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Gespräche mit Heine. Heinrich Hubert Houben
Читать онлайн.Название Gespräche mit Heine
Год выпуска 0
isbn 9788711460887
Автор произведения Heinrich Hubert Houben
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
110. Karl Dörne142
September 1824
Im Herbst 1824 kehrte ich von einer Geschäftsreise von Osterode nach Klausthal zurück. Durch eine Flasche Serons de Salvanette, die ich bei meinem alten Freunde St. getrunken, waren meine Lebensgeister dergestalt exaltiert, daß man mich hätte für ausgelassen halten können. Etwa auf der Hälfte des Weges traf ich mit einem jungen Mann zusammen, den ich genau beschreibe, damit er sich überzeugt, daß ich ihn wirklich damals gesehen. Er war etwa 5 Fuß 6 Zoll groß, konnte 25 bis 27 Jahre alt sein, hatte blonde Haare, blaue Augen, eine einnehmende Gesichtsbildung, war schlank von Gestalt, trug einen braunen Überrock, gelbe Pantalons, gestreifte Weste, schwarzes Halstuch und hatte eine grüne Kappe auf dem Kopfe und einen Tornister von grüner Wachsleinewand auf dem Rücken. Der Serons de Salvanette war lediglich schuld daran, daß ich den Reisenden sogleich nach der ersten Begrüßung anredete und nach Namen, Stand und Woher und Wohin fragte. Der Fremde sah mich mit einem sardonischen Lächeln von der Seite an, nannte sich Peregrinus und sagte, er sei ein Kosmopolit, der auf Kosten des türkischen Kaisers reise, um Rekruten anzuwerben. „Haben Sie Lust?“ fragte er mich. – „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“ erwiderte ich und dankte sehr. Um indessen Gleiches mit Gleichem zu vergelten, gab ich mich für einen Schneidergesellen aus und erzählte dem türkischen Geschäftsträger, daß ich von B. komme, woselbst sich ein Gerücht verbreitet, daß der junge Landesherr auf einer Reise nach dem gelobten Lande von den Türken gefangen sei und ein ungeheures Lösegeld bezahlen solle. Herr Peregrinus versprach, sich dieserhalb bei dem Sultan zu verwenden, und erzählte mir von dem großen Einflusse, den er bei Sr. Hoheit habe.
Unter dergleichen Gesprächen setzten wir unsere Reise fort, und um meine angefangene Rolle durchzuführen, sang ich allerlei Volkslieder und ließ es an Korruption des Textes nicht fehlen, bewegte mich auch überhaupt ganz im Geiste eines reisenden Handwerksburschen. Ich vertraute dem Gefährten, daß ich ein hübsches Sümmchen bei mir trage, Mutterpfennige, es mir daher um so angenehmer sei, einen mannhaften Gesellschafter gefunden zu haben, auf den ich mich, falls wir von Räubern sollten angefallen werden, verlassen könnte. Der Ungläubige versicherte mich unbedenklich seines Schutzes. „Hier will es mit den Räubern nicht viel sagen“, fuhr er fort. „Aber Sie sollten nach der Türkei kommen, da kann man fast keinen Fuß vor den andern setzen, ohne auf große bewaffnete Räuberscharen zu stoßen; jeder Reisende führt daher in jenen Gegenden zu seinem Schutze Kanonen von schwerem Kaliber mit sich und kommt dessenungeachtet oft kaum mit dem Leben davon.“ Ich bezeigte dem Geschäftsträger Sr. Hoheit mein Erstaunen und lobte beiläufig die deutsche Polizei, deren Tätigkeit es gelungen, daß ein armer Reisender ganze Stunden Weges zurückzulegen imstande sei, ohne gerade von Räubern ausgeplündert zu werden. „Was wollten wir machen,“ fuhr ich fort, „wenn hinter jedem Busche und aus jedem Graben mehrere gefährliche Kerle hervorsprängen und sich von dem erschrockenen Wanderer alles ausbäten, wie der Bettler in Gellerts Fabel?“ – „Haben Sie Gellert gelesen?“ fragte mich mein Begleiter. – „Ja“, erwiderte ich; „ich habe in meiner Jugend Lesen und Schreiben gelernt, meine Lehrjahre bei dem Schneidermeister Sander zu Halberstadt im Lichten Graben ausgestanden und seitdem bei mehreren Meistern in Kassel und Braunschweig gearbeitet, um den eigentlichen Charakter der männlichen Kleidung wegzukriegen, welcher oft schwerer zu studieren ist als des Mannes Charakter, der den Rock trägt.“ – Hier sah mich Herr Peregrinus wieder von der Seite an, wurde nach und nach einsilbiger und verstummte endlich gar. – Er hatte überhaupt eine hofmännische Kälte an sich, die mich immer in einiger Entfernung von ihm hielt, und um den Scherz zu enden, klagte ich über Müdigkeit, ließ mich auf einem Baumstamm nieder und lud meinen Begleiter ein, ein gleiches zu tun. Der aber antwortete, wie ich vermutet hatte: es bliebe ihm für heute keine Zeit zur Ruhe übrig, lüftete seine Kappe und ging seines Weges, mich zum baldigen Nachkommen einladend.
