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und nie besuchte er mich, ohne entweder das stereotype: „Ach, lieber Junge, ich bin sehr krank“, oder: „Sag’ mir, lieber Junge, was muß ich tun, um durchs Examen zu kommen“, vorauszuschicken. Gleichwohl hat sich, obwohl er selbst sein juristisches Streben vom Teufel loben läßt, die Furcht vor dem Examen glücklicherweise ebenso unbegründet ausgewiesen wie seine Krankheit immer, sobald ein Gespräch auf die Bahn kam, das ihn interessierte. Dann griff er, nachdem er eine Zeitlang still gesessen hatte, lebhaft mit ein. Einmal kam die Rede auf Märchen, die wir wenig achteten, und daneben für wohlfeile Ware hielten. Der Beweis sollte sogleich geliefert werden, und nachdem einer einen langen und langweiligen Faden anzuspinnen begonnen hatte, und nicht recht damit zu Ende kommen konnte, unterbrach ihn Heine:

      „Da waren drei Kinder, kleine Kinder, liebe Kinder, arme Kinder; hatten kein Brot; arme, liebe, kleine Kinder hatten kein Brot; wollten sich welches suchen, laufen in den Wald und sahen ein schönes, großes Haus; liebe kleine Kinder laufen auf das schöne, große Haus zu, und bitten um Brot; arme Kinder bitten um Brot. Da ist die Tür verschlossen; wollen sie klingeln, hängt die Klingel zu hoch. Arme Kinder, liebe Kinder, kleine Kinder, haben kein Brot und die Klingel hängt zu hoch.“

      Es war schwer, ihn lange bei einem Thema zu fesseln; am ehesten gelang es auf Spaziergängen... Daß er von der Musik nichts verstände, und von der Malerei nicht viel mehr, war unter uns ausgemacht; er sprach aber gern davon, wie auch von seinem Studium des Sanskrit, und wurde empfindlich, wenn man ihn damit aufzog, aber schnell versöhnt, wenn man ihn aufforderte, sein neuestes Gedicht zu rezitieren...

      In politischer Hinsicht war er ein großer Verehrer von Sartorius (den er durch ein schönes Sonett gefeiert hat) und seinen gemäßigt liberalen Ansichten. Früher, in Bonn, hatte er sich mit Vorliebe zur Burschenschaft gehalten, hatte in großer Gerichtssitzung über die deutschen Fürsten in milderem Sinne votiert, daß der König von Preußen nur auf Pension gesetzt werden solle, und bei der Regierung des deutschen Reichs sich das Amt eines der vier Zensoren (aber nicht Bücherzensoren) Vorbehalten. Alles dies lag damals weit hinter ihm und ergötzte ihn nur noch im Rosenschimmer der Poesie.

      115. Ferdinand Oesterley193

      1824/25

      [Oesterley an seine Braut, 5. Oktober 1825:] Wer Heine kennt, kann kaum das Lachen lassen, wenn’s ihm einfällt, daß der schmerzzerrissene Mensch solch herzzerreißende Lieder dichten konnte; denn dem äußeren Umgange nach zu urteilen, ist’s ihm ebenso einerlei, wenn ihm ein Mädchen untreu wird, als er eine ungezügelte Angst vor allem hatte, was körperlicher Schmerz hieß, namentlich vor Prügeln. Doch gibt’s wohl wenig Menschen, wo das Innere im stillen immer so mächtig und fürchterlich fortbrütet, als bei Heine, wenig Menschen, bei denen das Innere sich so wenig im äußeren Leben zeigt, als bei ihm. Die meisten Menschen, mit denen er umging, sah er nur von einer poetischen Seite an, je mehr er jemanden gebrauchen konnte, desto lieber ging er mit dem Menschen um, einerlei wer er war. So läßt es sich erklären, daß er ein Herz mit dem schauderhaftesten Ochsen war; von ihm hatten diese Menschen nichts als seine schlechten Witze, ihn amüsierten sie durch ihre Eigenheiten bis zum Totlachen; wo etwas lächerlich war, oder wo seine Ironie Spielraum hatte, da war er am wohlsten. Freunde hatte er sehr wenige, doch die, welchen er einmal traute, hatte er sehr lieb, gegen diese war er, bis auf gewisse Stücke, sehr offen, hinreißend liebenswürdig, von dem feinsten Schicklichkeitsgefühle, gerade und aufopfernd. Er prahlte sehr, und dabei hatte innerlich doch niemand eine geringere Meinung von sich als er; am liebsten scherzte er über seine juristische Unwissenheit. Bei seinen heftigen und unausgesetzten Kopfschmerzen hatte er eine seltene Heiterkeit und Frische des Geistes, die sogleich durchblickte, wenn ihm etwas einfiel, was ihm lächerlich war. Niemanden habe ich über seine eigenen Witze mehr lachen hören als ihn, niemand machte mehr Witze als er, aber auch niemand mehr schlechte als er; die guten waren sehr gut.

