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Schlafes bedürftig war, so öffnete er sein Fenster und rief mit lauter Stimme über die ganze Straße: „Adolf!“, lud ihn zu sich ein und bat Gedichte mitzubringen. Adolf, gutmütig, sanft und fromm, folgte sofort der ihm so schmeichelhaften Einladung. Nun begann das Vorlesen des in Verzückung geratenden Dichters. Nach jedem Gedicht, so mittelmäßig es auch war, oder nach dem Ausspruche eines Heine matt und leer erschien, sagte Heine: „Weißt du, Adolf, das ist dein bestes!“

      So ging es mit allen Gedichten ohne Ausnahme ein Jahr lang, und vom jedesmaligen letzten Gedichte hieß es: „Adolf, das ist dein allerbestes“, worauf denn nicht selten Heine eingeschlummert war...

      Einstmals hatte Heine einige Freunde bei sich, muntere, aufgeweckte Studenten. Die Rede kam auf lyrische Poesie und angehende, empfindsame Poeten.

      „Wollt ihr ein kapitales Exemplar dieser Sorte,“ sagte Heine, „so kann ich damit aufwarten.“ Heine rief über die Straße hin: „Adolf!“ und Adolf erschien sofort mit der großen Mappe voll von Gedichten.

      Nun muß ich vorher berichten, daß Adolfs Ideal Hulda hieß, und er hatte an sie, wie Schiller einst an Laura, eine Unzahl Gedichte unter allen möglichen Aufschriften gerichtet.

      Die junge Gesellschaft, durch Heines maliziöse Bemerkungen schon ohnedies zur ungeheuersten Heiterkeit gestimmt, saß im Kreise. Mit süßer, lispelnder Stimme und schmachtend verklärten Augen begann Adolf sein erstes Gedicht mit den Worten: „Hulda schifft.“ Wer je auf einer Universität gewesen, oder auch nur mit Studenten Umgang gehabt, der kennt das Unaussprechliche dieses Wortes in der Studentensprache. Nicht in ein Gelächter, sondern in ein wahres unartikuliertes Brüllen brach die ganze Gesellschaft aus. Es war unmöglich, auch nur für einen Augenblick Ruhe und Stille wiederherzustellen. Gern hätte Heine gesagt: „Adolf, das ist dein allerbestes“, aber für heute blieb es bei dem verhängnisvollen: „Hulda schifft!“

      [In Wedekinds Tagebuch wird – nach Strodtmanns Angabe („Deutsche Dichterprofile“, S. 241) – der Vorfall bestätigt und der Name Peters genannt. Peters wohnte im Sommer 1824 Heine gegenüber, bei Herrn Becker in der Gronerstraße, Heine in derselben Straße im Eberweinschen Haus; in die Weender Straße zog er erst Ostern 1825. Auch in seinen Briefen erinnert sich Heine mehrmals, wie er diesen „Esel mit Rosinensauce“ zum Ergötzen seiner Freunde zuweilen zum Narren gehabt (an Moser, 1. April 1825, und an Christiani, 26. Mai 1825); die Worte „Peters, das ist dein bestes“ zitiert er im Brief an Christiani Ende Dezember 1825 (Hirth, Nr. 122) humoristisch in bezug auf sein eigenes neuestes Gedicht. – Eine andere Schnurre von diesem „Universitätsfreund Adolf“ erzählt Heine selbst in einem Brief an Campe vom 7. März 1854.]

      106. Max Heine70

      August 1824

      Allen, die in den zwanziger Jahren in Göttingen studiert haben, dürfte es wohl noch in Erinnerung sein, daß die ein Stündchen von Göttingen gelegene anständige Kneipe, die „Landwehr“ genannt, von vielen Studenten besucht wurde.

      Ganz besonders mag den ehemaligen Burschen das schöne Schenkmädchen, „Lottchen von der Landwehr“ geheißen, in Erinnerung geblieben sein. Dieses Mädchen war eine reizende Erscheinung. Höchst anständig, gleich freundlich gegen alle Gäste, bediente sie alle mit wunderbarer Schnelligkeit und graziöser Behendigkeit. Sehr oft besuchte Heinrich Heine in Begleitung seiner Freunde aus der Landsmannschaft der Westphalia diese Schenke, um daselbst zu Abend zu essen, gewöhnlich „eine Taube“ oder eine „Viertel Ente mit Apfelkompott“. Das Mädchen gefiel auch Heine, er liebte mit ihr zu scherzen, wozu sie übrigens weder Veranlassung noch Erlaubnis gab; ja einstens umfaßte er sie, um sie zu küssen.

      Da hätte man das beleidigte Mädchen sehen müssen; vor Zorn ganz rot, stellte sie sich vor Heine hin und hielt eine so würdevolle Ansprache, kanzelte ihn dermaßen moralisch herunter, daß nicht bloß er, sondern alle übrigen Studenten, die anfangs dieser Szene recht fidel zugesehen hatten, ganz verlegen und kleinlaut davonschlichen.

