolge zurückgesetzt. Aus ihrer Abneigung gegen die Ungarin machte sie anderen gegenüber auch kein Hehl.

      „Weil Neumann die Namen verwechselt hat, macht man mir jetzt Vorwürfe — als wenn ich der etwas wegschnappen wollte. Hab’ ich das nötig, Frau Ziesel?“

      „Nee jewiss nich — so wie Fräulein Malbruch jebaut is — und dann det Haar!“ Sie hob eine der schweren, blonden Flechten hoch und wog sie in der Hand.

      „Nanon und Ninon, das verwechselt man leicht, und Neumann hat ja immer Wolle in den Ohren. Und ich vergeb’ mir schon nichts — wenn jede bloss auf sich so aufpasste, wäre es schon gut! Aber da muss Klatsch und Stunk gemacht werden — aus lauter Neid, weiter ist es doch nichts. Und das Getue von der Erdösy — soll ja bloss so was heissen! Das Walhall ist doch kein Nonnenkloster!“

      Es klingelte in dem Korridor — die Vorstellung konnte jeden Augenblick beginnen.

      Mit besonderem Behagen sang Fräulein Malbruch nachher in der Vorstellung ihr Couplet:

      „Treu blieb ich stets einem Prinzipe,

      Ja — staunet nur — auch ich bin treu!

      Es ist sehr leicht, einfach zu üben

      Und unfehlbar probat dabei.

      Wie mancher Mann wollt mir die Lieb’

      Vergelten durch Treulosigkeit.

      Bisher ist’s noch keinem gelungen,

      Ich liess ihm dazu gar nicht Zeit.

      Warum nur werd’ ich nie betrogen?

      Weil selber ich es früher tu —

      Was du nicht willst, dass dir geschehe,

      Das füge vorher andern zu!“

      Aber der Beifall war nicht so gross, wie sie erwartet — sie spürte eine starke Zurückhaltung im Publikum gegen früher. War denn der Klatsch schon in der Öffentlichkeit bekannt? Nun, sie wollte sich rechtfertigen. Und noch spöttischer sang sie jetzt den zweiten Vers:

      „Kommt katzenboshaft mir eine Freundin —

      Ich seh’s ihr an, sie freuet sich,

      Mir in der Eil’ gleich mitzuteilen

      Die neu’sten Lügen über mich:

      „Oh, wenn Sie erführen, was gestern

      Die Leute erzählt!“ fängt sie an.

      Ach leider ich weiss schon, erwider’ ich,

      Doch glaub’ ich beinah’ nicht daran —

      Sie sollen Ihren Mann betrügen!

      Abscheulich wär’s, jetzt hab’ ich Ruh’.

      Was du nicht willst, dass dir geschehe,

      Das füge vorher andern zu!“

      Sie hatte sich bei dem Refrain der Fremdenloge zugewandt, aus der ihr immer der stärkste Beifall von den jungen Offizieren wurde — aber die Loge war leer. Ja — doch im Hintergrund sass ein einziger Herr, der aber die Hände nicht zum Applaus regte.

      Nun, da sah ja der Herr Direktor Grosskopf, was er angerichtet, als er den Logendienern streng verboten hatte, Einladungen

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