      Er hatte viel hellen Kopf, aber war zum Denken zu faul. Wenn er nicht wohl war, so flüsterte er fast nur und hatte seine Augen fast immer halb geschlossen. Da er fast nie ganz wohl war, so hatte er davon eigene Züge erhalten; besonders charakteristisch war bei ihm ein sehr ironisches und kühnes Ziehen der linken Oberlippe.

      [Oesterley, Jurist, später Privatdozent, dann Stadtsyndikus und Oberbürgermeister in Göttingen, war ebenfalls Studienfreund Heines und ein begabter Musiker.]

      116. Eduard Wedekind149

      1825

      [Strodtmanns Bericht nach Mitteilungen Wedekinds:] Ob Heine Jude oder Christ, ob er im letzteren Falle bereits als Kind getauft oder Konvertit sei, darüber gingen die verschiedenartigsten Gerüchte. Er selbst sprach nie darüber, und als er im Sommer des folgenden Jahres in Heiligenstadt zum Christentum übertrat, teilte er keinem seiner Freunde vorher seine Absicht mit. Auch über seinen mehrjährigen Aufenthalt in Berlin redete er selten mit seinen Göttinger Bekannten; nur der gegenwärtige Moment schien ihn zu interessieren.

      117. Pastor G. Chr. Grimm150

      28. Juni 1825

      [Wilhelm Kolbes Bericht:] Als Tag der Taufe wurde der 28. Juni bestimmt. Morgens 10 Uhr stellte sich Heine in der im Jahre 1879 wegen Baufälligkeit abgerissenen Superintendentur ein, und in dem niedrigen, fast armseligen Studierzimmer Grimms fand die etwa einstündige, von der Regierung vorgeschriebene Unterredung in Gegenwart eines andern Geistlichen, des Superintendenten Bonitz aus Langensalza, statt. Zuletzt legitimierte sich Heine durch die mitgebrachten Zeugnisse, die sämtlich sehr günstig lauteten... Über den Verlauf der Unterredung wird nichts berichtet, er war mit den Lehren des Christentums wohl vertraut, die ihm ja nicht neu waren, da er nach seinem eigenen Bekenntnis schon als Knabe an dem christlichen Religionsunterricht teilgenommen und sich durch Lektüre mit den Lehren des Christentums vertraut gemacht hat. Später urteilte Grimm nach einem Aufsatze „Die Taufe des deutschen Aristophanes“ in der „Gartenlaube“ [1877. Nr. 1] über diese Unterredung: „Die Antworten zeugten von eingehendem Nachdenken über den Inhalt und das Wesen der christlichen Religion, seine Fragen von scharfem Geiste; überhaupt nahm er die vorgetragene Lehre nicht einfach gläubig hin – er wollte überzeugt sein, und der Glaubenswechsel war ihm nicht ein bloßer Wechsel einer äußeren Form, erschien vielmehr als das Resultat einer aus dem Innern dringenden Notwendigkeit.“

      Nach dieser vorschriftsmäßigen Prüfung fand der eigentliche Taufakt statt, in welchem Heine die Namen Christian Johann Heinrich empfing, sein Taufpate war Bonitz ...

      Gegen 12 Uhr war der Akt vorüber, die drei Beteiligten begaben sich nun in das Familienzimmer... diesen Aufenthalt Heines im Grimmschen Familienkreise und sein Abschied mag ein Augenzeuge, der Verfasser des erwähnten Artikels, schildern:

      „Nach 12 Uhr erschienen die Herren im Familienzimmer und stellte der Hausherr den Fremden als Stud. jur. Heinrich Heine vor, unwillkürlich auf den Vornamen einen stärkeren Akzent legend, was den Freund Bonitz zu einem raschen Aufblicken und Lächeln veranlaßte. Das Mittagessen verlief still; der Hausherr und Bonitz führten die Unterhaltung ziemlich allein, aber auch nur mit halber Aufmerksamkeit. Heine beteiligte sich dabei nur soviel wie nötig, um nicht unhöflich zu sein; sein Gesicht trug den Stempel tiefer innerlicher Erregung, und in den dunkeln Augen war erkenntlich, daß seine Gedanken nicht bei der Unterhaltung waren. Ebenso ging es den geistlichen Herren, die, beide als geistreiche Gesellschafter in ihren Kreisen bekannt, heute offenbar mit andern als den geführten Gesprächsgegenständen beschäftigt waren und öfter ihre Blicke zu dem jungen Manne prüfend und doch mit einer besonderen Milde und Freudigkeit hinübergleiten ließen. Nach Tisch empfahl sich Heine bald. Sein Abschied von dem Superintendenten Grimm war ein besonders herzlicher und warmer, und als er, schon an der Tür, sich nochmals umwendete und demselben wiederholt die Hand reichte, schimmerte es ihm feucht im Auge.“

      [Die ganze Schilderung, auch die in der „Gartenlaube“, geht offenbar auf Angaben des Pastors Grimm zurück.]

      118. Ferdinand Oesterley193

      Juni 1825

      [Mitteilung von Karl Oesterley an Karpeles:] Oesterley erzählte in späteren Jahren oft von dem inzwischen

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