      Heine blieb längere Zeit von der „Landwehr“ weg und erzählte allenthalben, wie ein junges, seiner weiblichen Würde bewußtes Mädchen allezeit den kräftigsten Schutz gegen jede Frivolität in sich selbst berge. Nach einem Monat zog es ihn jedoch wieder nach der „Landwehr“ mit der eitlen Absicht, das hübsche Mädchen völlig zu ignorieren. Wie war er aber erstaunt, als er in die Schenke trat! Das Mädchen kam heiter lächelnd ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte ganz unbefangen: „Mit Ihnen ist’s etwas ganz anderes als mit den übrigen Herren Studiosen; Sie sind ja schon so berühmt wie unsere Professoren; ich habe Ihre Gedichte gelesen, ach, wie herzlich schön! Und das Gedicht vom ‚Kirchhof‘ weiß ich fast auswendig, und jetzt, Herr Heine, können Sie mich küssen in Gegenwart von allen diesen Herren. Seien Sie aber auch recht fleißig und schreiben Sie noch mehr so schöne Gedichte.“

      Als mein Bruder mir später, fast gegen Ende seines Lebens, diese kleine Geschichte erzählte, sagte er wehmütig: „Dies kleine Honorar hat mir mehr reine Freude verursacht, als späterhin alle die blinkenden Goldstücke von Herrn Hoffmann & Campe.“

      107. G. Knille194

      August 1824

      [Mitteilung Knilies an Strodtmann über eine „Spritzfahrt“ von Göttingen nach Kassel:] Hinten auf dem Wagen war ein kleiner Koffer angebunden, worin sich Heines Manuskripte befanden, ohne welche er ungern eine Reise unternahm. Desgleichen pflegte er bei solchen Ausflügen zwei gefüllte Börsen einzustecken; die eine, sagte er, sei lediglich für Raubgesellen bestimmt, denen er solche nötigenfalls mit den verbindlichsten Worten anbieten werde. Siemens führte eine geladene Pistole bei sich, welche schon in dem verrufenen Gronerholze zu allerlei Scherzen Veranlassung gab. Als die kleine Gesellschaft abends in heiterster Stimmung von einem Besuche der Wilhelmshöhe nach Kassel in den „Römischen Kaiser“ zurückkam, setzte Knille in mutwilliger Laune Heine das Pistol auf die Brust. Dieser retirierte in ein Nebenzimmer, verlangte ängstlich die Beseitigung der Waffe, klagte nachts über Unwohlsein und wurde andern Tages weidlich damit geneckt, daß sein Übelbefinden nur eine Folge des scherzhaften Attentats gewesen sei. Bei der Rückreise überfiel die ausgelassenen Bursche auf dem hinter Dransfeld gelegenen Galgenberge ein furchtbares Gewitter. Der Kutscher sprang vom Bocke, um die scheu gewordenen Pferde zu bändigen, die Insassen des Wagens falteten angstvoll die Hände und begannen andächtig zu beten; Heine aber stimmte die lustigsten Lieder an und führte die unchristlichsten Reden, um sich für die erlittenen Foppereien zu revanchieren. Wenn nun später der Dichter abends in dem Ulrichschen Garten erschien, sich zu den Westfalen setzte, und zu seiner Begrüßung Witze und Scherzworte hin und her flogen, daß Heine Mühe hatte, sich all des Mutwillens zu erwehren, pflegte Knille das erste beste Messer zu ergreifen und dasselbe wie eine Pistole auf ihn anzulegen. „Knille, es blitzt!“ war dann, unter allgemeinem Jubel und Gelächter, seine stereotype Antwort.

      108. Ludwig Emil Grimm124

      August 1824

      [L. E. Grimm in Kassel an Ferdinand Grimm:] Ein Dichter, Heinrich Heine, hat mich von Göttingen aus, wo er Jura studiert, besucht; er hat ein gescheites Gesicht und ist auch nicht häßlich und auch just nicht unangenehm. Er schwätzt nur gar zuviel und über alles, was ihm vorkommt. Er hinkte an einem Fuß, wie er bei mir war, und sagte, er habe die größten Schmerzen; es soll, wie er sagte, ihn der Kutscher umgeworfen haben. Es scheint mir aber nicht wahr zu sein. Er sagte mir, er kenne dich von Berlin aus. Ich habe so einiges von seinen Sachen gelesen, es scheint mir, als habe er mehr Talent als Blum; ich kann aber freilich darüber nicht urteilen.

      109. Eduard Wedekind149

      August/September 1824

      [Strodtmanns Bericht nach Wedekinds Mitteilung:] Als... im Spätsommer 1824 eine große pro-patria-Paukerei zwischen den Osnabrückern und den übrigen Westfalen stattfand, weil erstere sich als besonderes Abzeichen ein silbernes Rad – das osnabrücksche Wappen – vor der Mütze beigelegt hatten, nahm Heine keinen Teil an diesen Streitigkeiten, sondern verhielt sich neutral. „Wir sahen uns darüber seltener“, schreibt Wedekind; „es gab auch, da

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