Ich hätte dieses kleine Reiseabenteuer für immer der Vergessenheit übergeben, der „Gesellschafter“, Bl. 11, von diesem Jahre mag’s verantworten, daß ich’s erzähle. In dem bezeichneten Blatte las ich nämlich zu meiner größten Überraschung die „Harzreise von H. Heine im Herbst 1824“ und fand mich darin als den reisenden Schneidergesellen mit vielem Humor abkonterfeit. Zu meiner Beruhigung habe ich aus der besagten „Harzreise“ ersehen, daß mein damaliger Begleiter nicht Peregrinus, sondern H. Heine heißt, daß er kein Geschäftsträger Sr. Hoheit, sondern ein Jurist ist, der von Göttingen kommt und, wie er selbst sagt, zuviel Jurisprudenz und schlechte Verse (wahrscheinlich von andern) im Kopfe hat. – Meine Wenigkeit beschreibt H. Heine in seiner „Harzreise“ folgendermaßen:
„Auf dem Wege von Osterode nach Klaustal traf ich mit einem reisenden Schneidergesellen zusammen. Es war ein niedlicher, kleiner, junger Mensch, so dünn, daß die Sterne durchschimmern konnten wie durch Ossians Nebelgeister, und im ganzen eine volkstümlich barocke Mischung von Laune und Wehmut.“
... Ich versichere Hrn. Heine, daß, ob ich gleich zu seiner „Harzreise“ einige Haare habe hergeben müssen, ich ihn dessenungeachtet nicht im geringsten anfeinde, vielmehr seine humoristische Beschreibung mit wahrem Vergnügen gelesen habe.
111. Goethe31
2. Oktober 1824
[Tagebuch:] Heine von Göttingen. [Heine hatte im Februar 1822 an Goethe seine „Gedichte“, im Mai 1823 seine „Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo“ gesandt, ohne eine Antwort zu erhalten.]
112. Max Heine70
2. Oktober 1824
Goethe empfing Heine mit der ihm eigenen graziösen Herablassung. Die Unterhaltung, wenn auch nicht gerade über das Wetter, bewegte sich auf sehr gewöhnlichem Boden, selbst über die Pappelallee zwischen Jena und Weimar wurde gesprochen. Da richtete plötzlich Goethe die Frage an Heine: „Womit beschäftigen Sie sich jetzt?“
Rasch antwortete der junge Dichter: „Mit einem Faust.“
Goethe, dessen zweiter Teil des „Faust“ damals noch nicht erschienen war, stutzte ein wenig und fragte in spitzem Tone: „Haben Sie weiter keine Geschäfte in Weimar, Herr Heine?“
Heine erwiderte schnell: „Mit meinem Fuße über die Schwelle Ew. Exzellenz sind alle meine Geschäfte in Weimar beendet“, und empfahl sich.
[In seinen gleichzeitigen Briefen schweigt sich Heine über seinen Besuch bei Goethe zunächst aus; erst am 26. Mai und 1. Juli 1825 berichtet er seinen Freunden Christiani und Moser von dem Eindruck, den der Olympier auf ihn gemacht; in der „Romantischen Schule“ 1832/35 ist dann dieses Goethebild weiter ausgeführt. Hier berichtet Heine selbst: „Ich war nahe daran, ihn griechisch anzureden; da ich aber merkte, daß er deutsch verstand, so erzählte ich ihm auf deutsch, daß die Pflaumen auf dem Wege zwischen Jena und Weimar sehr gut schmeckten. Ich hatte in so manchen langen Winternächten darüber nachgedacht, wieviel Erhabenes und Tiefsinniges ich dem Goethe sagen würde, wenn ich ihn mal sähe. Und als ich ihn endlich sah, sagte ich ihm, daß die sächsischen Pflaumen sehr gut schmeckten. Und Goethe lächelte.“ Die etwas gereizte Unterhaltung über Heines Faustplan ist nur durch Max Heine überliefert.]
113. Adolf Peters181
Oktober 1824
[Mitteilung von Ludwig Spitta nach Briefen von Peters an Phil. Spitta:] 1824... besuchte er auch Goethe in Weimar und ließ hernach bei der Rückkehr nach Göttingen den ihn einholenden Kommilitonen gegenüber ganz unverhohlen seinem Verdruß darüber freien Lauf, daß Se. Exzellenz ihn eigentlich nur ungebührlich kalt empfangen habe.
114. Eduard Wedekind189
Herbst 1824
Hieraus [aus seiner „Harzreise“] las er seinen Freunden einiges vor, was, sonderbar genug, und wie es dennoch häufig mit solchen abgerissenen Stücken sich ereignet, wenig ansprach; er wurde dadurch einigermaßen entmutigt,