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gern gekommen wäre.

      Als der Vorhang gefallen, spähte sie durch das Guckloch nach der Loge — wer mochte der Herr sein? Nach dem Haarschnitt ein Offizier, wohl einer, der noch keine Routine im Umgang mit Theaterdamen hatte. Oder einer, der sehr genau rechnen musste, einer also, der für sie nicht in Betracht kam.

      Aber im Verlauf des Abends merkte sie, dass ihre Erwägungen falsch waren — das Publikum geizte durchaus nicht mit Beifall, wenn die Erdösy die Szene beherrschte, und der einsame Gast in der Loge tat sich in seinem Applaus ganz besonders hervor. Wer mochte es sein — vielleicht konnte sie es durch Frau Ziesel erfahren.

      Als sie dann in der Pause die Friseurin fragte, wusste diese sofort Bescheid. „Ein Premier von die Ersten Dragoner, ein Graf Storkow. Der Direktor hat ihn selber mit die Erdösy bekanntgemacht. Seitdem kommt er fast jeden Abend — aber Blumen spendiert er jetzt ooch nich mehr — kommt ja ooch schliesslich zu teuer!“

      „Der Direktor selber? Na — vielleicht kriegt der nun die Prozente ab!“

      „Ssst — Fräulein Malbruch, seien Sie still, der Olle is jeladen und kontrolliert selber. Ach, det war unter dem ollen Grosskopf schöner, da hat sich wat jetan hinter die Kulissen, in die Jarderobe. Aber der Junge spielt sich uff’n Kommissionsrat aus — aufs Etepetete!“

      Fräulein Malbruch hatte auf das Geschwätz der Friseurin gar nicht gehört. Graf Storkow — von dem hatte sie schon von den anderen Offizieren — ihren Freunden — gehört. Arm war der nicht — sollte sich doch zwei Pferde halten. Ja — und da war doch noch etwas? Sie sann nach, und plötzlich schoss es ihr durch den Kopf: Das war doch der Blaubart. Der alle Frauen unglücklich machte! Na — dann gönnte sie ihn der Erdösy!

      Als sie nach Schluss der Vorstellung auf die Strasse trat, ging der Sprühregen noch immer nieder. Unmöglich, in diesem Wetter zu laufen! So leistete sie sich eine Droschke und fuhr heim. Das Haus in der Karlstrasse gehörte ihrer Mutter, ein niedriges, altmodisches Ding, in dessen Nebenräumen der Vater bei Lebzeiten eine Tischlerei betrieben hatte. Obwohl er nun schon sechs Jahre tot war, hing das Schild noch immer über dem Tor: „Theodor Malbruch, Tischlermeister. Wiegen, Bettstellen, Särge.“

      Die Mutter konnte sich nicht entschliessen, das Schild abnehmen zu lassen. „Es würde mir was fehlen, Anneken“, Wiegen, Bettstellen, Särge — das ist das menschliche Leben“, sagte sie jedesmal, „ich bin ein bisschen abergläubisch! Siehste: Wenn ich erst in meinem Sarg liege, kannste das Schild abnehmen lassen — eher nicht!“

      Als damals die Werkstatteinrichtung und das Möbellager verkauft wurden, hatte sie einen einfachen, schwarzen Sarg zurückbehalten. „Das soll meiner mal sein — nu weiss ich doch, wie er aussieht, die wenigsten Menschen kriegen ja ihren Sarg zu sehen, obgleich sich jeder einen schon bei Lebzeiten anschaffen sollte. Ein Sarg ist so notwendig wie ein Totenhemd — in meins habe ich sogar das Monogramm jestickt.“

      Ja, die Mutter Malbruch war für Ordnung und hätte es gern gesehen, wenn das einzige Kind, ihre Tochter Anna, einen tüchtigen Handwerksmeister geheiratet hätte. Aber nach dem Tode des Mannes hatte sie keine Gewalt mehr über das verzogene Mädchen gehabt, und da sie es nicht ganz verlieren wollte, hatte sie damals nachgeben müssen, als Anna auf Ausbildung zur Sängerin drängte.

      „Was wirste werden? Tingeltangeleuse wirste werden, weiter nischt!“

      Aber dann war Anna nach dem ersten Jahr in der Provinz im „Walhall“ engagiert worden und hatte sich dort gehalten. Freilich — freilich! „Na, man muss das Leben nehmen, wie das Leben eben ist, und bei’s Theater geht’s anders zu“, hatte sie sich zu trösten versucht, wenn ihr bei den vielen Herrenbekanntschaften der Tochter bänglich zumute werden wollte. — —

      Fräulein Malbruch war in die dunkle Wohnung gelangt. Aus der Schlafstube der Mutter fiel durch die halboffene Tür ein Lichtstreifen.

      „Bist du’s, Anneken? Komm doch rein, ich hab’ mich eben erst hingelegt — war mir zu kalt zum Sitzen!“

      Ein Lämpchen brannte auf der Kommode neben der Bettstelle.

      „Ja, — erst will ich mich ausziehen, Mutter!“

      Frau Malbruch setzte die Untertasse voll Pflaumenmus und das Wasserglas von dem neben dem Bett stehenden Stuhl auf die Kommode, aber als die Tochter dann eintrat, überzeugte sich Anna doch erst, ob der Stuhl wirklich frei sei, denn kürzlich hatte sie sich in das Pflaumenmus gesetzt.

      „Na — is ja scheen, dass du mal wieder so wie früher kommst! Hast wohl wieder Ärger gehabt wegen die Ungarin?“

      „Ach Jott, lass doch, Mutter! Ich hab’ Hunger auf ’ne schöne Schinkenstulle, ist wohl aber nischt da!?“

      „Doch, Anneken, doch! Ooch Sardellenleberwurscht — warte, ich steh’ noch mal uff und mach dir was zurecht!“

      „Zieh’ dir wenigstens was an, sonst erkältest du dich!“

      „Haste also noch jar nich Abendbrot jejessen? Armes Meechen, kannst einen leid tun! Aber du willst ja nie was mitnehmen! Früher hast du doch immer so jerne die frischen Brotkanten jejessen, — soll ich dir einen schmieren?“

      „Aber nicht extra von der andern Seite abschneiden!“

      Als die Mutter dann wieder hereinkam und die sonst so lebhafte Tochter regungslos sitzen sah, sagte sie betroffen: „Nanu, Anneken, haste dir jeärjert — oder is sonst was passiert?“

      Sie setzte den Teller mit dem Brot auf die Kommode und beugte sich zu der Tochter, um ihr ins Gesicht zu sehen.

      „Nee, was du denkst, ist nicht!“ sagte Anna. „Ich bin bloss müde und abgespannt!“

      „Na, dann iss und leg’ dich ins Bette, — das Ausschlafen wird dir gut tun!“ Und ein Weilchen später, als sie die Tochter essen sah, sagte sie beruhigt: „Nee — Jott sei Dank, krank bist du nich, sonst hättste nich den Appetit! Aber irgendwas is dir doch, — willst du es deiner alten Mutter nich sagen — oder kannste nich? An was haste denn eben jedacht?“

      „An unsern lieben Herrn Direktor! Sieh mal, Mutter, dem Neumann hat er verboten, mir Soupereinladungen von den Logenbesuchern zu bringen, aber der Erdösy führt er selber die Offiziere in die Garderobe. Siehste, das ist die höhere Sittlichkeit! Die Ziesel hat es selber gesehen, wie er ihr einen Grafen brachte!“

      „Ach Jott, einen Grafen! Die sind doch bloss fürs Amüsieren, — ans Heiraten denken sie nicht, wenn’s eine von’s Theater is!“

      „Wie kannste bloss so reden, Mutter. Viele Sängerinnen haben Grafen und Barone gekriegt!“

      „Und kaum nach ’nem Jahre waren se jeschieden!“

      „Aber sie waren dann doch Gräfinnen oder Frau Baroninnen und bekamen standesgemässen Unterhalt!“

      „Das is doch keen Jlück, Anneken, — was hatten sie nun von ihrem Leben!? Nischt — jar nischt. Eine glückliche Ehe is besser als alle Vornehmtuerei mit ’nem wunden Herzen!“

      „Mutter, das verstehst du nicht!“

      „Vielleicht versteh ich’s auch nich, sind ja jetzt andere Zeiten wie in meiner Jugend. Aber das eine versteh ich und weiss ich: Glücklich bist du nicht, mein Kind!“

      Nach einem Weilchen des Schweigens sagte Fräulein Malbruch: „Du meinst, weil ich nicht aus Königliche Opernhaus gekommen bin? Da kann ich mich mit der Erdösy trösten! Die haben sie doch auch nicht engagiert, — zweimal hat sie dort gesungen, aber es hat nicht ausgereicht. Und ich bin ja nicht so, gebe gern zu, dass sie eigentlich sehr niedlich ist, und wenn sie mir nicht in die Quere gekommen wäre, hätte ich sie gern haben mögen. Aber so, wie es jetzt ist, muss eine von uns beiden weg, und ich sehe nicht ein, dass ich ihr Platz machen soll, wo ich schon so lange beim Walhall bin!“

      „Sie wird ja auch nicht immer bleiben!“

      „Ach — die will sich einnisten, hat doch festes Engagement bis nächstes Frühjahr!“

      VII.

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